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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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mutet, dann von dem Studium der Philosophie abgeschreckt und diese in Mißkredit
gebracht hätten. Es sei indessen nicht zu befürchten, daß nicht wiederum ein Rächer
erstehe, der mit besserer Kraft ausgerüstet, die Philosophie in alle ihre Ehren
restituire. Dies war der Gruß, mit dem sich der Privatdozent ans einer Uni-
versiät einführte, die Schleiermacher und Hegel als ihre philosophischen Zierden
ehrte, auf deren Katheder Fichte gelehrt hatte.

Es entsprach diesem maßlosen Selbstgefühl, dieser rücksichtslosen Mi߬
achtung älterer Kollegen, auf die ganz Deutschland mit Verwunderung schaute,
daß er es verschmähte, durch kleinere öffentliche Vorlesungen das Interesse für
seine Philosophie zu wecken, daß er vielmehr zwölf Jahre lang nur eine
größere Privatvorlesung ankündigte, für die er dieselbe Zeit gewählt hatte, in
welcher Hegel seine Hciuptvvrlesung hielt. Im ersten Semester, im Sommer
1820, gelang es ihm noch ein Auditorium zu sammeln; aber es war das erste
und das letzte Mal.

Wie anders hätte sich Schopenhauer's Leben und Lehre gestaltet, wenn er
mit einer seinem jugendlichen Alter entsprechenden Bescheidenheit den akade¬
mischen Lehrstuhl bestiegen, wenn er gebend und empfangend, lehrend und
lernend in den Kreis der Universitätslehrer eingetreten wäre. Aber er fühlte
sich fertig, er hatte nichts mehr zu lernen, nur eine Philosophie, die er nicht
minder für absolut und vollkommen hielt, wie Hegel die seine, zu lehren.

Der weitere Verlauf des Lebens Schopenhauers bietet wenig, was unser In¬
teresse in Anspruch nehmen könnte. Der ideale Zug, der bis dahin doch nicht völlig
ihm gefehlt hatte, schwindet immer mehr, und das Zerrbild eines Junggesellen,
der Askese predigt, für sich aber den Grundsätzen Epikurs folgt; der die Ehe
verschmäht, weil er sich vor den Verpflichtungen scheut, die sie auferlegt, der
das weibliche Geschlecht mißachtet und moralisch mit Füßen tritt, aber auf
verbotnen Wegen seinen Umgang sucht, mit einem Wort das Zerrbild eines
mit Raffinement betriebenen Egoismus gewinnt immer mehr Gestalt in seinem
Leben. Und dabei hatten die tief in seiner Natur begründeten Neigungen zum
Argwohn und zur Heftigkeit nichts an Kraft eingebüßt. Wir unterlassen es,
näher auf die Thatsachen einzugehen, welche diese Züge seines Charakters be¬
rgen, auf den lang sich hinziehenden und zu seinen Ungunsten entschiednen
Prozeß, den er sich durch gewaltsame Entfernung einer neben ihm wohnenden
Frau ans dem Vorzimmer seiner Wohnung zugezogen hatte; auf das Mi߬
trauen, das er feinem Jugendfreunde aus Havre, Anthiae Gregoire, bewies,
als dieser in einer geschäftlichen Angelegenheit, in welcher Schopenhauer seinen
Rath in Anspruch genommen hatte, ihm den Vorschlag machte, seine Inter¬
essen zu vertreten, wir verzichten darauf, die Aeußerungen seiner Menschenver-
achtung zu sammeln. Wir begreifen und billigen das Urtheil, das in Mann-


Grenzboten II. 1878. 27

mutet, dann von dem Studium der Philosophie abgeschreckt und diese in Mißkredit
gebracht hätten. Es sei indessen nicht zu befürchten, daß nicht wiederum ein Rächer
erstehe, der mit besserer Kraft ausgerüstet, die Philosophie in alle ihre Ehren
restituire. Dies war der Gruß, mit dem sich der Privatdozent ans einer Uni-
versiät einführte, die Schleiermacher und Hegel als ihre philosophischen Zierden
ehrte, auf deren Katheder Fichte gelehrt hatte.

Es entsprach diesem maßlosen Selbstgefühl, dieser rücksichtslosen Mi߬
achtung älterer Kollegen, auf die ganz Deutschland mit Verwunderung schaute,
daß er es verschmähte, durch kleinere öffentliche Vorlesungen das Interesse für
seine Philosophie zu wecken, daß er vielmehr zwölf Jahre lang nur eine
größere Privatvorlesung ankündigte, für die er dieselbe Zeit gewählt hatte, in
welcher Hegel seine Hciuptvvrlesung hielt. Im ersten Semester, im Sommer
1820, gelang es ihm noch ein Auditorium zu sammeln; aber es war das erste
und das letzte Mal.

Wie anders hätte sich Schopenhauer's Leben und Lehre gestaltet, wenn er
mit einer seinem jugendlichen Alter entsprechenden Bescheidenheit den akade¬
mischen Lehrstuhl bestiegen, wenn er gebend und empfangend, lehrend und
lernend in den Kreis der Universitätslehrer eingetreten wäre. Aber er fühlte
sich fertig, er hatte nichts mehr zu lernen, nur eine Philosophie, die er nicht
minder für absolut und vollkommen hielt, wie Hegel die seine, zu lehren.

