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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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als politische Partei zu constituiren und irgend etwas von den Productiv-
associationen mit Staatscredit zu erhoffen. So weit ihm der Brief von Rod-
bertns Recht gab, hat Lassalle ihn redlich in seinen Kämpfen als Trumpf
Wider seine Gegner verwerthet; auf seinen abwehrenden Inhalt hat er gar
keine Rücksicht genommen. Er gründete seinen Verein, so wie er ihn haben
mußte und wollte als wirksamste Waffe seines persönlichen und politischen Ehrgeizes;
und so sehr er auch jetzt noch nach der Bundesgenossenschaft von Rodbertus
strebte, so lag der tiefe Zwiespalt zwischen ihren Anschauungen doch zu offen,
als daß nicht eine merkliche Erkältung in den gegenseitigen Beziehungen Hütte
eintreten sollen. Als Lassalle im Herbste 1863 vou seiner ersten rheinischen
Agitationsreise nach Berlin zurückkehrte und auf immer abschüssigere Jrr-
bahnen getrieben jene merkwürdige und seltsame Schwenkung nach Rechts
machte, jenes eigenthümliche Kokettiren mit Königthum, Adel und Geistlichkeit
begann, das ihm den absurden Verwurf eintrug, ein Bündniß mit der Regierung
und Reaction geschlossen zu haben, erfolgte auffallender, aber nicht unver¬
ständlicher Weise auch der Bruch mit dem conservativen, aber ehrlichen
Rodbertus. Noch hatte Lassalle am 15. October freundlich und herzlich von
seinem rheinische" Triumphen, von seiner beabsichtigten Eroberung Berlins ge¬
schrieben; in seiner Antwort muß ihm Rodbertus ernste Vorhaltungen gemacht
haben. Ueber dies Schreiben läßt sich Lassalle in den wenigen, noch folgenden
Briefen von seiner Hand, die alle äußerlichen Anlässen ihre Entstehung ver¬
danken, mit tiefer Erbitterung aus. Das letzte dieser kurzen Billete, das hart
und rauh abbricht, datirt vom 23. Februar 1864, fast genau ein halbes Jahr
vor Lassalle's Tode. Wenig über ein Jahr hatte die ganze, inhaltsreiche
Correspondenz gewährt.

In die Fülle anziehender und interessanter Einzelnheiten, welche sie ent¬
hält, konnte bei dieser Hervorhebung der hauptsächlichsten Gesichtspunkte natür¬
lich nicht eingegangen werden. Noch auf lange hinaus wird die werthvolle
Publikation für die Forschungen über Ursprung und Wesen der sozialistischen
Arbeiterbewegung ausgebeutet werden müssen; vielfach mit ganz neuem Lichte
durchleuchtet sie die halb vergessenen und verschütteten Anfänge der deutschen
Sozialdemokratie. Für Lassalle's Ruf bei Mit- und Nachwelt ist sie nicht
fördernd; hält man diese vertraulichen Briefe neben seine agitatorischen Reden
und Schriften, so bleibt ein sehr peinlicher Erdenrest. Besonnener, klarer, rei¬
ner steht Rodbertus da in jedem Betrachte. Neben seiner historischen und theo¬
retischen Seite hat der Briefwechsel aber auch noch eine specifisch praktische Be¬
deutung. Leider gilt anch heute noch vielfach die Arbeiterfrage als ein besonders
bequemes und einladendes Gebiet für abenteuerliche Stegreifritte phantastischer
Weltverbesserer; da ist es sehr lehrreich, einmal dem genialsten und großartigsten
dieser Zukunftspropheten, dem seine Ncichtreter Alles in Allem doch nur abge-


Grmzbvten II. 137L. 23

als politische Partei zu constituiren und irgend etwas von den Productiv-
associationen mit Staatscredit zu erhoffen. So weit ihm der Brief von Rod-
bertns Recht gab, hat Lassalle ihn redlich in seinen Kämpfen als Trumpf
Wider seine Gegner verwerthet; auf seinen abwehrenden Inhalt hat er gar
keine Rücksicht genommen. Er gründete seinen Verein, so wie er ihn haben
mußte und wollte als wirksamste Waffe seines persönlichen und politischen Ehrgeizes;
und so sehr er auch jetzt noch nach der Bundesgenossenschaft von Rodbertus
strebte, so lag der tiefe Zwiespalt zwischen ihren Anschauungen doch zu offen,
als daß nicht eine merkliche Erkältung in den gegenseitigen Beziehungen Hütte
eintreten sollen. Als Lassalle im Herbste 1863 vou seiner ersten rheinischen
Agitationsreise nach Berlin zurückkehrte und auf immer abschüssigere Jrr-
bahnen getrieben jene merkwürdige und seltsame Schwenkung nach Rechts
machte, jenes eigenthümliche Kokettiren mit Königthum, Adel und Geistlichkeit
begann, das ihm den absurden Verwurf eintrug, ein Bündniß mit der Regierung
und Reaction geschlossen zu haben, erfolgte auffallender, aber nicht unver¬
ständlicher Weise auch der Bruch mit dem conservativen, aber ehrlichen
Rodbertus. Noch hatte Lassalle am 15. October freundlich und herzlich von
seinem rheinische» Triumphen, von seiner beabsichtigten Eroberung Berlins ge¬
schrieben; in seiner Antwort muß ihm Rodbertus ernste Vorhaltungen gemacht
haben. Ueber dies Schreiben läßt sich Lassalle in den wenigen, noch folgenden
Briefen von seiner Hand, die alle äußerlichen Anlässen ihre Entstehung ver¬
danken, mit tiefer Erbitterung aus. Das letzte dieser kurzen Billete, das hart
und rauh abbricht, datirt vom 23. Februar 1864, fast genau ein halbes Jahr
vor Lassalle's Tode. Wenig über ein Jahr hatte die ganze, inhaltsreiche
Correspondenz gewährt.

In die Fülle anziehender und interessanter Einzelnheiten, welche sie ent¬
hält, konnte bei dieser Hervorhebung der hauptsächlichsten Gesichtspunkte natür¬
lich nicht eingegangen werden. Noch auf lange hinaus wird die werthvolle
Publikation für die Forschungen über Ursprung und Wesen der sozialistischen
Arbeiterbewegung ausgebeutet werden müssen; vielfach mit ganz neuem Lichte
durchleuchtet sie die halb vergessenen und verschütteten Anfänge der deutschen
Sozialdemokratie. Für Lassalle's Ruf bei Mit- und Nachwelt ist sie nicht
fördernd; hält man diese vertraulichen Briefe neben seine agitatorischen Reden
und Schriften, so bleibt ein sehr peinlicher Erdenrest. Besonnener, klarer, rei¬
ner steht Rodbertus da in jedem Betrachte. Neben seiner historischen und theo¬
retischen Seite hat der Briefwechsel aber auch noch eine specifisch praktische Be¬
deutung. Leider gilt anch heute noch vielfach die Arbeiterfrage als ein besonders
bequemes und einladendes Gebiet für abenteuerliche Stegreifritte phantastischer
Weltverbesserer; da ist es sehr lehrreich, einmal dem genialsten und großartigsten
dieser Zukunftspropheten, dem seine Ncichtreter Alles in Allem doch nur abge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/181>, abgerufen am 06.10.2024.