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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Deutsches und griechisches Mttelalter.

Seitdem man die Existenz historischer Gesetze zu ahnen begann, ist es
auch ein Bedürfniß gewesen, das Walten derselben im Einzelnen nachzuweisen,
am meisten durch Vergleichung der Entwicklung verschiedener Völker, und so
sehr auch bei dergleichen Parallelisirungen Vorsicht geboten ist, um nicht in
willkürliches Konstrniren zu verfallen und den Dingen eine Schablone aufzu¬
erlegen, statt ans ihnen selbst die Gesetze zu entwickeln, so lehrreich wieder ist
doch eine Vergleichung derart, wenn sie sich darauf beschränkt, relativ abge¬
schlossene Entwicklungsreihen zu parallelisiren und die Hauptzüge derselben her¬
vorzuheben. Bei der inneren Verwandtschaft des griechischen und des deutschen
Wesens ist hier gerade der Versuch besonders lockend, und in geistvoller Weise
hat schon Bernhard Erdinannsdörffer die letzten beiden Jahrhunderte vor den
Perserkriegen mit dem Ausgange des christlichen Mittelalters zusammen gestellt*),
in zahlreichen Andeutungen wie in einzelnen Ausführungen hat Wilhelm
Röscher die ^treffendsten Parallelen gezogen. Hier soll nun versucht werden,
den Parallelismus der Entwicklungsreihen im christlichen Mittelalter und in
den Jahrhunderten der griechischen Geschichte bis auf die Perserkriege in Kur¬
zem nachzuweisen. Sehr viel weiterzugehen erscheint schon deshalb unthunlich,
weil unsre Geschichte eben noch nicht abgeschlossen vorliegt.

Freilich wird bei solcher Betrachtung gerathen sein, vorerst der tiefgehenden
Unterschiede antiken und modernen Lebens sich bewußt zu werden. Vereinzelt
unter Völkern niederer Kulturstufe, unter "Barbaren", stehen die Griechen; als
Völkerfamilie gruppiren sich von Anfang an die Nationen des christlichen
Europa. Sehr rasch konzentrirt sich das Leben des griechischen Volkes in den
Städten, die mit ihrer Bildung und ihrem Kapital das platte Land gebieterisch
überherrschen, eine politische und wirthschaftliche Selbständigkeit desselben nicht



*) Das Zeitalter der Novelle in Hellas. Berlin, 1870.
Grenzboten II. 1873.1"
Deutsches und griechisches Mttelalter.

Seitdem man die Existenz historischer Gesetze zu ahnen begann, ist es
auch ein Bedürfniß gewesen, das Walten derselben im Einzelnen nachzuweisen,
am meisten durch Vergleichung der Entwicklung verschiedener Völker, und so
sehr auch bei dergleichen Parallelisirungen Vorsicht geboten ist, um nicht in
willkürliches Konstrniren zu verfallen und den Dingen eine Schablone aufzu¬
erlegen, statt ans ihnen selbst die Gesetze zu entwickeln, so lehrreich wieder ist
doch eine Vergleichung derart, wenn sie sich darauf beschränkt, relativ abge¬
schlossene Entwicklungsreihen zu parallelisiren und die Hauptzüge derselben her¬
vorzuheben. Bei der inneren Verwandtschaft des griechischen und des deutschen
Wesens ist hier gerade der Versuch besonders lockend, und in geistvoller Weise
hat schon Bernhard Erdinannsdörffer die letzten beiden Jahrhunderte vor den
Perserkriegen mit dem Ausgange des christlichen Mittelalters zusammen gestellt*),
in zahlreichen Andeutungen wie in einzelnen Ausführungen hat Wilhelm
Röscher die ^treffendsten Parallelen gezogen. Hier soll nun versucht werden,
den Parallelismus der Entwicklungsreihen im christlichen Mittelalter und in
den Jahrhunderten der griechischen Geschichte bis auf die Perserkriege in Kur¬
zem nachzuweisen. Sehr viel weiterzugehen erscheint schon deshalb unthunlich,
weil unsre Geschichte eben noch nicht abgeschlossen vorliegt.

Freilich wird bei solcher Betrachtung gerathen sein, vorerst der tiefgehenden
Unterschiede antiken und modernen Lebens sich bewußt zu werden. Vereinzelt
unter Völkern niederer Kulturstufe, unter „Barbaren", stehen die Griechen; als
Völkerfamilie gruppiren sich von Anfang an die Nationen des christlichen
Europa. Sehr rasch konzentrirt sich das Leben des griechischen Volkes in den
Städten, die mit ihrer Bildung und ihrem Kapital das platte Land gebieterisch
überherrschen, eine politische und wirthschaftliche Selbständigkeit desselben nicht



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[0125] Deutsches und griechisches Mttelalter. Seitdem man die Existenz historischer Gesetze zu ahnen begann, ist es auch ein Bedürfniß gewesen, das Walten derselben im Einzelnen nachzuweisen, am meisten durch Vergleichung der Entwicklung verschiedener Völker, und so sehr auch bei dergleichen Parallelisirungen Vorsicht geboten ist, um nicht in willkürliches Konstrniren zu verfallen und den Dingen eine Schablone aufzu¬ erlegen, statt ans ihnen selbst die Gesetze zu entwickeln, so lehrreich wieder ist doch eine Vergleichung derart, wenn sie sich darauf beschränkt, relativ abge¬ schlossene Entwicklungsreihen zu parallelisiren und die Hauptzüge derselben her¬ vorzuheben. Bei der inneren Verwandtschaft des griechischen und des deutschen Wesens ist hier gerade der Versuch besonders lockend, und in geistvoller Weise hat schon Bernhard Erdinannsdörffer die letzten beiden Jahrhunderte vor den Perserkriegen mit dem Ausgange des christlichen Mittelalters zusammen gestellt*), in zahlreichen Andeutungen wie in einzelnen Ausführungen hat Wilhelm Röscher die ^treffendsten Parallelen gezogen. Hier soll nun versucht werden, den Parallelismus der Entwicklungsreihen im christlichen Mittelalter und in den Jahrhunderten der griechischen Geschichte bis auf die Perserkriege in Kur¬ zem nachzuweisen. Sehr viel weiterzugehen erscheint schon deshalb unthunlich, weil unsre Geschichte eben noch nicht abgeschlossen vorliegt. Freilich wird bei solcher Betrachtung gerathen sein, vorerst der tiefgehenden Unterschiede antiken und modernen Lebens sich bewußt zu werden. Vereinzelt unter Völkern niederer Kulturstufe, unter „Barbaren", stehen die Griechen; als Völkerfamilie gruppiren sich von Anfang an die Nationen des christlichen Europa. Sehr rasch konzentrirt sich das Leben des griechischen Volkes in den Städten, die mit ihrer Bildung und ihrem Kapital das platte Land gebieterisch überherrschen, eine politische und wirthschaftliche Selbständigkeit desselben nicht *) Das Zeitalter der Novelle in Hellas. Berlin, 1870. Grenzboten II. 1873.1«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/125>, abgerufen am 09.11.2024.