Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.und Eroberung, welche den Fürsten streitfertige Kriegsschaciren zum Bedürfniß Wo ein zahlreicher, waffenfähiger Adel, dessen größere Geschlechter wie¬ und Eroberung, welche den Fürsten streitfertige Kriegsschaciren zum Bedürfniß Wo ein zahlreicher, waffenfähiger Adel, dessen größere Geschlechter wie¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139951"/> <p xml:id="ID_439" prev="#ID_438"> und Eroberung, welche den Fürsten streitfertige Kriegsschaciren zum Bedürfniß<lb/> machten, mehr und mehr erweitert und befestigt und schließlich in dem Lehns¬<lb/> wesen ihren klassischen Ausdruck gefunden. Trotzig und geringschätzig schaut<lb/> seitdem der reisige Kriegsmann, der ans starkknochigen Streitroß und im<lb/> Stahlgewand durch die Felder reitet, auf den Bauern hinterm Pfluge, und<lb/> immer unlustiger wird dieser den Speer zu ergreifen, er giebt sich in den Schutz<lb/> eines großen Herrn, der ihm die lästige Kriegspflicht abnimmt, ihn dafür aber<lb/> in immer stärkere Abhängigkeit hinunterdrückt. Seitdem bildet eine breite<lb/> Masse halb oder ganz unfreier Leute den Untergrund für den kriegerischen<lb/> Adel. Die nothwendige Folge hiervon ist die Konservirnng nicht blos, sondern<lb/> die Verstärkung der Ungleichheit vor Recht und Gericht. Alle aber, sie mögen<lb/> im stattlichen Herrenhöfe Hausen oder in niedriger Hütte, alle sind Ackerbauer,<lb/> nur daß die waidlichen Helden andere für sich schaffen lassen; von dem Ertrage<lb/> ihrer Felder leben sie alle. Das Handwerk kann mau nicht entbehren; aber<lb/> noch umschließt der Hof der Gutsherrschaft alle Gewerbthätigkeit des Land¬<lb/> strichs; ihre Hörigen sind es, die für sie und ihren ausgedehnten Haushalt<lb/> schnitzen und hämmern und die Nadel führen. Und weil das Meiste, dessen<lb/> man bedarf, in unmittelbarer Nähe geboten wird, deshalb ist das Bedürfniß<lb/> des Verkehrs mit andern Orten und Landschaften nnr unbedeutend; was an<lb/> Handel existirt, richtet sich vor allem nach Außer, um begehrenswerthe Dinge<lb/> herbeizuschaffen, die man daheim nicht haken kann, schwerfällig, unsicher, fest<lb/> gebunden an die großen Linien, welche die Natur selbst gebahnt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_440" next="#ID_441"> Wo ein zahlreicher, waffenfähiger Adel, dessen größere Geschlechter wie¬<lb/> derum mit kriegerischem Gefolge sich umgeben, den herrschenden Stand der<lb/> Gesellschaft bildet, und wo der Verkehr der einzelnen Landestheile unter sich<lb/> nur ein geringer ist und bleibt, in solchem Volke kann sich unmöglich eine<lb/> starke Centralgewalt entwickeln. Was ist der mittelalterliche König anders, als<lb/> der Erste unter seines Gleichen? ein Edelmann, wie die andern auch? Auch<lb/> unsere mächtigsten deutschen Könige haben längere oder kürzere Zeit gefährliche<lb/> Empörungen zu bekämpfen, und nnr soweit reicht ihre Macht als ihre persön¬<lb/> liche Wirksamkeit und ihr Ansehen reichen. Denn wie in aller Welt sollte der<lb/> mittelalterliche König, der über ein weites Reich gebot, es anders regieren, als<lb/> dadurch, daß er eine Menge staatlicher Rechte, statt sie durch Beamte aus¬<lb/> üben zu lassen, die er doch nie wirksam zu kontroliren im Stande war —<lb/> Karl d. Gr. hat es oft erprobt! — an Einzelne oder Korporationen überließ,<lb/> die freilich dann mehr und mehr diese übertragenen Rechte in Rechte eigner<lb/> Herrschaft umgestalteten, und daß er, der König, seinen schlachtgewohnten Adel<lb/> mit Landbesitz ausstattete, der diesen rasch in erbliches Eigenthum verwandelnd,<lb/> eben dadurch auch stark und unabhängig sich fühlte? Und wie gewaltig stand</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
