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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Weisheit und Geduld verbarg er ihrem scheuen düstern Blick." Und so ge¬
schah es denn anch auf dem gegenwärtigen Landtag, wie Goethe's Iphigenie
von den Ahnherrn ihres Hauses klagend berichtet: "Zur Wuth ward ihnen
jegliche Begier und grenzenlos drang ihre Wuth umher." Als erste Bombe
schleuderten die Ultramontanen den Initiativantrag auf Einführung des direkten
und allgemeinen Wahlrechts zum Landtag, zur Kreisversammlung und zum
Bezirksrath in den Sitzungssaal der zweiten Kammer. Der Antrag erfuhr
Ablehnung, mit allen Stimmen gegen die der Ultramontanen. Mehrere Redner
von national-liberaler Seite erklärten sich entschieden als Anhänger der direkten
Wahl, zu deren Einführung für den Landtag sie zu gegebener Zeit im Zu¬
sammenhang mit einer größeren, insbesondere auch die erste Kammer in Mit¬
leidenschaft ziehenden Verfassungsrevision mitzuwirken bereit seien. Gegen die
Forderung der direkten Wahl zur Kreisversammlung konnten mit Rücksicht auf
den besonderen Charakter dieses Instituts die ernstesten Bedenken geltend ge¬
macht werden, während es geradezu widersinnig erschien, daß für den Bezirks¬
rath, eine auch mit richterlichen Funktionen ausgestattete Verwaltungsbehörde,
die direkte Wahl gefordert wurde. Das frivole Maskenspiel, welches die
Ultramontanen, die Todfeinde jeder politischen und kommunalen Freiheit, trieben
indem sie sich zum Anwalt der direkten Wahl aufwarfen, verdiente die
scharfen Geißelhiebe, die ihm zu Theil wurden. Dieses widrige Buhlen einer
herrschsüchtigen klerikalen Partei um Volksgunst, dieser "verflucht gescheidte"
Gedanke, mittelst des direkten Wahlrechts die der Priesterautorität zum Theil
"och willenlos verkaufte große Masse blindlings nach bischöflicher und päpst¬
licher Ordre marschiren zu lassen, das hat sogar die demokratischen Abgeord¬
neten in Harnisch gebracht, so daß sie die doktrinäre Prinzipienreiterei bei
Seite ließen und die Sache nahmen, wie sie lag. Nicht glücklicher waren die
Ultramontanen mit einem zweiten Antrag. Derselbe bezog sich auf das Gesetz
vom 19. Februar 1874, demzufolge der Staat von den angehenden Geistlichen
in ähnlicher Weise, wie dies durch die preußischen Maigesetze bestimmt ist, den
speziell durch Ablegung eines Staatsexamens zu erbringenden Nachweis einer
allgemein wissenschaftlichen Vorbildung verlangt. Die katholischen Theologen
halten gemäß bischöflichen Verbots sich von der Prüfung ferne. In Folge
dessen ist ihnen die öffentliche Ausübung kirchlicher Funktionen im Großherzog-
thum untersagt und es findet mithin seit dem Jahr 1874 lediglich kein Zugang
an Priestern für die katholische Kirche in Baden statt, so daß die Ausübung
der Seelsorge nachgerade den größten Schwierigkeiten begegnet. Da haben
nun die Ultramontanen "in Erwägung, daß eine Beilegung der Differenzen
Zwischen Staat und Kirche im Interesse beider gelegen ist" -- höchst naiv,
möchte man sagen, in der That verdient es aber eine andere Bezeichnung ^-


Weisheit und Geduld verbarg er ihrem scheuen düstern Blick." Und so ge¬
schah es denn anch auf dem gegenwärtigen Landtag, wie Goethe's Iphigenie
von den Ahnherrn ihres Hauses klagend berichtet: „Zur Wuth ward ihnen
jegliche Begier und grenzenlos drang ihre Wuth umher." Als erste Bombe
schleuderten die Ultramontanen den Initiativantrag auf Einführung des direkten
und allgemeinen Wahlrechts zum Landtag, zur Kreisversammlung und zum
Bezirksrath in den Sitzungssaal der zweiten Kammer. Der Antrag erfuhr
Ablehnung, mit allen Stimmen gegen die der Ultramontanen. Mehrere Redner
von national-liberaler Seite erklärten sich entschieden als Anhänger der direkten
Wahl, zu deren Einführung für den Landtag sie zu gegebener Zeit im Zu¬
sammenhang mit einer größeren, insbesondere auch die erste Kammer in Mit¬
leidenschaft ziehenden Verfassungsrevision mitzuwirken bereit seien. Gegen die
Forderung der direkten Wahl zur Kreisversammlung konnten mit Rücksicht auf
den besonderen Charakter dieses Instituts die ernstesten Bedenken geltend ge¬
macht werden, während es geradezu widersinnig erschien, daß für den Bezirks¬
rath, eine auch mit richterlichen Funktionen ausgestattete Verwaltungsbehörde,
die direkte Wahl gefordert wurde. Das frivole Maskenspiel, welches die
Ultramontanen, die Todfeinde jeder politischen und kommunalen Freiheit, trieben
indem sie sich zum Anwalt der direkten Wahl aufwarfen, verdiente die
scharfen Geißelhiebe, die ihm zu Theil wurden. Dieses widrige Buhlen einer