Der weitere Verlauf des Lebens Schopenhauers bietet wenig, was unser In¬
teresse in Anspruch nehmen könnte. Der ideale Zug, der bis dahin doch nicht völlig
ihm gefehlt hatte, schwindet immer mehr, und das Zerrbild eines Junggesellen,
der Askese predigt, für sich aber den Grundsätzen Epikurs folgt; der die Ehe
verschmäht, weil er sich vor den Verpflichtungen scheut, die sie auferlegt, der
das weibliche Geschlecht mißachtet und moralisch mit Füßen tritt, aber auf
verbotnen Wegen seinen Umgang sucht, mit einem Wort das Zerrbild eines
mit Raffinement betriebenen Egoismus gewinnt immer mehr Gestalt in seinem
Leben. Und dabei hatten die tief in seiner Natur begründeten Neigungen zum
Argwohn und zur Heftigkeit nichts an Kraft eingebüßt. Wir unterlassen es,
näher auf die Thatsachen einzugehen, welche diese Züge seines Charakters be¬
rgen, auf den lang sich hinziehenden und zu seinen Ungunsten entschiednen
Prozeß, den er sich durch gewaltsame Entfernung einer neben ihm wohnenden
Frau ans dem Vorzimmer seiner Wohnung zugezogen hatte; auf das Mi߬
trauen, das er feinem Jugendfreunde aus Havre, Anthiae Gregoire, bewies,
als dieser in einer geschäftlichen Angelegenheit, in welcher Schopenhauer seinen
Rath in Anspruch genommen hatte, ihm den Vorschlag machte, seine Inter¬
essen zu vertreten, wir verzichten darauf, die Aeußerungen seiner Menschenver-
achtung zu sammeln. Wir begreifen und billigen das Urtheil, das in Mann-


Grenzboten II. 1878. 27
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[0213] mutet, dann von dem Studium der Philosophie abgeschreckt und diese in Mißkredit gebracht hätten. Es sei indessen nicht zu befürchten, daß nicht wiederum ein Rächer erstehe, der mit besserer Kraft ausgerüstet, die Philosophie in alle ihre Ehren restituire. Dies war der Gruß, mit dem sich der Privatdozent ans einer Uni- versiät einführte, die Schleiermacher und Hegel als ihre philosophischen Zierden ehrte, auf deren Katheder Fichte gelehrt hatte. Es entsprach diesem maßlosen Selbstgefühl, dieser rücksichtslosen Mi߬ achtung älterer Kollegen, auf die ganz Deutschland mit Verwunderung schaute, daß er es verschmähte, durch kleinere öffentliche Vorlesungen das Interesse für seine Philosophie zu wecken, daß er vielmehr zwölf Jahre lang nur eine größere Privatvorlesung ankündigte, für die er dieselbe Zeit gewählt hatte, in welcher Hegel seine Hciuptvvrlesung hielt. Im ersten Semester, im Sommer 1820, gelang es ihm noch ein Auditorium zu sammeln; aber es war das erste und das letzte Mal. Wie anders hätte sich Schopenhauer's Leben und Lehre gestaltet, wenn er mit einer seinem jugendlichen Alter entsprechenden Bescheidenheit den akade¬ mischen Lehrstuhl bestiegen, wenn er gebend und empfangend, lehrend und lernend in den Kreis der Universitätslehrer eingetreten wäre. Aber er fühlte sich fertig, er hatte nichts mehr zu lernen, nur eine Philosophie, die er nicht minder für absolut und vollkommen hielt, wie Hegel die seine, zu lehren. Der weitere Verlauf des Lebens Schopenhauers bietet wenig, was unser In¬ teresse in Anspruch nehmen könnte. Der ideale Zug, der bis dahin doch nicht völlig ihm gefehlt hatte, schwindet immer mehr, und das Zerrbild eines Junggesellen, der Askese predigt, für sich aber den Grundsätzen Epikurs folgt; der die Ehe verschmäht, weil er sich vor den Verpflichtungen scheut, die sie auferlegt, der das weibliche Geschlecht mißachtet und moralisch mit Füßen tritt, aber auf verbotnen Wegen seinen Umgang sucht, mit einem Wort das Zerrbild eines mit Raffinement betriebenen Egoismus gewinnt immer mehr Gestalt in seinem Leben. Und dabei hatten die tief in seiner Natur begründeten Neigungen zum Argwohn und zur Heftigkeit nichts an Kraft eingebüßt. Wir unterlassen es, näher auf die Thatsachen einzugehen, welche diese Züge seines Charakters be¬ rgen, auf den lang sich hinziehenden und zu seinen Ungunsten entschiednen Prozeß, den er sich durch gewaltsame Entfernung einer neben ihm wohnenden Frau ans dem Vorzimmer seiner Wohnung zugezogen hatte; auf das Mi߬ trauen, das er feinem Jugendfreunde aus Havre, Anthiae Gregoire, bewies, als dieser in einer geschäftlichen Angelegenheit, in welcher Schopenhauer seinen Rath in Anspruch genommen hatte, ihm den Vorschlag machte, seine Inter¬ essen zu vertreten, wir verzichten darauf, die Aeußerungen seiner Menschenver- achtung zu sammeln. Wir begreifen und billigen das Urtheil, das in Mann- Grenzboten II. 1878. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/213>, abgerufen am 01.09.2024.