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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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"Mir unerkannter Feind, und vielen unerkannter, o Herz! schwarz wie
ein Mohr und fleckige wie der Panther! Pandorens Mordgefäß, woraus das
Uebel flog, und wachsend in dem Flug durch beide Welten zog! Es wäre
Lästerung, dir Gott zum Schöpfer geben -- Last'rung, ist Gott ein Gott, im
Tode nicht vergeben!"

Doch setzt er in der Vorrede hinzu: "Man stoße sich an nichts. Das
alles sind Einwürfe, die in den folgenden Gesängen widerlegt werden, wo das
jetzt geschilderte Elend selbst der Wegweiser zur Religion werden muß." Doch
ist es nicht dazu gekommen.

Naturgemäß war Klop stock einer der ersten Gegenstände seiner Kritik.
Er vertheidigte ihn (April 1751) gegen die Gottschedianer, schon um die Platt¬
heit zu ärgern. Er macht darauf aufmerksam, daß man den ganzen Bau des
Gedichts noch nicht übersehen könne und sich daher auf die Kritik des Einzelnen
beschränken müsse: in der That beschränkte sich seine Auslegung so ziemlich auf die
ersten zwanzig Verse, die er in Bezug auf die Sprache mit philologischer Ge¬
nauigkeit untersucht. Zugleich übersetzte er den Anfang des Gedichts in latei¬
nische Hexameter, worin der Fürstenschüler aus Meißen sehr geübt war. Mit¬
unter merkt man, daß es ihm schwer wird, seine Gravität zu wahren, wenig-
wenigstens sieht seine Uebersetzung des bekannten Anfangs: "Sing' unsterbliche
Seele! der sündigen Menschen Erlösung!" in: "Ich unsterblicher Klopstock
singe" u. s. w. sehr verfänglich aus.

"Wer wird nicht einen Klopstock loben! Doch wird ihn jeder lesen?
Nein! -- Wir wollen weniger erhoben, und fleißiger gelesen sein."

Immerhin beschäftigte ihn der Messias unausgesetzt, und er suchte ihm
von allen Seiten beizukommen, ohne daß es ihm recht gelingen wollte. "Wenn
der Verfasser des Messias", schreibt er Mai 1751, "kein Dichter ist, so ist
er doch ein Vertheidiger unsrer Religion. Und dies ist er mehr, als alle
Schriftsteller sogenannter geretteter Offenbarungen. Zu einer Zeit, da man
das Christenthum nur durch Spöttereien bestreitet, wären ernsthafte Schlüsse
übel verschwendet. Den bündigsten Schluß kann man durch einen Einfall
zwar nicht widerlegen, aber man kann ihm den Weg zur Ueberzeugung ab¬
schneiden. Man setze Witz dem Witz entgegen. Sucht man die Religion ver¬
ächtlich zu machen, so suche man auf der andern Seite sie in all dem Glanz
darzustellen, wie sie unsre Ehrfurcht verdient. Dies hat der Dichter gethan.
Das erhabenste Geheimniß weiß er auf einer Seite zu schildern, wo man
gern seine Unbegreiflichkeit vergißt und sich in Bewunderung verliert. Er
weiß in seinen Lesern den Wunsch zu erwecken, daß das Christenthum wahr
sein möchte, gesetzt auch, wir wären so- unglücklich, daß es nicht wahr sei.
Unser Urtheil schlägt sich allezeit auf die Seite unsers Wunsches; wenn dieser


Grenzboten I. 1378. 67

„Mir unerkannter Feind, und vielen unerkannter, o Herz! schwarz wie
ein Mohr und fleckige wie der Panther! Pandorens Mordgefäß, woraus das
Uebel flog, und wachsend in dem Flug durch beide Welten zog! Es wäre
Lästerung, dir Gott zum Schöpfer geben — Last'rung, ist Gott ein Gott, im
Tode nicht vergeben!"

Doch setzt er in der Vorrede hinzu: „Man stoße sich an nichts. Das
alles sind Einwürfe, die in den folgenden Gesängen widerlegt werden, wo das
jetzt geschilderte Elend selbst der Wegweiser zur Religion werden muß." Doch
ist es nicht dazu gekommen.

Naturgemäß war Klop stock einer der ersten Gegenstände seiner Kritik.
Er vertheidigte ihn (April 1751) gegen die Gottschedianer, schon um die Platt¬
heit zu ärgern. Er macht darauf aufmerksam, daß man den ganzen Bau des
Gedichts noch nicht übersehen könne und sich daher auf die Kritik des Einzelnen
beschränken müsse: in der That beschränkte sich seine Auslegung so ziemlich auf die
ersten zwanzig Verse, die er in Bezug auf die Sprache mit philologischer Ge¬
nauigkeit untersucht. Zugleich übersetzte er den Anfang des Gedichts in latei¬
nische Hexameter, worin der Fürstenschüler aus Meißen sehr geübt war. Mit¬
unter merkt man, daß es ihm schwer wird, seine Gravität zu wahren, wenig-
wenigstens sieht seine Uebersetzung des bekannten Anfangs: „Sing' unsterbliche
Seele! der sündigen Menschen Erlösung!" in: „Ich unsterblicher Klopstock
singe" u. s. w. sehr verfänglich aus.