herrschsüchtigen klerikalen Partei um Volksgunst, dieser „verflucht gescheidte"
Gedanke, mittelst des direkten Wahlrechts die der Priesterautorität zum Theil
»och willenlos verkaufte große Masse blindlings nach bischöflicher und päpst¬
licher Ordre marschiren zu lassen, das hat sogar die demokratischen Abgeord¬
neten in Harnisch gebracht, so daß sie die doktrinäre Prinzipienreiterei bei
Seite ließen und die Sache nahmen, wie sie lag. Nicht glücklicher waren die
Ultramontanen mit einem zweiten Antrag. Derselbe bezog sich auf das Gesetz
vom 19. Februar 1874, demzufolge der Staat von den angehenden Geistlichen
in ähnlicher Weise, wie dies durch die preußischen Maigesetze bestimmt ist, den
speziell durch Ablegung eines Staatsexamens zu erbringenden Nachweis einer
allgemein wissenschaftlichen Vorbildung verlangt. Die katholischen Theologen
halten gemäß bischöflichen Verbots sich von der Prüfung ferne. In Folge
dessen ist ihnen die öffentliche Ausübung kirchlicher Funktionen im Großherzog-
thum untersagt und es findet mithin seit dem Jahr 1874 lediglich kein Zugang
an Priestern für die katholische Kirche in Baden statt, so daß die Ausübung
der Seelsorge nachgerade den größten Schwierigkeiten begegnet. Da haben
nun die Ultramontanen „in Erwägung, daß eine Beilegung der Differenzen
Zwischen Staat und Kirche im Interesse beider gelegen ist" — höchst naiv,
möchte man sagen, in der That verdient es aber eine andere Bezeichnung ^-


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[0523] Weisheit und Geduld verbarg er ihrem scheuen düstern Blick." Und so ge¬ schah es denn anch auf dem gegenwärtigen Landtag, wie Goethe's Iphigenie von den Ahnherrn ihres Hauses klagend berichtet: „Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier und grenzenlos drang ihre Wuth umher." Als erste Bombe schleuderten die Ultramontanen den Initiativantrag auf Einführung des direkten und allgemeinen Wahlrechts zum Landtag, zur Kreisversammlung und zum Bezirksrath in den Sitzungssaal der zweiten Kammer. Der Antrag erfuhr Ablehnung, mit allen Stimmen gegen die der Ultramontanen. Mehrere Redner von national-liberaler Seite erklärten sich entschieden als Anhänger der direkten Wahl, zu deren Einführung für den Landtag sie zu gegebener Zeit im Zu¬ sammenhang mit einer größeren, insbesondere auch die erste Kammer in Mit¬ leidenschaft ziehenden Verfassungsrevision mitzuwirken bereit seien. Gegen die Forderung der direkten Wahl zur Kreisversammlung konnten mit Rücksicht auf den besonderen Charakter dieses Instituts die ernstesten Bedenken geltend ge¬ macht werden, während es geradezu widersinnig erschien, daß für den Bezirks¬ rath, eine auch mit richterlichen Funktionen ausgestattete Verwaltungsbehörde, die direkte Wahl gefordert wurde. Das frivole Maskenspiel, welches die Ultramontanen, die Todfeinde jeder politischen und kommunalen Freiheit, trieben indem sie sich zum Anwalt der direkten Wahl aufwarfen, verdiente die scharfen Geißelhiebe, die ihm zu Theil wurden. Dieses widrige Buhlen einer herrschsüchtigen klerikalen Partei um Volksgunst, dieser „verflucht gescheidte" Gedanke, mittelst des direkten Wahlrechts die der Priesterautorität zum Theil »och willenlos verkaufte große Masse blindlings nach bischöflicher und päpst¬ licher Ordre marschiren zu lassen, das hat sogar die demokratischen Abgeord¬ neten in Harnisch gebracht, so daß sie die doktrinäre Prinzipienreiterei bei Seite ließen und die Sache nahmen, wie sie lag. Nicht glücklicher waren die Ultramontanen mit einem zweiten Antrag. Derselbe bezog sich auf das Gesetz vom 19. Februar 1874, demzufolge der Staat von den angehenden Geistlichen in ähnlicher Weise, wie dies durch die preußischen Maigesetze bestimmt ist, den speziell durch Ablegung eines Staatsexamens zu erbringenden Nachweis einer allgemein wissenschaftlichen Vorbildung verlangt. Die katholischen Theologen halten gemäß bischöflichen Verbots sich von der Prüfung ferne. In Folge dessen ist ihnen die öffentliche Ausübung kirchlicher Funktionen im Großherzog- thum untersagt und es findet mithin seit dem Jahr 1874 lediglich kein Zugang an Priestern für die katholische Kirche in Baden statt, so daß die Ausübung der Seelsorge nachgerade den größten Schwierigkeiten begegnet. Da haben nun die Ultramontanen „in Erwägung, daß eine Beilegung der Differenzen Zwischen Staat und Kirche im Interesse beider gelegen ist" — höchst naiv, möchte man sagen, in der That verdient es aber eine andere Bezeichnung ^-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/523>, abgerufen am 27.09.2024.