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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Zeit, als dieses herrliche Geschöpf zuerst in den Kreis Becker'scher Gestalten
trat und alle Beschauer entzückte.

Aus Venedig griff Becker bald in die deutsche Renaissance hinüber. Im
Grunde genommen versuchte er jedoch nur eine Variation seines alten Themas-
Die Figuren ans seinem berühmten Bilde "Karl's V. Besuch bei Fugger" oder
auf der Schachpartie aus Götz von Berlichingen unterscheiden sich in ihrem
glänzenden Auszüge, in ihrer unbefangenen, heiterm Schönheit, die von der
bedrückenden Luft des Nordens nichts zu wissen scheint, nicht viel von den
venezianischen Nobilis. Es fehlt Becker die Kraft zu charakterisiren und zu
individualisiren. Wie manche unserer modernen Romanschriftsteller, wie Spiel-
hageu und Auerbnch, arbeitet er mit einer gewissen Anzahl Typen, die einmal
geschaffen sind, die feststehen und einen nicht allzu übermäßigen Bedarf decken.

Das Stoffgebiet, ans welchem Becker schöpfte, mußte sich bald erschöpfen
Neuerdings hat er Motive aus Dichtern gesucht, aus Shakespeare's "Was ihr
wollt", aus "Figaro's Hochzeit", aber diese" Bildern fehlte bei der alten Vir¬
tuosität in der Malweise insofern die Bedingung zu einem selbstständigen
Kunstwerke, als sie ohne Zuhilfenahme der Dichtung unverständlich waren.
In seinen letzten Bildern z. B. auf ;,Hutten's Dichterkrönung" zeigten sich leider
bereits die Folgen einseitiger Produktion. Die flotte, malerische Behandlung
verlor sich in ein oberflächliches, dekoratives Machwerk ohne Ernst und Tiefe.
Die Figuren wurden immer phrasenhafter und wesenloser. Man sah, daß
diesen schönen Geschöpfen das Mark fehlte und daß sie im Gründe nur hübsch
arrangirte und ausstaffirte Gliederpuppen waren. Endlich machte man noch
eine andere Beobachtung. Die Ansprüche an Realität der Aeußerlichkeiten
und an Costümtreue hatten sich inzwischen noch gesteigert. Hermann Weiß,
ursprünglich ein Maler, der als solcher seine Ausbildung in Düsseldorfer
Ateliers erfahren, dann aber trotz vielfacher tüchtiger Leistungen den Pinsel
mit der Feder vertauscht hatte, machte zuerst den Versuch, die Costümkunde
nach wissenschaftlichen Prinzipien zu behandeln und an der Berliner Kunst¬
akademie zu lehren. Das Aufblühen einer rationellen Kunstwissenschaft, die
ebenfalls in Berlin und zwar in Kugler, Schnaase, Lübke, Eggers u. a. ihre
vornehmsten Vertreter fand, ging mit diesen Bestrebungen parallel, und so
bildete sich allmählich das absolute Postulat strengster Costümtreue heraus'
selbst aus Kosten der malerischen Schönheit. Am Ende bemerkte man aber auch'
daß die Wahrheit fast immer zugleich die Schönheit ist. Man sah schärfer zu
und fand, daß es mit den glänzenden, farbenprächtigen Costümen, den blitzen¬
den Waffen und gleißenden Gerathen auf Becker'schen Bildern nicht immer
seine Richtigkeit hatte.

Das ist der Revers der glänzenden Medaille. Aber der Schatten, der


Zeit, als dieses herrliche Geschöpf zuerst in den Kreis Becker'scher Gestalten
trat und alle Beschauer entzückte.

Aus Venedig griff Becker bald in die deutsche Renaissance hinüber. Im
Grunde genommen versuchte er jedoch nur eine Variation seines alten Themas-
Die Figuren ans seinem berühmten Bilde „Karl's V. Besuch bei Fugger" oder
auf der Schachpartie aus Götz von Berlichingen unterscheiden sich in ihrem
glänzenden Auszüge, in ihrer unbefangenen, heiterm Schönheit, die von der
bedrückenden Luft des Nordens nichts zu wissen scheint, nicht viel von den
venezianischen Nobilis. Es fehlt Becker die Kraft zu charakterisiren und zu
individualisiren. Wie manche unserer modernen Romanschriftsteller, wie Spiel-
hageu und Auerbnch, arbeitet er mit einer gewissen Anzahl Typen, die einmal
geschaffen sind, die feststehen und einen nicht allzu übermäßigen Bedarf decken.

Das Stoffgebiet, ans welchem Becker schöpfte, mußte sich bald erschöpfen
Neuerdings hat er Motive aus Dichtern gesucht, aus Shakespeare's „Was ihr
wollt", aus „Figaro's Hochzeit", aber diese» Bildern fehlte bei der alten Vir¬
tuosität in der Malweise insofern die Bedingung zu einem selbstständigen
Kunstwerke, als sie ohne Zuhilfenahme der Dichtung unverständlich waren.
In seinen letzten Bildern z. B. auf ;,Hutten's Dichterkrönung" zeigten sich leider
bereits die Folgen einseitiger Produktion. Die flotte, malerische Behandlung
verlor sich in ein oberflächliches, dekoratives Machwerk ohne Ernst und Tiefe.
Die Figuren wurden immer phrasenhafter und wesenloser. Man sah, daß
diesen schönen Geschöpfen das Mark fehlte und daß sie im Gründe nur hübsch
arrangirte und ausstaffirte Gliederpuppen waren. Endlich machte man noch
eine andere Beobachtung. Die Ansprüche an Realität der Aeußerlichkeiten
und an Costümtreue hatten sich inzwischen noch gesteigert. Hermann Weiß,
ursprünglich ein Maler, der als solcher seine Ausbildung in Düsseldorfer
Ateliers erfahren, dann aber trotz vielfacher tüchtiger Leistungen den Pinsel
mit der Feder vertauscht hatte, machte zuerst den Versuch, die Costümkunde
nach wissenschaftlichen Prinzipien zu behandeln und an der Berliner Kunst¬
akademie zu lehren. Das Aufblühen einer rationellen Kunstwissenschaft, die
ebenfalls in Berlin und zwar in Kugler, Schnaase, Lübke, Eggers u. a. ihre
vornehmsten Vertreter fand, ging mit diesen Bestrebungen parallel, und so
bildete sich allmählich das absolute Postulat strengster Costümtreue heraus'
selbst aus Kosten der malerischen Schönheit. Am Ende bemerkte man aber auch'
daß die Wahrheit fast immer zugleich die Schönheit ist. Man sah schärfer zu
und fand, daß es mit den glänzenden, farbenprächtigen Costümen, den blitzen¬
den Waffen und gleißenden Gerathen auf Becker'schen Bildern nicht immer
seine Richtigkeit hatte.

Das ist der Revers der glänzenden Medaille. Aber der Schatten, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/170>, abgerufen am 01.09.2024.