und Eroberung, welche den Fürsten streitfertige Kriegsschaciren zum Bedürfniß
machten, mehr und mehr erweitert und befestigt und schließlich in dem Lehns¬
wesen ihren klassischen Ausdruck gefunden. Trotzig und geringschätzig schaut
seitdem der reisige Kriegsmann, der ans starkknochigen Streitroß und im
Stahlgewand durch die Felder reitet, auf den Bauern hinterm Pfluge, und
immer unlustiger wird dieser den Speer zu ergreifen, er giebt sich in den Schutz
eines großen Herrn, der ihm die lästige Kriegspflicht abnimmt, ihn dafür aber
in immer stärkere Abhängigkeit hinunterdrückt. Seitdem bildet eine breite
Masse halb oder ganz unfreier Leute den Untergrund für den kriegerischen
Adel. Die nothwendige Folge hiervon ist die Konservirnng nicht blos, sondern
die Verstärkung der Ungleichheit vor Recht und Gericht. Alle aber, sie mögen
im stattlichen Herrenhöfe Hausen oder in niedriger Hütte, alle sind Ackerbauer,
nur daß die waidlichen Helden andere für sich schaffen lassen; von dem Ertrage
ihrer Felder leben sie alle. Das Handwerk kann mau nicht entbehren; aber
noch umschließt der Hof der Gutsherrschaft alle Gewerbthätigkeit des Land¬
strichs; ihre Hörigen sind es, die für sie und ihren ausgedehnten Haushalt
schnitzen und hämmern und die Nadel führen. Und weil das Meiste, dessen
man bedarf, in unmittelbarer Nähe geboten wird, deshalb ist das Bedürfniß
des Verkehrs mit andern Orten und Landschaften nnr unbedeutend; was an
Handel existirt, richtet sich vor allem nach Außer, um begehrenswerthe Dinge
herbeizuschaffen, die man daheim nicht haken kann, schwerfällig, unsicher, fest
gebunden an die großen Linien, welche die Natur selbst gebahnt hat.
Wo ein zahlreicher, waffenfähiger Adel, dessen größere Geschlechter wie¬
derum mit kriegerischem Gefolge sich umgeben, den herrschenden Stand der
Gesellschaft bildet, und wo der Verkehr der einzelnen Landestheile unter sich
nur ein geringer ist und bleibt, in solchem Volke kann sich unmöglich eine
starke Centralgewalt entwickeln. Was ist der mittelalterliche König anders, als
der Erste unter seines Gleichen? ein Edelmann, wie die andern auch? Auch
unsere mächtigsten deutschen Könige haben längere oder kürzere Zeit gefährliche
Empörungen zu bekämpfen, und nnr soweit reicht ihre Macht als ihre persön¬
liche Wirksamkeit und ihr Ansehen reichen. Denn wie in aller Welt sollte der
mittelalterliche König, der über ein weites Reich gebot, es anders regieren, als
dadurch, daß er eine Menge staatlicher Rechte, statt sie durch Beamte aus¬
üben zu lassen, die er doch nie wirksam zu kontroliren im Stande war —
Karl d. Gr. hat es oft erprobt! — an Einzelne oder Korporationen überließ,
die freilich dann mehr und mehr diese übertragenen Rechte in Rechte eigner
Herrschaft umgestalteten, und daß er, der König, seinen schlachtgewohnten Adel
mit Landbesitz ausstattete, der diesen rasch in erbliches Eigenthum verwandelnd,
eben dadurch auch stark und unabhängig sich fühlte? Und wie gewaltig stand
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