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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Wie sie vor ihm keinem deutschen Meister zu Gebote gestanden, konnte den
Berliner Künstlern me Hohlheit Kaulbach'schen Wesens nicht verborgen bleiben.
Obwohl er besser und sicherer zeichnete als Cornelius, stand letzterer der Natur
immer noch näher als Kaulbach. In Berlin, wo das Naturstudium seit jeher
begünstigt wurde und in einer blühenden Portraitmalerei seine Nahrung fand,
wendete man sich von den schön stilisirten Phrasen ab, die Kaulbach an die
Stelle der Natur setzte. Die kolossalen, halb und ganz unbekleideten Leiber,
welche die Wände des Treppenhauses im Neuen Museum bevölkerten und den
Sinnen der großen Menge schmeichelten, wurden in ihrer Leere und Unnatur
von den Berliner Künstlern bald durchschaut. Wie Cornelius sehlte auch
Kaulbach die Kunst zu individualisiren, Wo er charakteristisch werden wollte,
gerieth er in die Karrikatur. Er hat niemals Individuen, sondern immer nur
Typen geschaffen.

Indessen schlössen sich dennoch einige von den jüngeren Künstlern an
Kaulbach an. Zunächst Carl Becker, der, wie wir im ersten Abschnitt unserer
Darstellung erwähnt, bereits unter Cornelius resp. Stürmer's Leitung an den
Schinkel'schen Fresken in der Vorhalle des alten Museums mit geholfen hatte.
Carl Becker (geb. 1820) war ursprünglich ein Schüler A. von Klöber's gewesen
und dann nach München gegangen, um bei Heinrich Heß die Freskomalerei
zu erlernen. Nachdem er sich dort ein Jahr aufgehalten, brachte er auf Kosten
der Berliner Akademie ein weiteres Jahr in Paris zu. Ein solcher Pariser
Aufenthalt, der bisweilen auf eine ziemlich lange Zeitdauer bemessen ist, figu-
rirt in den Biographien aller hervorragenden Mitglieder der modernen Ber¬
liner Malerschule. Wir hatten bereits gesehen, daß Wach und Vegas, die für
ein Vierteljahrhundert die Berliner Malerschule repräsentirten, in den Ateliers
von David und Gros entscheidende Einflüsse erfahren hatten. In den vier¬
ziger, fünfziger und sechziger Jahren versäumte es kein Berliner Maler, der
sich in der Heimath eine Stellung schaffen wollte, ein oder mehrere Jahre in
Pariser Ateliers zuzubringen. Cogniet, Couture, Gleyre waren diejenigen von
den Pariser Meistern, die vorzugsweise von den deutschen Künstlern aufgesucht
wurden. Gegenüber der Ablehnung, welche Cornelius und Kaulbach von den
Berliner Malern erfuhren, müssen wir die Einwirkung französischer Ateliers
um fo schärfer betonen. Wir bedienen ,uns dabei eines möglichst äußerlichen
Ausdrucks. Die deutschen Maler gingen nur nach Paris, um die Geheimnisse
der dortigen Ateliers, die glänzende koloristische Technik der Franzosen, ihre
Modellwahrheit, ihre Virtuosität in der äußeren Form, mit einem Worte alles
das kennen zu lernen, was wirklich lehr- und lernbar ist. Von französischem
Geiste ist nichts in die Berliner Malerschule übergegangen, es sei denn der
realistische Zug, der dem Pariser wie dem Berliner Maler gemeinsam ist, der


Wie sie vor ihm keinem deutschen Meister zu Gebote gestanden, konnte den
Berliner Künstlern me Hohlheit Kaulbach'schen Wesens nicht verborgen bleiben.
Obwohl er besser und sicherer zeichnete als Cornelius, stand letzterer der Natur
immer noch näher als Kaulbach. In Berlin, wo das Naturstudium seit jeher
begünstigt wurde und in einer blühenden Portraitmalerei seine Nahrung fand,
wendete man sich von den schön stilisirten Phrasen ab, die Kaulbach an die
Stelle der Natur setzte. Die kolossalen, halb und ganz unbekleideten Leiber,
welche die Wände des Treppenhauses im Neuen Museum bevölkerten und den
Sinnen der großen Menge schmeichelten, wurden in ihrer Leere und Unnatur
von den Berliner Künstlern bald durchschaut. Wie Cornelius sehlte auch
Kaulbach die Kunst zu individualisiren, Wo er charakteristisch werden wollte,
gerieth er in die Karrikatur. Er hat niemals Individuen, sondern immer nur
Typen geschaffen.

Indessen schlössen sich dennoch einige von den jüngeren Künstlern an
Kaulbach an. Zunächst Carl Becker, der, wie wir im ersten Abschnitt unserer
Darstellung erwähnt, bereits unter Cornelius resp. Stürmer's Leitung an den
Schinkel'schen Fresken in der Vorhalle des alten Museums mit geholfen hatte.
Carl Becker (geb. 1820) war ursprünglich ein Schüler A. von Klöber's gewesen
und dann nach München gegangen, um bei Heinrich Heß die Freskomalerei
zu erlernen. Nachdem er sich dort ein Jahr aufgehalten, brachte er auf Kosten
der Berliner Akademie ein weiteres Jahr in Paris zu. Ein solcher Pariser
Aufenthalt, der bisweilen auf eine ziemlich lange Zeitdauer bemessen ist, figu-
rirt in den Biographien aller hervorragenden Mitglieder der modernen Ber¬
liner Malerschule. Wir hatten bereits gesehen, daß Wach und Vegas, die für
ein Vierteljahrhundert die Berliner Malerschule repräsentirten, in den Ateliers
von David und Gros entscheidende Einflüsse erfahren hatten. In den vier¬
ziger, fünfziger und sechziger Jahren versäumte es kein Berliner Maler, der
sich in der Heimath eine Stellung schaffen wollte, ein oder mehrere Jahre in
Pariser Ateliers zuzubringen. Cogniet, Couture, Gleyre waren diejenigen von
den Pariser Meistern, die vorzugsweise von den deutschen Künstlern aufgesucht
wurden. Gegenüber der Ablehnung, welche Cornelius und Kaulbach von den
Berliner Malern erfuhren, müssen wir die Einwirkung französischer Ateliers
um fo schärfer betonen. Wir bedienen ,uns dabei eines möglichst äußerlichen
Ausdrucks. Die deutschen Maler gingen nur nach Paris, um die Geheimnisse
der dortigen Ateliers, die glänzende koloristische Technik der Franzosen, ihre
Modellwahrheit, ihre Virtuosität in der äußeren Form, mit einem Worte alles
das kennen zu lernen, was wirklich lehr- und lernbar ist. Von französischem
Geiste ist nichts in die Berliner Malerschule übergegangen, es sei denn der
realistische Zug, der dem Pariser wie dem Berliner Maler gemeinsam ist, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/167>, abgerufen am 01.09.2024.