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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Himmel des Südens die flachen Küsten der Nordsee mener der Wolkendecke
des Nordens, und wir haben die deutsche Urzeit in jener Epoche, wo zuerst die
schmale Mittelineergaleere die breiten Wogen des Ocsanns ß-Mmanivus ängstlich
durchfurchte und sich in die Mündungen seiner gewaltigen Strome hineinwagte;
wo der römische Händler vorsichtig auf dem rauhen Pfade des deutschen
Waldes zog und in den Höfen der Edlen und Bauern vor blondhaariger
Frauen und würdig dreinschauenden Männern bunte Gewänder und schim¬
mernde Waffen verführerisch ausbreitete.

Unter den Einflüssen der höheren Kultur des Ostens, die getrennte Lands¬
leute einander näher bringt, erwachsen sodann in Griechenland die ersten
Staatengebilde. Thatkräftige Geschlechter gewinnen über größere Landstrecken
feste Herrschaft; auf Felsboden thürmen sie ihre Burgen, die Jahrtausende
überdauernd nicht fremdartiger in unsere Gegenwart hineinragen, als in die
Zeit des Perikles, Zu ihren Füßen drängt sich ein zahlreiches, dienendes, ab¬
hängiges Volk, das kaum genannt wird im Liede. In der tönenden Halle
aber, deren Wände schimmern von Erz und Waffen, da sitzen, umgeben
von ihren Gefolgsleuten, ihren AL^"?ro^hö, und ihrem kriegerischen Adel die
Fürsten; sie lauschen dem Liede des Sängers, sie strecken die Hände nach lecker
bereitetem Mahle, sie tummeln ihre gelenke Kraft im Spiele des Kampfes.
Denn noch gilt kriegerische Tüchtigkeit als die höchste Tugend; Krieg also und
verwegene Seefahrt ist des echten Mannes, des Element; beständig steht
sein Sinn nach Ruhm und Ehre, soll er sie auch mit frühem Tode erkaufen;
erst dann entfaltet er sich voll und ganz, wenn er in reisiger Schaar auf
doppelgerudertem Meerschiff dahin führt, wenn der Fürst mit seinen Edlen,
die schäumenden Rosse vor, die Streitwagen besteigt, wenn die schreckliche, die
männerehrende Feldschlacht über die Ebene und um die Mauern rast, wenn
die Stadt auflodert im Brande, und an den Leichen erschlagener Vertheidiger
vorbei Weiber und Kinder dem Sieger folgen in die Knechtschaft. Denn
noch gilt in furchtbarer Härte der Satz, daß Eigenthum und Leben des Be¬
siegten des Siegers sei. So ist der Staat wesentlich nur nach Außen gerichtet,
berechnet auf den Kampf. Daher denn anch das beständige Wogen und Ziehen
ganzer Stämme weniger als reisiger Schciaren, daher jene ^"'r<M"o'rtto>t?,
jene "Ansiedlungen", wie sie Thukydides als Charakteristikum der ältesten Zeit
seines Volkes erklärt; wie die Würfel auf blutigem Felde fallen, so wechseln
die Länder nicht ihre ganze Bevölkerung, wohl aber ihre herrschenden Stämme
und es existirt keine prinzipielle Verschiedenheit zwischen dem Zuge der Sieben
gegen Theben und der Zerstörung Trojas auf der einen Seite, der Festsetzung
thessalischer, boiotischer, dorischer Kriegshaufen nördlich und südlich der Thermo-
pylen und im Peloponnes über einer unterworfenen Bevölkerung und der Er-


Himmel des Südens die flachen Küsten der Nordsee mener der Wolkendecke
des Nordens, und wir haben die deutsche Urzeit in jener Epoche, wo zuerst die
schmale Mittelineergaleere die breiten Wogen des Ocsanns ß-Mmanivus ängstlich
durchfurchte und sich in die Mündungen seiner gewaltigen Strome hineinwagte;
wo der römische Händler vorsichtig auf dem rauhen Pfade des deutschen
Waldes zog und in den Höfen der Edlen und Bauern vor blondhaariger
Frauen und würdig dreinschauenden Männern bunte Gewänder und schim¬
mernde Waffen verführerisch ausbreitete.

