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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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gewarnt habe, den Sozialisten die Absicht der Gtttertheilung zur Last zu
legen," wird nun auch der Lieblingsschriftsteller Herrn W.'s, Mill, angeführt,
der "die beiden Hauptgattungen des Sozialismus, den Kommunismus und
den Sozialismus im engeren Sinne, charakterisirt" habe. Hierauf versichert
uus Herr Worthmcmu treuherzig: "Zu dem letzteren bekennen sich die deut¬
schen Sozialdemokraten, bekennt sich die "Internationale." Sie wollen keinen
Menschen berauben."

Da fragt man sich denn doch billig, wie lange Herr Worthmcmn sich die
Augen gegen die Wirklichkeit verschlossen gehabt, ehe er diese Sätze zu Papier
brachte? Einem Manne, der sich gleichzeitig zu fünf Dutzend Vortragen vor¬
bereitet hält, kann freilich kaum angesonnen werden, die Quellen, welche die
Absichten der deutschen Sozialdemokratie offenbaren, im Original aufzusuchen
und nachzulesen. Da mag er sich aber wenigstens Franz Mehrings "Deutsche
Sozialdemokratie, ihre Geschichte und ihre Lehre" kaufen oder borgen. Da findet
er im Anhang "die sozialdemokratischen Programme" vom Mai 1863 bis zum
Gothaer Kongreß von 1875. Da wird er finden, daß schon das Gothaer Pro¬
gramm vom Mai 1875 erklärt: "I. Die Arbeit ist die Quelle alles Reichthums
und aller Kultur, und da allgemein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesell¬
schaft möglich ist, so gehört der Gesellschaft, d. h. alleu ihren Glie¬
dern, das gestimmte Arbeitsprodukt, bei allgemeiner Arbeits¬
pflicht, nach gleichem Recht, Jedem nach seinen vernunftge¬
mäßen Bedürfnissen... Die Befreiung der Arbeit erfordert die Ver¬
wandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und
die genossenschaftliche Regelung der Gesammtarbeit mit gemein¬
nütziger Verwendung und gerechter Vertheilnng des Arbeits¬
ertrags. In Gent ist das dann noch etwas deutlicher ins Kommunistische
übersetzt worden. Auch dürste im Uebrigen das Buch Mehring's, namentlich
sein aktenmäßiger Nachweis, daß hente in Deutschland .durch den Sieg der
Marx-Liebknecht'schen Richtung der schrankenloseste Kommunismus von den
deutschen Sozialdemokraten als Zukuuftsideal vorgesehen ist, für die Vertiefung
der Sachkenntniß des Herrn Worthmcmn höchst vortheilhaft sein. Wenn dieser
Doktor der Staatswirthschaft uns nnn aber gar zumuthet, ans d e in Gründe an den
kommunistischen Tendenzen unsrer Sozialdemokraten zu zweifeln, weil diese
blos an "das Kapitel rühren wollen, welches zur Güterzeugung verwendet
wird, und auch dieses Kapital expropriiren wollen," so wird uns, die wir
etwas zu verlieren haben, damit doch sicherlich wenig mehr als die Wahl ge¬
stellt, in welcher Sauce wir das Unsrige zu dem allgemeine" Urbrei eingerührt
zu sehen wünschen.

Doch genug. Nicht Herr Wvrthmauu, sondern diejenigen, die solcher


gewarnt habe, den Sozialisten die Absicht der Gtttertheilung zur Last zu
legen," wird nun auch der Lieblingsschriftsteller Herrn W.'s, Mill, angeführt,
der „die beiden Hauptgattungen des Sozialismus, den Kommunismus und
den Sozialismus im engeren Sinne, charakterisirt" habe. Hierauf versichert
uus Herr Worthmcmu treuherzig: „Zu dem letzteren bekennen sich die deut¬
schen Sozialdemokraten, bekennt sich die „Internationale." Sie wollen keinen
Menschen berauben."

Da fragt man sich denn doch billig, wie lange Herr Worthmcmn sich die
Augen gegen die Wirklichkeit verschlossen gehabt, ehe er diese Sätze zu Papier
brachte? Einem Manne, der sich gleichzeitig zu fünf Dutzend Vortragen vor¬
bereitet hält, kann freilich kaum angesonnen werden, die Quellen, welche die
Absichten der deutschen Sozialdemokratie offenbaren, im Original aufzusuchen
und nachzulesen. Da mag er sich aber wenigstens Franz Mehrings „Deutsche
Sozialdemokratie, ihre Geschichte und ihre Lehre" kaufen oder borgen. Da findet
er im Anhang „die sozialdemokratischen Programme" vom Mai 1863 bis zum
Gothaer Kongreß von 1875. Da wird er finden, daß schon das Gothaer Pro¬
gramm vom Mai 1875 erklärt: „I. Die Arbeit ist die Quelle alles Reichthums
und aller Kultur, und da allgemein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesell¬
schaft möglich ist, so gehört der Gesellschaft, d. h. alleu ihren Glie¬
dern, das gestimmte Arbeitsprodukt, bei allgemeiner Arbeits¬
pflicht, nach gleichem Recht, Jedem nach seinen vernunftge¬
mäßen Bedürfnissen... Die Befreiung der Arbeit erfordert die Ver¬
wandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und
die genossenschaftliche Regelung der Gesammtarbeit mit gemein¬
nütziger Verwendung und gerechter Vertheilnng des Arbeits¬
ertrags. In Gent ist das dann noch etwas deutlicher ins Kommunistische
übersetzt worden. Auch dürste im Uebrigen das Buch Mehring's, namentlich
sein aktenmäßiger Nachweis, daß hente in Deutschland .durch den Sieg der
Marx-Liebknecht'schen Richtung der schrankenloseste Kommunismus von den
deutschen Sozialdemokraten als Zukuuftsideal vorgesehen ist, für die Vertiefung
der Sachkenntniß des Herrn Worthmcmn höchst vortheilhaft sein. Wenn dieser
Doktor der Staatswirthschaft uns nnn aber gar zumuthet, ans d e in Gründe an den
kommunistischen Tendenzen unsrer Sozialdemokraten zu zweifeln, weil diese
blos an „das Kapitel rühren wollen, welches zur Güterzeugung verwendet
wird, und auch dieses Kapital expropriiren wollen," so wird uns, die wir
etwas zu verlieren haben, damit doch sicherlich wenig mehr als die Wahl ge¬
stellt, in welcher Sauce wir das Unsrige zu dem allgemeine» Urbrei eingerührt
zu sehen wünschen.

Doch genug. Nicht Herr Wvrthmauu, sondern diejenigen, die solcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/202>, abgerufen am 01.09.2024.