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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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wußtsein war stark und kräftig. Vou seinem Adel wurde auch das Küstenvolk
nicht gedrückt, und hätte er das je versuchen wollen, so fühlte es sich Manus
genug, die alten Freiheiten und Gerechtsame sich zu wahren. Vou dem Pariser
Gesindel sich aber Vorschriften machen zu lassen, was sie glauben und denken,
wie sie leben und sterben sollten, das fiel ihnen gar nicht ein!

Da kam die Nachricht von der Hinrichtung des Königspaars, und regte
in den tiefsten Tiefen alle Gefühle dieses schwerfälligen, aber energischen und
fanatischen Volksstammes auf. Damit waren alle Begriffe ihrer Jahrtanfeno
alten inneren Entwickelung, die auf strengster Hierarchie schon in dein Heiden-
thum begründet gewesen, so zu sagen auf deu Kopf gestellt. Nun folgten
rasch hintereinander das Konskriptivnsgesetz, die Abschaffung der Religion, des
Priesterthums, der wirkliche Kampf gegen den Adel. Alles dies waren Dinge,
die in Frankreich nur die fürchterliche Ernte einer mit frivolem Leichtsinn ge¬
streuten Saat warm. Ju der Bretagne und Vendee griffen die neuen Gesetze
aber an Institutionen, die dem Volke lieb, ja geheiligt waren. Der Verfasser
hat mit richtigem Takte uuter den Biographien solche gewählt, die dem
größeren Publikum, besonders aber dem nicht französischen, wohl ganz unbe¬
kannt sind. Ausgenommen möchte hiervon die des republikanischen General
Türran sein, welche den Lesern von Jvmini und Segnr bekannt sein dürste.
Für die oben ausgesprochene Ansicht sind diese aber von besonderen! Werth,
denn wenn anch mit bitterem Zorn, so konstatirt der fanatische Jakobiner doch
unzweifelhaft, daß eben das ganze Volk, der ganze Stamm der Bretonen, so
weit seine Verbreitungsgrenze reicht, also bis über le Maus nach Westen hiu,
sich erhob, um den Herren der Republik entgegenzutreten. Andrerseits geht aus
den Memoiren der zwei royalistischen Damen, deren Männer als Führer
zweiten Ranges mitkämpften, ganz ebenso unzweifelhaft hervor, daß wie diese
beiden Männer selbst, so ein großer Theil des bretonischen Adels widerwillig
und gezwungen, die ihm von seinen Landsleuten oktrohirten Führerrollen
übernommen hat. Zum Theil gehorchte er geradezu ausgesprochenem Drohun¬
gen. Mit Gewißheit darf man annehmen, daß gerade weiter blickende und
liberal gesinnte Edelleute so dachten. Wie den Kern der Bewegung Bauern,
Schiffer, Schmuggler, überhaupt die streitbaren Elemente der kühueuKüstenbevölke¬
rung bildeten, so sind auch Charrette, Cathelineau, Stofflet, jene Führer ge¬
wesen, welche die Seele der Bewegung bildeten. Ganz richtig verlangten diese
Leute, der Adel solle sich ihnen anschließen. Deun einerseits war es der ein¬
zige Stand, der damals die Routine des Kvmmandireus, der Führung im
höheren militärischen Sinne besaß, andrerseits war der Einfluß dieser alten
Geschlechter, wie gezeigt wurde, ein sehr bedeutender. Die Geschichte des Auf¬
standes, in die hier natürlich nicht weiter eingegangen werden kann, zeigt denn


wußtsein war stark und kräftig. Vou seinem Adel wurde auch das Küstenvolk
nicht gedrückt, und hätte er das je versuchen wollen, so fühlte es sich Manus
genug, die alten Freiheiten und Gerechtsame sich zu wahren. Vou dem Pariser
Gesindel sich aber Vorschriften machen zu lassen, was sie glauben und denken,
wie sie leben und sterben sollten, das fiel ihnen gar nicht ein!

Da kam die Nachricht von der Hinrichtung des Königspaars, und regte
in den tiefsten Tiefen alle Gefühle dieses schwerfälligen, aber energischen und
fanatischen Volksstammes auf. Damit waren alle Begriffe ihrer Jahrtanfeno
alten inneren Entwickelung, die auf strengster Hierarchie schon in dein Heiden-
thum begründet gewesen, so zu sagen auf deu Kopf gestellt. Nun folgten
rasch hintereinander das Konskriptivnsgesetz, die Abschaffung der Religion, des
Priesterthums, der wirkliche Kampf gegen den Adel. Alles dies waren Dinge,
die in Frankreich nur die fürchterliche Ernte einer mit frivolem Leichtsinn ge¬
streuten Saat warm. Ju der Bretagne und Vendee griffen die neuen Gesetze
aber an Institutionen, die dem Volke lieb, ja geheiligt waren. Der Verfasser
hat mit richtigem Takte uuter den Biographien solche gewählt, die dem
größeren Publikum, besonders aber dem nicht französischen, wohl ganz unbe¬
kannt sind. Ausgenommen möchte hiervon die des republikanischen General
Türran sein, welche den Lesern von Jvmini und Segnr bekannt sein dürste.
Für die oben ausgesprochene Ansicht sind diese aber von besonderen! Werth,
denn wenn anch mit bitterem Zorn, so konstatirt der fanatische Jakobiner doch
unzweifelhaft, daß eben das ganze Volk, der ganze Stamm der Bretonen, so
weit seine Verbreitungsgrenze reicht, also bis über le Maus nach Westen hiu,
sich erhob, um den Herren der Republik entgegenzutreten. Andrerseits geht aus
den Memoiren der zwei royalistischen Damen, deren Männer als Führer
zweiten Ranges mitkämpften, ganz ebenso unzweifelhaft hervor, daß wie diese
beiden Männer selbst, so ein großer Theil des bretonischen Adels widerwillig
und gezwungen, die ihm von seinen Landsleuten oktrohirten Führerrollen
übernommen hat. Zum Theil gehorchte er geradezu ausgesprochenem Drohun¬
gen. Mit Gewißheit darf man annehmen, daß gerade weiter blickende und
liberal gesinnte Edelleute so dachten. Wie den Kern der Bewegung Bauern,
Schiffer, Schmuggler, überhaupt die streitbaren Elemente der kühueuKüstenbevölke¬
rung bildeten, so sind auch Charrette, Cathelineau, Stofflet, jene Führer ge¬
wesen, welche die Seele der Bewegung bildeten. Ganz richtig verlangten diese
Leute, der Adel solle sich ihnen anschließen. Deun einerseits war es der ein¬
zige Stand, der damals die Routine des Kvmmandireus, der Führung im
höheren militärischen Sinne besaß, andrerseits war der Einfluß dieser alten
Geschlechter, wie gezeigt wurde, ein sehr bedeutender. Die Geschichte des Auf¬
standes, in die hier natürlich nicht weiter eingegangen werden kann, zeigt denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/80>, abgerufen am 27.09.2024.