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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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weit und Alphons war als ein rauher, gewaltthätiger Mensch bekannt. Zudem
ist es eine oft wiederkehrende Thatsache, namentlich bei Frauen, daß wer viel
gesündigt und auf dem Gewissen hat, desto frommer mit zunehmenden
Jahren wird, und wenn sich Lukrezia auch nicht gerade in Ferrara als eine
Betschwester gezeigt hat, ihre ausnehmende Frömmigkeit stand sicher mit ihrem
früheren Leben im engsten Zusammenhange. Besonders nach ihres Vaters
Tode, als jene große Katastrophe über die Familie hereinbrach, und sie niemand
befaß, der sie schützen konnte, als König Ludwig XII. zu dem ferraresischen
Gesandten sagte: "ich weiß, Ihr seid nie mit der Heirath zufrieden gewesen,
diese Mad. Lukr. ist auch uicht die wirkliche Gemahlin Alphonsos", damals
hat sie nur dieser fromme Lebenswandel vor schmählichem Untergange geschützt.

Was nun das Lob der Dichter und ferrcireser Geschichtsschreiber anbelangt,
so war dasselbe höfisches Geschmeichel in des Wortes strengster Bedeutung.
Was sonst ganz bedeutende und ehrbare Männer in jenen Tagen darin ge¬
leistet, übersteigt eigentlich jeden Glauben. Das Wunderbare ist nur, daß ihnen
dies von niemandem verdacht wurde. Wie ihr gehuldigt wurde, darüber gibt
uns Gregorovius selbst die gediegensten Beispiele. Schon ans ihrer Reise nach
Ferrara wurde sie überall mit Anreden begrüßt; in Foligno kam ihr die
Römische Lukrezia entgegen und sagte: "da sie von ihr an Keuschheit, Bescheiden¬
heit, Klugheit und Sittsamkeit übertroffen werde, so weiche sie und räume ihr
diesen Platz ein"; ein andermal stand bei einem Feste ein Paris mit dein
Apfel da und erklärte, jetzt widerrufe er sein Urtheil, da in Lukrezia mehr
vou den Eigenschaften vereinigt seien, als in jenen drei Göttinnen, und dergl. mehr.
Ihre Schönheit wurde über die der Helena gestellt, weil sie sich mit "unver¬
gleichlicher Sittsamkeit" vereinige. Auch Ariost hat sie mit der römischen
Lukrezia verglichen, als sie in Ferrara einzog und diese Stadt beneidet, daß
sie ein so unvergleichliches Juwel besitze/") Der jüngere Strozzi nannte sie
eine Juno an hülfreichen Werken, eine Pallas an Sitte und eine Venus von
Angesicht, der marmorne Cupido sei von dem Blicke ihrer Augen versteinert
worden. Aber nicht genug. Als Lukrezia am 4. April 1508 einen Sohn
gebar, feierte Ercole Strozzi dieses Ereigniß, man höre, durch den Wunsch,
"daß diesem Sohne einst die Thaten seines Oheims Cesare und
seines Großvaters Alexander ein Vorbild (sie) sein möchten, denn
beide, setzte er geschmackvoll hinzu, würden ihn an die Scipionen und die
Helden Griechenlands gemahnen", und nach dem Tode ihres Vaters schrieb er



Ariost stellte in den Ehrcntcmvel der Frauen, im 42. Gesänge des Orlando furioso
das Bild Lukrezias auf; die Inschrift des Bildes sagte, daß ihr Vaterland Rom sie um
ihrer Schönheit und Sittsamkeit willen der antiken Lukrezia vorziehen müsse.

weit und Alphons war als ein rauher, gewaltthätiger Mensch bekannt. Zudem
ist es eine oft wiederkehrende Thatsache, namentlich bei Frauen, daß wer viel
gesündigt und auf dem Gewissen hat, desto frommer mit zunehmenden
Jahren wird, und wenn sich Lukrezia auch nicht gerade in Ferrara als eine
Betschwester gezeigt hat, ihre ausnehmende Frömmigkeit stand sicher mit ihrem
früheren Leben im engsten Zusammenhange. Besonders nach ihres Vaters
Tode, als jene große Katastrophe über die Familie hereinbrach, und sie niemand
befaß, der sie schützen konnte, als König Ludwig XII. zu dem ferraresischen
Gesandten sagte: „ich weiß, Ihr seid nie mit der Heirath zufrieden gewesen,
diese Mad. Lukr. ist auch uicht die wirkliche Gemahlin Alphonsos", damals
hat sie nur dieser fromme Lebenswandel vor schmählichem Untergange geschützt.

