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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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legte, und der Gedanke: du hast diese Nacht ruhig geschlafen, ist des Morgens
meiner Seele eine gleichgültige Zeitung. Möchte mich Gott doch so glücklich
werden lassen, daß ich, über die Furcht des Todes erhoben, ihn mehr mit
Freuden als mit Zittern mir täglich vorstellen könnte!"

Wenn diese Art des Empfindens bei einem wirklich kranken Mann begreif¬
lich erscheint, so verräth uns doch die Art, wie alle Welt in diesen Ton mit
einstimmte, daß in der Zeit selbst etwas Krankhaftes lag.

Gellert's Ruf war bereits ins Ausland gedrungen; junge Edelleute
aus seiner Schule, z. B. v. Cronegk (22. I.), Sohn eines österr. Feldmar¬
schalls, der sich in Theaterstücken ("Kodrus") und Elegien ("Einsamkeiten")
versucht hatte, machten, wenn sie auf ihrer großen Tour Paris besuchten, dort
für seine Dichtungen Propaganda. Lessing, der Dez. 1755 wieder nach
Leipzig ging, hörte mit Verwunderung, daß Gellert sich einbildete, man nehme
in Paris Notiz von ihm; aber es war wirklich der Fall. Die Empfindsamkeit
war dort nicht geringer als in Deutschland.

Gellert's geistliches Lied wurde in Deutschland Modesache wie die Fabel;
fast alle Mitarbeiter an den "Bremer Beiträgen" legten sich ans diese Gattung.
-- In sehr verschiedenem Sinn versuchte in derselben Zeit Klop stock (31 I.)
unterstützt von seinem Freunde in Kopenhagen, dem Hofprediger Er am er,
eine Reform des Kirchenlieds.

Wenn man bei dem "Messias" sich wiederholt fragen muß: wieviel kommt
auf den Glauben, und wieviel auf das poetische Bedürfniß? so ist bei den
geistlichen Liedern an der aufrichtigen Ueberzeugung nicht zu zweifeln. Er hat,
obgleich konfessionell nicht geschult, den wirklichen Drang zu beten: freilich
betet er nur, um seiner Seele eine erhöhte Stimmung zu geben. Er hätte
seine Lieder gern so eingerichtet -- darin stand er mit Gellert auf gleichem
Boden -- daß jeder fromme Katholik sie mit eben der Erbauung singen könne
wie der Protestant. Er äußerte sich sehr unzufrieden mit dem gegenwärtigen
protestantischen Gottesdienst, in dem die Predigt fast ausschließlich das Inter¬
esse in Anspruch nimmt; er verlangte Weihe der Anbetung durch Instrumental¬
musik, Liturgie u. s. w.: kurz eine gelinde Annäherung an katholische Formen.
Er hatte auf feiner Schweizerreise einmal in einem Kloster den Messias vor¬
gelesen, zur großen Erbauung der Nonnen, die ihn dafür wieder durch ihre
Kirchenmusik erbauten. Der allgemeine Gruß: "gelobt sei Jesus Christ!" hatte
ihn sehr gerührt. "Der Gegengruß, den ich hernach erfuhr, kam mir so natür¬
lich vor, daß es mich wunderte, daß ich nicht darauf gefallen war, damit zu
antworten."

Klopstock leitete seine "geistlichen Lieder" mit einer Abhandlung über die
heilige Poesie ein. "Wenn der Dichter für den öffentlichen Gottesdienst schreibt,


legte, und der Gedanke: du hast diese Nacht ruhig geschlafen, ist des Morgens
meiner Seele eine gleichgültige Zeitung. Möchte mich Gott doch so glücklich
werden lassen, daß ich, über die Furcht des Todes erhoben, ihn mehr mit
Freuden als mit Zittern mir täglich vorstellen könnte!"

Wenn diese Art des Empfindens bei einem wirklich kranken Mann begreif¬
lich erscheint, so verräth uns doch die Art, wie alle Welt in diesen Ton mit
einstimmte, daß in der Zeit selbst etwas Krankhaftes lag.

Gellert's Ruf war bereits ins Ausland gedrungen; junge Edelleute
aus seiner Schule, z. B. v. Cronegk (22. I.), Sohn eines österr. Feldmar¬
schalls, der sich in Theaterstücken („Kodrus") und Elegien („Einsamkeiten")
versucht hatte, machten, wenn sie auf ihrer großen Tour Paris besuchten, dort
für seine Dichtungen Propaganda. Lessing, der Dez. 1755 wieder nach
Leipzig ging, hörte mit Verwunderung, daß Gellert sich einbildete, man nehme
in Paris Notiz von ihm; aber es war wirklich der Fall. Die Empfindsamkeit
war dort nicht geringer als in Deutschland.

Gellert's geistliches Lied wurde in Deutschland Modesache wie die Fabel;
fast alle Mitarbeiter an den „Bremer Beiträgen" legten sich ans diese Gattung.
— In sehr verschiedenem Sinn versuchte in derselben Zeit Klop stock (31 I.)
unterstützt von seinem Freunde in Kopenhagen, dem Hofprediger Er am er,
eine Reform des Kirchenlieds.

Wenn man bei dem „Messias" sich wiederholt fragen muß: wieviel kommt
auf den Glauben, und wieviel auf das poetische Bedürfniß? so ist bei den
geistlichen Liedern an der aufrichtigen Ueberzeugung nicht zu zweifeln. Er hat,
obgleich konfessionell nicht geschult, den wirklichen Drang zu beten: freilich
betet er nur, um seiner Seele eine erhöhte Stimmung zu geben. Er hätte
seine Lieder gern so eingerichtet — darin stand er mit Gellert auf gleichem
Boden — daß jeder fromme Katholik sie mit eben der Erbauung singen könne
wie der Protestant. Er äußerte sich sehr unzufrieden mit dem gegenwärtigen
protestantischen Gottesdienst, in dem die Predigt fast ausschließlich das Inter¬
esse in Anspruch nimmt; er verlangte Weihe der Anbetung durch Instrumental¬
musik, Liturgie u. s. w.: kurz eine gelinde Annäherung an katholische Formen.
Er hatte auf feiner Schweizerreise einmal in einem Kloster den Messias vor¬
gelesen, zur großen Erbauung der Nonnen, die ihn dafür wieder durch ihre
Kirchenmusik erbauten. Der allgemeine Gruß: „gelobt sei Jesus Christ!" hatte
ihn sehr gerührt. „Der Gegengruß, den ich hernach erfuhr, kam mir so natür¬
lich vor, daß es mich wunderte, daß ich nicht darauf gefallen war, damit zu
antworten."

Klopstock leitete seine „geistlichen Lieder" mit einer Abhandlung über die
heilige Poesie ein. „Wenn der Dichter für den öffentlichen Gottesdienst schreibt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/106>, abgerufen am 01.09.2024.