Unter den Einflüssen der höheren Kultur des Ostens, die getrennte Lands¬
leute einander näher bringt, erwachsen sodann in Griechenland die ersten
Staatengebilde. Thatkräftige Geschlechter gewinnen über größere Landstrecken
feste Herrschaft; auf Felsboden thürmen sie ihre Burgen, die Jahrtausende
überdauernd nicht fremdartiger in unsere Gegenwart hineinragen, als in die
Zeit des Perikles, Zu ihren Füßen drängt sich ein zahlreiches, dienendes, ab¬
hängiges Volk, das kaum genannt wird im Liede. In der tönenden Halle
aber, deren Wände schimmern von Erz und Waffen, da sitzen, umgeben
von ihren Gefolgsleuten, ihren AL^«?ro^hö, und ihrem kriegerischen Adel die
Fürsten; sie lauschen dem Liede des Sängers, sie strecken die Hände nach lecker
bereitetem Mahle, sie tummeln ihre gelenke Kraft im Spiele des Kampfes.
Denn noch gilt kriegerische Tüchtigkeit als die höchste Tugend; Krieg also und
verwegene Seefahrt ist des echten Mannes, des Element; beständig steht
sein Sinn nach Ruhm und Ehre, soll er sie auch mit frühem Tode erkaufen;
erst dann entfaltet er sich voll und ganz, wenn er in reisiger Schaar auf
doppelgerudertem Meerschiff dahin führt, wenn der Fürst mit seinen Edlen,
die schäumenden Rosse vor, die Streitwagen besteigt, wenn die schreckliche, die
männerehrende Feldschlacht über die Ebene und um die Mauern rast, wenn
die Stadt auflodert im Brande, und an den Leichen erschlagener Vertheidiger
vorbei Weiber und Kinder dem Sieger folgen in die Knechtschaft. Denn
noch gilt in furchtbarer Härte der Satz, daß Eigenthum und Leben des Be¬
siegten des Siegers sei. So ist der Staat wesentlich nur nach Außen gerichtet,
berechnet auf den Kampf. Daher denn anch das beständige Wogen und Ziehen
ganzer Stämme weniger als reisiger Schciaren, daher jene ^«'r<M«o'rtto>t?,
jene „Ansiedlungen", wie sie Thukydides als Charakteristikum der ältesten Zeit
seines Volkes erklärt; wie die Würfel auf blutigem Felde fallen, so wechseln
die Länder nicht ihre ganze Bevölkerung, wohl aber ihre herrschenden Stämme
und es existirt keine prinzipielle Verschiedenheit zwischen dem Zuge der Sieben
gegen Theben und der Zerstörung Trojas auf der einen Seite, der Festsetzung
thessalischer, boiotischer, dorischer Kriegshaufen nördlich und südlich der Thermo-
pylen und im Peloponnes über einer unterworfenen Bevölkerung und der Er-


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[0128] Himmel des Südens die flachen Küsten der Nordsee mener der Wolkendecke des Nordens, und wir haben die deutsche Urzeit in jener Epoche, wo zuerst die schmale Mittelineergaleere die breiten Wogen des Ocsanns ß-Mmanivus ängstlich durchfurchte und sich in die Mündungen seiner gewaltigen Strome hineinwagte; wo der römische Händler vorsichtig auf dem rauhen Pfade des deutschen Waldes zog und in den Höfen der Edlen und Bauern vor blondhaariger Frauen und würdig dreinschauenden Männern bunte Gewänder und schim¬ mernde Waffen verführerisch ausbreitete. Unter den Einflüssen der höheren Kultur des Ostens, die getrennte Lands¬ leute einander näher bringt, erwachsen sodann in Griechenland die ersten Staatengebilde. Thatkräftige Geschlechter gewinnen über größere Landstrecken feste Herrschaft; auf Felsboden thürmen sie ihre Burgen, die Jahrtausende überdauernd nicht fremdartiger in unsere Gegenwart hineinragen, als in die Zeit des Perikles, Zu ihren Füßen drängt sich ein zahlreiches, dienendes, ab¬ hängiges Volk, das kaum genannt wird im Liede. In der tönenden Halle aber, deren Wände schimmern von Erz und Waffen, da sitzen, umgeben von ihren Gefolgsleuten, ihren AL^«?ro^hö, und ihrem kriegerischen Adel die Fürsten; sie lauschen dem Liede des Sängers, sie strecken die Hände nach lecker bereitetem Mahle, sie tummeln ihre gelenke Kraft im Spiele des Kampfes. Denn noch gilt kriegerische Tüchtigkeit als die höchste Tugend; Krieg also und verwegene Seefahrt ist des echten Mannes, des Element; beständig steht sein Sinn nach Ruhm und Ehre, soll er sie auch mit frühem Tode erkaufen; erst dann entfaltet er sich voll und ganz, wenn er in reisiger Schaar auf doppelgerudertem Meerschiff dahin führt, wenn der Fürst mit seinen Edlen, die schäumenden Rosse vor, die Streitwagen besteigt, wenn die schreckliche, die männerehrende Feldschlacht über die Ebene und um die Mauern rast, wenn die Stadt auflodert im Brande, und an den Leichen erschlagener Vertheidiger vorbei Weiber und Kinder dem Sieger folgen in die Knechtschaft. Denn noch gilt in furchtbarer Härte der Satz, daß Eigenthum und Leben des Be¬ siegten des Siegers sei. So ist der Staat wesentlich nur nach Außen gerichtet, berechnet auf den Kampf. Daher denn anch das beständige Wogen und Ziehen ganzer Stämme weniger als reisiger Schciaren, daher jene ^«'r<M«o'rtto>t?, jene „Ansiedlungen", wie sie Thukydides als Charakteristikum der ältesten Zeit seines Volkes erklärt; wie die Würfel auf blutigem Felde fallen, so wechseln die Länder nicht ihre ganze Bevölkerung, wohl aber ihre herrschenden Stämme und es existirt keine prinzipielle Verschiedenheit zwischen dem Zuge der Sieben gegen Theben und der Zerstörung Trojas auf der einen Seite, der Festsetzung thessalischer, boiotischer, dorischer Kriegshaufen nördlich und südlich der Thermo- pylen und im Peloponnes über einer unterworfenen Bevölkerung und der Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/128>, abgerufen am 27.07.2024.