„Wer wird nicht einen Klopstock loben! Doch wird ihn jeder lesen?
Nein! — Wir wollen weniger erhoben, und fleißiger gelesen sein."

Immerhin beschäftigte ihn der Messias unausgesetzt, und er suchte ihm
von allen Seiten beizukommen, ohne daß es ihm recht gelingen wollte. „Wenn
der Verfasser des Messias", schreibt er Mai 1751, „kein Dichter ist, so ist
er doch ein Vertheidiger unsrer Religion. Und dies ist er mehr, als alle
Schriftsteller sogenannter geretteter Offenbarungen. Zu einer Zeit, da man
das Christenthum nur durch Spöttereien bestreitet, wären ernsthafte Schlüsse
übel verschwendet. Den bündigsten Schluß kann man durch einen Einfall
zwar nicht widerlegen, aber man kann ihm den Weg zur Ueberzeugung ab¬
schneiden. Man setze Witz dem Witz entgegen. Sucht man die Religion ver¬
ächtlich zu machen, so suche man auf der andern Seite sie in all dem Glanz
darzustellen, wie sie unsre Ehrfurcht verdient. Dies hat der Dichter gethan.
Das erhabenste Geheimniß weiß er auf einer Seite zu schildern, wo man
gern seine Unbegreiflichkeit vergißt und sich in Bewunderung verliert. Er
weiß in seinen Lesern den Wunsch zu erwecken, daß das Christenthum wahr
sein möchte, gesetzt auch, wir wären so- unglücklich, daß es nicht wahr sei.
Unser Urtheil schlägt sich allezeit auf die Seite unsers Wunsches; wenn dieser


Grenzboten I. 1378. 67
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[0457] „Mir unerkannter Feind, und vielen unerkannter, o Herz! schwarz wie ein Mohr und fleckige wie der Panther! Pandorens Mordgefäß, woraus das Uebel flog, und wachsend in dem Flug durch beide Welten zog! Es wäre Lästerung, dir Gott zum Schöpfer geben — Last'rung, ist Gott ein Gott, im Tode nicht vergeben!" Doch setzt er in der Vorrede hinzu: „Man stoße sich an nichts. Das alles sind Einwürfe, die in den folgenden Gesängen widerlegt werden, wo das jetzt geschilderte Elend selbst der Wegweiser zur Religion werden muß." Doch ist es nicht dazu gekommen. Naturgemäß war Klop stock einer der ersten Gegenstände seiner Kritik. Er vertheidigte ihn (April 1751) gegen die Gottschedianer, schon um die Platt¬ heit zu ärgern. Er macht darauf aufmerksam, daß man den ganzen Bau des Gedichts noch nicht übersehen könne und sich daher auf die Kritik des Einzelnen beschränken müsse: in der That beschränkte sich seine Auslegung so ziemlich auf die ersten zwanzig Verse, die er in Bezug auf die Sprache mit philologischer Ge¬ nauigkeit untersucht. Zugleich übersetzte er den Anfang des Gedichts in latei¬ nische Hexameter, worin der Fürstenschüler aus Meißen sehr geübt war. Mit¬ unter merkt man, daß es ihm schwer wird, seine Gravität zu wahren, wenig- wenigstens sieht seine Uebersetzung des bekannten Anfangs: „Sing' unsterbliche Seele! der sündigen Menschen Erlösung!" in: „Ich unsterblicher Klopstock singe" u. s. w. sehr verfänglich aus. „Wer wird nicht einen Klopstock loben! Doch wird ihn jeder lesen? Nein! — Wir wollen weniger erhoben, und fleißiger gelesen sein." Immerhin beschäftigte ihn der Messias unausgesetzt, und er suchte ihm von allen Seiten beizukommen, ohne daß es ihm recht gelingen wollte. „Wenn der Verfasser des Messias", schreibt er Mai 1751, „kein Dichter ist, so ist er doch ein Vertheidiger unsrer Religion. Und dies ist er mehr, als alle Schriftsteller sogenannter geretteter Offenbarungen. Zu einer Zeit, da man das Christenthum nur durch Spöttereien bestreitet, wären ernsthafte Schlüsse übel verschwendet. Den bündigsten Schluß kann man durch einen Einfall zwar nicht widerlegen, aber man kann ihm den Weg zur Ueberzeugung ab¬ schneiden. Man setze Witz dem Witz entgegen. Sucht man die Religion ver¬ ächtlich zu machen, so suche man auf der andern Seite sie in all dem Glanz darzustellen, wie sie unsre Ehrfurcht verdient. Dies hat der Dichter gethan. Das erhabenste Geheimniß weiß er auf einer Seite zu schildern, wo man gern seine Unbegreiflichkeit vergißt und sich in Bewunderung verliert. Er weiß in seinen Lesern den Wunsch zu erwecken, daß das Christenthum wahr sein möchte, gesetzt auch, wir wären so- unglücklich, daß es nicht wahr sei. Unser Urtheil schlägt sich allezeit auf die Seite unsers Wunsches; wenn dieser Grenzboten I. 1378. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/457>, abgerufen am 27.09.2024.