Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.übrige Frankreich in seinen Grundfesten erschütterten. Die Franzosen nannten übrige Frankreich in seinen Grundfesten erschütterten. Die Franzosen nannten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139372"/> <p xml:id="ID_224" prev="#ID_223" next="#ID_225"> übrige Frankreich in seinen Grundfesten erschütterten. Die Franzosen nannten<lb/> die Bretonen beschränkt und bigott, während sie Beides selbst in viel höherem<lb/> Maße waren. Der bretagnische Adel studirte viel mehr und besaß eine weit<lb/> gediegenere Bildung, als der französische Adel. Gingen doch zumeist ans seiner<lb/> Mitte jene Marineoffiziere hervor, welche eine Blüthezeit der französischen<lb/> Flotte herausführten, wie sie bis heute nicht wieder erreicht ist. Und wie oben im<lb/> Herrenschlosse durch diese Mäuner freiere und kosmopolitische Anschauungen<lb/> von ihren weiten Fahrten heimgebracht und verbreitet wurden, so geschah es<lb/> unten im Dorfe in den ländlichen Familien durch die jüngeren Söhne. Selbst<lb/> aus den im Innern gelegenen Dörfern und Städten wiesen Vielfache Beziehungen<lb/> aller Art nach der auf drei Seiten so nahen Meeresküste, an der ohnehin die<lb/> größeren Städte und fruchtbarsten Gegenden lagen. Die Küstenbewohner selbst<lb/> waren seit Jahrhunderten kühne Seeleute und Fischer, und seit eine verkehrte<lb/> Finanzwirthschaft die Schutzzölle, welche einst Colbert und Fouquet, damals<lb/> zum Segen des Landes geschaffen, immer noch in engherziger Verblendung<lb/> festhielt, waren die Bretagner eben so kühne und verwegene Schmuggler. —<lb/> Wenn man sich nun diese Bevölkerung vorstellt, ein starrköpfiges, trotziges,<lb/> reiches Vauerngefchlecht, eine ebenso trotzige freie und wohlhabende, kühne<lb/> Seemannsnativn, beide in enger Anhänglichkeit mit einem Adel aufgewachsen,<lb/> zu dem sie sympathische Zuneigung fühlten, da er nichts Anderes war und sein<lb/> wollte, als sie selbst, aus deren Mitte er hervorgegangen war: dann begreift<lb/> man den Aufstand der Vendee. Traditionen reichten weit zurück und hatten<lb/> große Macht in dieser eigenartig abgeschlossenen Welt. Es gab Förster und<lb/> Verwalter, deren Vorfahren mit demselben Geschlecht zum Kreuzzuge nach<lb/> Jerusalem gezogen waren, dem jetzt die Söhne dienten. Es gab uralte<lb/> Geschlechter, manche waren verarmt und saßen im enlendurchschrieenen Schlößchen,<lb/> aber dennoch wurde ihnen im Lande große Achtung, bestimmte Ehrenbezeugung<lb/> erwiesen, weil man wußte, oder zu wissen glaubte, daß es der Druidenzeiten<lb/> letzte Abkömmlinge waren. Noch lebten uralte Edelleute und Bauern, deren<lb/> Väter im Kampfe gegen Frankreich gefallen oder berühmt geworden waren.<lb/> Von dem sozialen Elend des Landes da draußen fand sich in der Bretagne<lb/> keine Spur. Die Bauer und Bürger des flachen Landes waren so reaktionär<lb/> wie möglich, und der Priesterstand that das seinige hinzu. Die Edelleute<lb/> waren vielleicht die am meisten liberal gesinnte Partei im ganzen Lande,<lb/> denn sie waren die einzigen, welche Kenntniß von der neueren französischen<lb/> Literatur hatten. Die Küstenbevölkerung war weit davon entfernt, etwa knechtisch<lb/> dem Adel sich zu unterwerfen, aber der lange Verkehr mit England hatte den<lb/> innern Gegensatz gegen das unruhige, verarmte Franzosenvolk nur vermehrt.<lb/> Die heutige Nativualitätsidee lag noch in den Windeln und das Stammesbe-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
übrige Frankreich in seinen Grundfesten erschütterten. Die Franzosen nannten
die Bretonen beschränkt und bigott, während sie Beides selbst in viel höherem
Maße waren. Der bretagnische Adel studirte viel mehr und besaß eine weit
gediegenere Bildung, als der französische Adel. Gingen doch zumeist ans seiner
Mitte jene Marineoffiziere hervor, welche eine Blüthezeit der französischen
Flotte herausführten, wie sie bis heute nicht wieder erreicht ist. Und wie oben im
Herrenschlosse durch diese Mäuner freiere und kosmopolitische Anschauungen
von ihren weiten Fahrten heimgebracht und verbreitet wurden, so geschah es
unten im Dorfe in den ländlichen Familien durch die jüngeren Söhne. Selbst
aus den im Innern gelegenen Dörfern und Städten wiesen Vielfache Beziehungen
aller Art nach der auf drei Seiten so nahen Meeresküste, an der ohnehin die
größeren Städte und fruchtbarsten Gegenden lagen. Die Küstenbewohner selbst
waren seit Jahrhunderten kühne Seeleute und Fischer, und seit eine verkehrte
Finanzwirthschaft die Schutzzölle, welche einst Colbert und Fouquet, damals
zum Segen des Landes geschaffen, immer noch in engherziger Verblendung
festhielt, waren die Bretagner eben so kühne und verwegene Schmuggler. —
Wenn man sich nun diese Bevölkerung vorstellt, ein starrköpfiges, trotziges,
reiches Vauerngefchlecht, eine ebenso trotzige freie und wohlhabende, kühne
Seemannsnativn, beide in enger Anhänglichkeit mit einem Adel aufgewachsen,
zu dem sie sympathische Zuneigung fühlten, da er nichts Anderes war und sein
wollte, als sie selbst, aus deren Mitte er hervorgegangen war: dann begreift
man den Aufstand der Vendee. Traditionen reichten weit zurück und hatten
große Macht in dieser eigenartig abgeschlossenen Welt. Es gab Förster und
Verwalter, deren Vorfahren mit demselben Geschlecht zum Kreuzzuge nach
Jerusalem gezogen waren, dem jetzt die Söhne dienten. Es gab uralte
Geschlechter, manche waren verarmt und saßen im enlendurchschrieenen Schlößchen,
aber dennoch wurde ihnen im Lande große Achtung, bestimmte Ehrenbezeugung
erwiesen, weil man wußte, oder zu wissen glaubte, daß es der Druidenzeiten
letzte Abkömmlinge waren. Noch lebten uralte Edelleute und Bauern, deren
Väter im Kampfe gegen Frankreich gefallen oder berühmt geworden waren.
Von dem sozialen Elend des Landes da draußen fand sich in der Bretagne
keine Spur. Die Bauer und Bürger des flachen Landes waren so reaktionär
wie möglich, und der Priesterstand that das seinige hinzu. Die Edelleute
waren vielleicht die am meisten liberal gesinnte Partei im ganzen Lande,
denn sie waren die einzigen, welche Kenntniß von der neueren französischen
Literatur hatten. Die Küstenbevölkerung war weit davon entfernt, etwa knechtisch
dem Adel sich zu unterwerfen, aber der lange Verkehr mit England hatte den
innern Gegensatz gegen das unruhige, verarmte Franzosenvolk nur vermehrt.
Die heutige Nativualitätsidee lag noch in den Windeln und das Stammesbe-
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