Was nun das Lob der Dichter und ferrcireser Geschichtsschreiber anbelangt,
so war dasselbe höfisches Geschmeichel in des Wortes strengster Bedeutung.
Was sonst ganz bedeutende und ehrbare Männer in jenen Tagen darin ge¬
leistet, übersteigt eigentlich jeden Glauben. Das Wunderbare ist nur, daß ihnen
dies von niemandem verdacht wurde. Wie ihr gehuldigt wurde, darüber gibt
uns Gregorovius selbst die gediegensten Beispiele. Schon ans ihrer Reise nach
Ferrara wurde sie überall mit Anreden begrüßt; in Foligno kam ihr die
Römische Lukrezia entgegen und sagte: „da sie von ihr an Keuschheit, Bescheiden¬
heit, Klugheit und Sittsamkeit übertroffen werde, so weiche sie und räume ihr
diesen Platz ein"; ein andermal stand bei einem Feste ein Paris mit dein
Apfel da und erklärte, jetzt widerrufe er sein Urtheil, da in Lukrezia mehr
vou den Eigenschaften vereinigt seien, als in jenen drei Göttinnen, und dergl. mehr.
Ihre Schönheit wurde über die der Helena gestellt, weil sie sich mit „unver¬
gleichlicher Sittsamkeit" vereinige. Auch Ariost hat sie mit der römischen
Lukrezia verglichen, als sie in Ferrara einzog und diese Stadt beneidet, daß
sie ein so unvergleichliches Juwel besitze/") Der jüngere Strozzi nannte sie
eine Juno an hülfreichen Werken, eine Pallas an Sitte und eine Venus von
Angesicht, der marmorne Cupido sei von dem Blicke ihrer Augen versteinert
worden. Aber nicht genug. Als Lukrezia am 4. April 1508 einen Sohn
gebar, feierte Ercole Strozzi dieses Ereigniß, man höre, durch den Wunsch,
„daß diesem Sohne einst die Thaten seines Oheims Cesare und
seines Großvaters Alexander ein Vorbild (sie) sein möchten, denn
beide, setzte er geschmackvoll hinzu, würden ihn an die Scipionen und die
Helden Griechenlands gemahnen", und nach dem Tode ihres Vaters schrieb er



Ariost stellte in den Ehrcntcmvel der Frauen, im 42. Gesänge des Orlando furioso
das Bild Lukrezias auf; die Inschrift des Bildes sagte, daß ihr Vaterland Rom sie um
ihrer Schönheit und Sittsamkeit willen der antiken Lukrezia vorziehen müsse.
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[0504] weit und Alphons war als ein rauher, gewaltthätiger Mensch bekannt. Zudem ist es eine oft wiederkehrende Thatsache, namentlich bei Frauen, daß wer viel gesündigt und auf dem Gewissen hat, desto frommer mit zunehmenden Jahren wird, und wenn sich Lukrezia auch nicht gerade in Ferrara als eine Betschwester gezeigt hat, ihre ausnehmende Frömmigkeit stand sicher mit ihrem früheren Leben im engsten Zusammenhange. Besonders nach ihres Vaters Tode, als jene große Katastrophe über die Familie hereinbrach, und sie niemand befaß, der sie schützen konnte, als König Ludwig XII. zu dem ferraresischen Gesandten sagte: „ich weiß, Ihr seid nie mit der Heirath zufrieden gewesen, diese Mad. Lukr. ist auch uicht die wirkliche Gemahlin Alphonsos", damals hat sie nur dieser fromme Lebenswandel vor schmählichem Untergange geschützt. Was nun das Lob der Dichter und ferrcireser Geschichtsschreiber anbelangt, so war dasselbe höfisches Geschmeichel in des Wortes strengster Bedeutung. Was sonst ganz bedeutende und ehrbare Männer in jenen Tagen darin ge¬ leistet, übersteigt eigentlich jeden Glauben. Das Wunderbare ist nur, daß ihnen dies von niemandem verdacht wurde. Wie ihr gehuldigt wurde, darüber gibt uns Gregorovius selbst die gediegensten Beispiele. Schon ans ihrer Reise nach Ferrara wurde sie überall mit Anreden begrüßt; in Foligno kam ihr die Römische Lukrezia entgegen und sagte: „da sie von ihr an Keuschheit, Bescheiden¬ heit, Klugheit und Sittsamkeit übertroffen werde, so weiche sie und räume ihr diesen Platz ein"; ein andermal stand bei einem Feste ein Paris mit dein Apfel da und erklärte, jetzt widerrufe er sein Urtheil, da in Lukrezia mehr vou den Eigenschaften vereinigt seien, als in jenen drei Göttinnen, und dergl. mehr. Ihre Schönheit wurde über die der Helena gestellt, weil sie sich mit „unver¬ gleichlicher Sittsamkeit" vereinige. Auch Ariost hat sie mit der römischen Lukrezia verglichen, als sie in Ferrara einzog und diese Stadt beneidet, daß sie ein so unvergleichliches Juwel besitze/") Der jüngere Strozzi nannte sie eine Juno an hülfreichen Werken, eine Pallas an Sitte und eine Venus von Angesicht, der marmorne Cupido sei von dem Blicke ihrer Augen versteinert worden. Aber nicht genug. Als Lukrezia am 4. April 1508 einen Sohn gebar, feierte Ercole Strozzi dieses Ereigniß, man höre, durch den Wunsch, „daß diesem Sohne einst die Thaten seines Oheims Cesare und seines Großvaters Alexander ein Vorbild (sie) sein möchten, denn beide, setzte er geschmackvoll hinzu, würden ihn an die Scipionen und die Helden Griechenlands gemahnen", und nach dem Tode ihres Vaters schrieb er Ariost stellte in den Ehrcntcmvel der Frauen, im 42. Gesänge des Orlando furioso das Bild Lukrezias auf; die Inschrift des Bildes sagte, daß ihr Vaterland Rom sie um ihrer Schönheit und Sittsamkeit willen der antiken Lukrezia vorziehen müsse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/504>, abgerufen am 27.09.2024.