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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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von ihm ausgeht, ist noch immer nicht stark genug, um den Glorienschein
zu verdunkeln, der den "Carneval von Venedig", "Karl V. bei Fugger",
"Dürer in Venedig", "Adelheid und Franz" aus Götz von Berlichingen u. ni.
in. umfließt.

Auch die Anfänge Gustav Graef's (geb. 1821) fallen in die Zeit der
ersten Thätigkeit Kaulbach's in Berlin. Nach des Meisters Carton malte er
im römischen Kuppelsaal des Neuen Museums die Taufe Wittekinds durch
Karl den Großen, nachdem er sich bereits durch ein Oelgemälde "Jephta's
Opfer" hervorgethan. Er hatte seine Studien in Düsseldorf unter Hildebrand
und Schadow gemacht, hatte dann einen längeren Aufenthalt in Antwerpen,
Paris und München genommen und war 1852 nach Berlin gekommen, wo er
sich dauernd niederließ. Wie Becker fand er den Schwerpunkt seines Talentes
erst ziemlich spät. Er versuchte sich vielfach noch im Genre und in monumen¬
talen Arbeiten (noch jüngst für die Aula der Universität Königsberg), die sich
ziemlich eng an die Kaulbach'sche Art anschlössen. Erst im Anfang der sechsziger
Jahre begann er, das Portraitfach zu cultiviren, und errang allmählich auf diesem
Gebiete derartige Erfolge, daß er gegenwärtig unter den fashionablen Portrait¬
malern Berlins unbestritten die zweite Stelle einnimmt. Aus der großen
Wiener Concurrenz kehrten seine Portraits mit der Kunstmedaille heim.
Obwohl Graef eine stattliche Reihe wohlgelungener, männlicher Bildnisse ge¬
malt hat (das des früheren Kriegsministers v. Roon, des deutschen Botschafters
in Rom, v. Keudell, das Selbstportrait des Meisters im Renaissance-Costüm
sind die hervorragendsten unter ihnen), so ist doch das Frauenportrait die
eigentliche Domäne des Künstlers. Keiner versteht es wie er, ein junges Mäd¬
chen, das eben in die Gesellschaft tritt, mit einem gleich keuschen Liebreiz, mit
einem gleich jungfräulichen Zauber zu umgeben. Die Noblesse seiner Bilder
erinnert an den Adel van Dyk'scher Gestalten. Vornehm, ohne kalt zu sein,
scheinen sich seine Figuren in meist glänzender Umgebung und nicht minder
glänzender Toilette frei und natürlich zu bewegen. Da stört uns nichts ge¬
machtes, nichts arrangirtes, nichts förmliches; es sind fröhliche Abbilder frischen,
blühenden Lebens. Da der Maler das Glück hatte, daß sich meist schöne,
rosige Menschenkinder von ihm conterfeien ließen, fehlte es ihm eben so wenig
an dem-Beifall des großen Publikums wie an zahlreichen Aufträgen. Der
Portraitmaler nimmt unter seinen Kunstgenossen eine exceptionelle Stellung
ein. Keiner kommt so häufig wie er in die Lage, die Wahrheit der Schönheit
und umgekehrt die Schönheit der Wahrheit opfern zu müssen. Wenn er die
Züge des Originals unerbittlich wiedergeben will, wie es Dürer und Holbein
thaten, fo verleitet ihn ein bittender Blick, die Nachlässigkeiten der Natur mehr
oder minder leise zu corrigiren. Wenn er an das malerische, echt künstlerische


von ihm ausgeht, ist noch immer nicht stark genug, um den Glorienschein
zu verdunkeln, der den „Carneval von Venedig", „Karl V. bei Fugger",
„Dürer in Venedig", „Adelheid und Franz" aus Götz von Berlichingen u. ni.
in. umfließt.

Auch die Anfänge Gustav Graef's (geb. 1821) fallen in die Zeit der
ersten Thätigkeit Kaulbach's in Berlin. Nach des Meisters Carton malte er
im römischen Kuppelsaal des Neuen Museums die Taufe Wittekinds durch
Karl den Großen, nachdem er sich bereits durch ein Oelgemälde „Jephta's
Opfer" hervorgethan. Er hatte seine Studien in Düsseldorf unter Hildebrand
und Schadow gemacht, hatte dann einen längeren Aufenthalt in Antwerpen,
Paris und München genommen und war 1852 nach Berlin gekommen, wo er
sich dauernd niederließ. Wie Becker fand er den Schwerpunkt seines Talentes
erst ziemlich spät. Er versuchte sich vielfach noch im Genre und in monumen¬
talen Arbeiten (noch jüngst für die Aula der Universität Königsberg), die sich
ziemlich eng an die Kaulbach'sche Art anschlössen. Erst im Anfang der sechsziger
Jahre begann er, das Portraitfach zu cultiviren, und errang allmählich auf diesem
Gebiete derartige Erfolge, daß er gegenwärtig unter den fashionablen Portrait¬
malern Berlins unbestritten die zweite Stelle einnimmt. Aus der großen
Wiener Concurrenz kehrten seine Portraits mit der Kunstmedaille heim.
Obwohl Graef eine stattliche Reihe wohlgelungener, männlicher Bildnisse ge¬
malt hat (das des früheren Kriegsministers v. Roon, des deutschen Botschafters
in Rom, v. Keudell, das Selbstportrait des Meisters im Renaissance-Costüm
sind die hervorragendsten unter ihnen), so ist doch das Frauenportrait die
eigentliche Domäne des Künstlers. Keiner versteht es wie er, ein junges Mäd¬
chen, das eben in die Gesellschaft tritt, mit einem gleich keuschen Liebreiz, mit
einem gleich jungfräulichen Zauber zu umgeben. Die Noblesse seiner Bilder
erinnert an den Adel van Dyk'scher Gestalten. Vornehm, ohne kalt zu sein,
scheinen sich seine Figuren in meist glänzender Umgebung und nicht minder
glänzender Toilette frei und natürlich zu bewegen. Da stört uns nichts ge¬
machtes, nichts arrangirtes, nichts förmliches; es sind fröhliche Abbilder frischen,
blühenden Lebens. Da der Maler das Glück hatte, daß sich meist schöne,
rosige Menschenkinder von ihm conterfeien ließen, fehlte es ihm eben so wenig
an dem-Beifall des großen Publikums wie an zahlreichen Aufträgen. Der
Portraitmaler nimmt unter seinen Kunstgenossen eine exceptionelle Stellung
ein. Keiner kommt so häufig wie er in die Lage, die Wahrheit der Schönheit
und umgekehrt die Schönheit der Wahrheit opfern zu müssen. Wenn er die
Züge des Originals unerbittlich wiedergeben will, wie es Dürer und Holbein
thaten, fo verleitet ihn ein bittender Blick, die Nachlässigkeiten der Natur mehr
oder minder leise zu corrigiren. Wenn er an das malerische, echt künstlerische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/171>, abgerufen am 01.09.2024.