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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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wußte") -- sondern, so gewiß es sich im Realen des natürlichen und des
geistigen Universums als einende, allordnende, zwecksetzende Intelligenz that¬
sächlich erweist, kann es auf verständliche Weise nur begriffen werden als
all- und selbstbewußter Geist, als höchste "Persönlichkeit", welche Naturmacht,
Vernunft und Wille in Einheit ist.

Diesen grundlegenden und entscheidenden Ideen begegnen wir schon in den
früheren Schriften des Verfassers: in den "Religiösen Reden und Betrachtungen
für das deutsche Volk" (II. Auflage 1856), in seiner "Aesthetik" (2 Bände II.
Aufl.), welche die Idee des Schönen und ihre Verwirklichung im Leben
und in der Kunst von jenem Standpunkt der Real-Idealismus philosophisch
begründet; in seinem Hauptwerke endlich: "Die Kunst im Zusammenhange der
Kulturentwicklung und die Ideale der Menschheit" (5 Bände, II. Auflage
1871--1874.). Im letzten, hier besprochenen Werke treten diese Ideen nun
am Klarsten, Entschiedensten und in umfassender philosophischer Begrün¬
dung hervor, indem sogleich darin das Ethische, die Idee des Guten, vorzugs¬
weise betont wird, deren Wahrheit und Macht in der "sittlichen Weltordnung"
sich offenbart. Dies mag zugleich die Wahl dieser Bezeichnung sür den ganzen
Inhalt des Werkes erklären, deren Sinn vielleicht nicht Jedem sogleich geläufig
sein möchte, indem das Werk selbst sich noch in andern sehr lehrreichen Untersuch¬
ungen bewegt.

Im ersten Abschnitt: "Die mechanische Naturordnung und der Materialis¬
mus" (S. 14--78.) zeigt der Verf. scharfsinnig und beredt die ungeheuere UN-
Wahrscheinlichkeit der materialistischen Hypothese, daß die innerlich zweckmäßige
"Naturordnung" irgend einmal aus einer zufällig gelungenen Zusammenstellung
der Atome entstanden sein könne, welche bloß den Schein der Zweckmäßig¬
keit an sich trage, die Thatsache der in einander greifenden, innerlich
sich entsprechenden mechanischen, chemischen, organischen Naturreiche können viel¬
mehr nur unter Annahme einer idealen, zwecksetzenden Grundursache wirklich
erklärbar werden.

Dies führt zum "Idealismus" (II. Abschnitt S. 79--105.). Nach einer
Kritik der verschiedenen idealistischen und realistischen Systeme von Cartesius
und Berkeley bis auf Kant und Fichte, Hegel und Herbart, als den Re¬
präsentanten des Realismus, gewinnen wir den Satz: die höchste Gestalt des
Seins, des Realen, ist das als Wille sich bethätigende Reale, der sich selbst
bestimmende Geist. Dieser jedoch, auf der höchsten Stufe seiner bewußten Ent¬
wicklung unterwirft sich nicht mehr dem Zwange eines ihm äußerlich bleiben¬
den "Gebotes", sondern der eigene Wille fühlt und weiß sich als einig mit
dem, was ihm vorher als Pflicht und Gebot erschien. Das Ergebniß ist die
Gewißheit unserer sittlichen Freiheit und Selbstbestimmung. "Die freie, ver-


wußte") — sondern, so gewiß es sich im Realen des natürlichen und des
geistigen Universums als einende, allordnende, zwecksetzende Intelligenz that¬
sächlich erweist, kann es auf verständliche Weise nur begriffen werden als
all- und selbstbewußter Geist, als höchste „Persönlichkeit", welche Naturmacht,
Vernunft und Wille in Einheit ist.

Diesen grundlegenden und entscheidenden Ideen begegnen wir schon in den
früheren Schriften des Verfassers: in den „Religiösen Reden und Betrachtungen
für das deutsche Volk" (II. Auflage 1856), in seiner „Aesthetik" (2 Bände II.
Aufl.), welche die Idee des Schönen und ihre Verwirklichung im Leben
und in der Kunst von jenem Standpunkt der Real-Idealismus philosophisch
begründet; in seinem Hauptwerke endlich: „Die Kunst im Zusammenhange der
Kulturentwicklung und die Ideale der Menschheit" (5 Bände, II. Auflage
1871—1874.). Im letzten, hier besprochenen Werke treten diese Ideen nun
am Klarsten, Entschiedensten und in umfassender philosophischer Begrün¬
dung hervor, indem sogleich darin das Ethische, die Idee des Guten, vorzugs¬
weise betont wird, deren Wahrheit und Macht in der „sittlichen Weltordnung"
sich offenbart. Dies mag zugleich die Wahl dieser Bezeichnung sür den ganzen
Inhalt des Werkes erklären, deren Sinn vielleicht nicht Jedem sogleich geläufig
sein möchte, indem das Werk selbst sich noch in andern sehr lehrreichen Untersuch¬
ungen bewegt.

Im ersten Abschnitt: „Die mechanische Naturordnung und der Materialis¬
mus" (S. 14—78.) zeigt der Verf. scharfsinnig und beredt die ungeheuere UN-
Wahrscheinlichkeit der materialistischen Hypothese, daß die innerlich zweckmäßige
„Naturordnung" irgend einmal aus einer zufällig gelungenen Zusammenstellung
der Atome entstanden sein könne, welche bloß den Schein der Zweckmäßig¬
keit an sich trage, die Thatsache der in einander greifenden, innerlich
sich entsprechenden mechanischen, chemischen, organischen Naturreiche können viel¬
mehr nur unter Annahme einer idealen, zwecksetzenden Grundursache wirklich
erklärbar werden.

Dies führt zum „Idealismus" (II. Abschnitt S. 79—105.). Nach einer
Kritik der verschiedenen idealistischen und realistischen Systeme von Cartesius
und Berkeley bis auf Kant und Fichte, Hegel und Herbart, als den Re¬
präsentanten des Realismus, gewinnen wir den Satz: die höchste Gestalt des
Seins, des Realen, ist das als Wille sich bethätigende Reale, der sich selbst
bestimmende Geist. Dieser jedoch, auf der höchsten Stufe seiner bewußten Ent¬
wicklung unterwirft sich nicht mehr dem Zwange eines ihm äußerlich bleiben¬
den „Gebotes", sondern der eigene Wille fühlt und weiß sich als einig mit
dem, was ihm vorher als Pflicht und Gebot erschien. Das Ergebniß ist die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/160>, abgerufen am 01.09.2024.