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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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der zweiten Kammer die Resolution angesonnen: eine Abänderung des erwähnten
Gesetzes sei geboten! Die Antwort wurde nach Gebühr ertheilt, von Seiten
der Regierung wie der Kammer: ehe nur ein Wort über die Sache gesprochen
wird -- völlige, bedingungslose Unterwerfung der Kirche unter das Gesetz!
Die Folgen ihres rebellischen Verhaltens werden der Kirche unangenehm
spürbar, darum -- soll der Staat das von dem Rebellen mißachtete Gesetz
also ändern, daß diesem beliebt, es zu befolgen! Die Kurie hat seiner Zeit
gegen das Prinzip des Gesetzes Einsprache erhoben, indem sie der Kirche das
ausschließliche Recht vindicirte, die Bedingungen, unter welchen ein Kirchenamt
erlangt werden kann, festzustellen. Möglich, daß sie jetzt unter dem Druck des
durch sie verschuldeten Nothstandes geneigt ist, den prinzipiellen Widerspruch
fallen zu lassen (xossumus!) und, wenn Einzelnes nach ihrem Wunsch geändert
ist, das oben erwähnte Verbot zurückzunehmen. Den Staat mag das wenig
kümmern. Ein Mitglied der ultramontanen Fraktion, der Abgeordnete Dr.
Hansjacob, katholischer Geistlicher, hatte sich in dieser Frage von seinen
Fraktionsgenossen getrennt, beziehentlich er trat gegen dieselben auf. Das in
Rede stehende Gesetz billige er nicht, aber die Verantwortung für den jetzigen
Nothstand treffe die Kirche; sie solle ihren Widerstand gegen das Gesetz auf¬
geben, dann, aber auch erst dann, werde man bei der Staatsregierung Aende¬
rungen im Einzelnen beantragen und vielleicht auch erlangen können. Von
dem Schrecken, den dieses Auftreten ihres Fraktivnsgenossen ihnen einjagte,
haben sich die Ultramontanen bis zur Stunde nicht erholt. Wir übergehen
Anderes, indem wir nur noch den Sturmangriff ans das Ministerium Turban
erwähnen, das in seinen Wirkungen vielleicht bedeutendste Ereignis; der bis¬
herigen Session. Dem neuen Ministerium war doch sicher nnter anderen auch
die Aufgabe gestellt, dem Kulturkampf seine schärfsten Spitzen abzubrechen, ein
einigermaßen friedliches Zusammenwirken der verschiedenen Parteien für das
Staatswohl herbeizuführen. Eine kluge Parteiführung ultramontancr Seits
würde diese Situation dahin ausgebeutet haben, daß man, dem Ministerium
möglichst fein und ruhig entgegenkommend, versucht hätte, auf diesem Wege
Einiges zu erreichen, was unter Jolly nicht erlangt werden konnte. Nicht
so unsere Kammerfraktion. Man höre! In der Sitzung vom 23. Januar
beschwerten sich gelegentlich der Verhandlung über das Budget des Staats¬
ministeriums die Ultramontanen, daß der Herr Staatsminister im November
anläßlich der Adreßdebatte gesagt habe, das Land würde eine ultramontane
Negierung nicht ertragen und die Freiheitsversprechungeu der Ultramontanen
könnten diese, ans Ruder gekommen, nicht erfüllen, da der Ultramontanismus
seiner innersten Natur nach absolut reaktionär sei. Das könne sich, meinte
der ultramontane Redner, die "katholische Volkspartei" nicht gefallen lassen,


der zweiten Kammer die Resolution angesonnen: eine Abänderung des erwähnten
Gesetzes sei geboten! Die Antwort wurde nach Gebühr ertheilt, von Seiten
der Regierung wie der Kammer: ehe nur ein Wort über die Sache gesprochen
wird — völlige, bedingungslose Unterwerfung der Kirche unter das Gesetz!
Die Folgen ihres rebellischen Verhaltens werden der Kirche unangenehm
spürbar, darum — soll der Staat das von dem Rebellen mißachtete Gesetz
also ändern, daß diesem beliebt, es zu befolgen! Die Kurie hat seiner Zeit
gegen das Prinzip des Gesetzes Einsprache erhoben, indem sie der Kirche das
ausschließliche Recht vindicirte, die Bedingungen, unter welchen ein Kirchenamt
erlangt werden kann, festzustellen. Möglich, daß sie jetzt unter dem Druck des
durch sie verschuldeten Nothstandes geneigt ist, den prinzipiellen Widerspruch
fallen zu lassen (xossumus!) und, wenn Einzelnes nach ihrem Wunsch geändert
ist, das oben erwähnte Verbot zurückzunehmen. Den Staat mag das wenig
kümmern. Ein Mitglied der ultramontanen Fraktion, der Abgeordnete Dr.
Hansjacob, katholischer Geistlicher, hatte sich in dieser Frage von seinen
Fraktionsgenossen getrennt, beziehentlich er trat gegen dieselben auf. Das in
Rede stehende Gesetz billige er nicht, aber die Verantwortung für den jetzigen
Nothstand treffe die Kirche; sie solle ihren Widerstand gegen das Gesetz auf¬
geben, dann, aber auch erst dann, werde man bei der Staatsregierung Aende¬
rungen im Einzelnen beantragen und vielleicht auch erlangen können. Von
dem Schrecken, den dieses Auftreten ihres Fraktivnsgenossen ihnen einjagte,
haben sich die Ultramontanen bis zur Stunde nicht erholt. Wir übergehen
Anderes, indem wir nur noch den Sturmangriff ans das Ministerium Turban
erwähnen, das in seinen Wirkungen vielleicht bedeutendste Ereignis; der bis¬
herigen Session. Dem neuen Ministerium war doch sicher nnter anderen auch
die Aufgabe gestellt, dem Kulturkampf seine schärfsten Spitzen abzubrechen, ein
einigermaßen friedliches Zusammenwirken der verschiedenen Parteien für das
Staatswohl herbeizuführen. Eine kluge Parteiführung ultramontancr Seits
würde diese Situation dahin ausgebeutet haben, daß man, dem Ministerium
möglichst fein und ruhig entgegenkommend, versucht hätte, auf diesem Wege
Einiges zu erreichen, was unter Jolly nicht erlangt werden konnte. Nicht
so unsere Kammerfraktion. Man höre! In der Sitzung vom 23. Januar
beschwerten sich gelegentlich der Verhandlung über das Budget des Staats¬
ministeriums die Ultramontanen, daß der Herr Staatsminister im November
anläßlich der Adreßdebatte gesagt habe, das Land würde eine ultramontane
Negierung nicht ertragen und die Freiheitsversprechungeu der Ultramontanen
könnten diese, ans Ruder gekommen, nicht erfüllen, da der Ultramontanismus
seiner innersten Natur nach absolut reaktionär sei. Das könne sich, meinte
der ultramontane Redner, die „katholische Volkspartei" nicht gefallen lassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/524>, abgerufen am 19.10.2024.