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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Vielleicht hatten die makedonischer Heraklciden ebenso wie die peloponne-
sischen ihre Macht und ihr Recht ans die Unterwerfung der Altheimischen ge¬
gründet, indem sie sich ans ihre persönliche Gefolgschaft, ihre Hetairen, stütz¬
ten. Das makedonische Königthum haftete an dem althercikleidischen Ge¬
schlechte; aber die Erbfolge war unsicher, und darin lag eine namhafte Ge¬
fahr, eine Quelle unendlichen Zweifels und Haders, doch auch ein mächtiger
Ansporn. Von dem, der sie inne hatte, forderte die königliche Gewalt persön¬
liche Leistung und Tüchtigkeit.

Wenig ist überliefert von der Verfassung und Verwaltung Make¬
doniens. Es scheint, daß zuweilen jüngere Söhne des Königs Seknndvgcni-
turen, ja auch wohl Andere eine Art Lehnsfürstenthums unter der Obergewalt
des Königs empfingen. Die Masse des Volkes, wenn auch ursprünglich unter¬
worfen, bestand doch 'nicht wie in Lakedaimon ans Heiloten, sondern aus
freien Bauern, die zu allgemeinem Heerbann pflichtig waren. Noch in spä¬
ter Zeit gilt das Heer als versammeltes Volk und wird als solches berufen
zu Berathung und Gericht. Deutlich tritt der zahlreiche Adel der Hetairen,
der Kriegsgesellen des Königs hervor, wohlhabende, zum Theil reiche Grund¬
besitzer, welche Güterkomplexe besaßen, wie sie sonst in der hellenischen Welt,
wenigstens innerhalb der Thermopylen, nicht mehr vorkamen. Größere Städte
gab es in diesem Bauern- und Adelslande nicht; die an der Küste gelegenen
Handelsplätze waren durchaus selbständige Gemeinwesen, hellenische Kolonien
die zu dem Binnenlande in bewußtem Gegensatze standen.

Zu einer Zeit, da im südlichen Griechenlande die Verfeinerung des Le¬
bens schon einen hohen Grad erreicht hatte, zeichnete sich Makedonien durch
die Derbheit seiner alterthümlichen Sitten ans. Wer noch keinen Eber
im freien Anlaufe abgefangen, durfte bei Tische nicht liegen, sondern saß;
wer noch keinen Feind getödtet, gürtete seine Hüften mit einem Halfterstrick.
Während alle anderen griechischen Stämme nach dem Siege Trophäen auf¬
richteten, war dies bei den Makedonen nicht üblich. Denn es ging die Sage,
daß die Trophäen des ersten Sieges, welchen Perdikkas über einheimische Stämme
erfochten, durch den Willen der Götter über Nacht von einem Löwen umge¬
rissen worden seien, zum Zeichen, daß man nicht Feinde unterworfen, sondern
Freunde gewonnen habe.

Lebhaftere Beziehungen Makedoniens zum Griechenthume hatten zur Zeit
der Perserkriege begonnen. Dem Könige Alexandros, welchen Pindar den
"Philhellenen" nennt, wurde die Anerkennung, daß er hellenischer Abstammung
und zu den Wettspielen in Olympia berechtigt sei. Er wie seine nächsten
Nachfolger förderten eifrig die Beziehungen zu Griechenland, und während der
peloponnesische Krieg Hellas verwirrte und zerriß, schritt Makedonien unter


Vielleicht hatten die makedonischer Heraklciden ebenso wie die peloponne-
sischen ihre Macht und ihr Recht ans die Unterwerfung der Altheimischen ge¬
gründet, indem sie sich ans ihre persönliche Gefolgschaft, ihre Hetairen, stütz¬
ten. Das makedonische Königthum haftete an dem althercikleidischen Ge¬
schlechte; aber die Erbfolge war unsicher, und darin lag eine namhafte Ge¬
fahr, eine Quelle unendlichen Zweifels und Haders, doch auch ein mächtiger
Ansporn. Von dem, der sie inne hatte, forderte die königliche Gewalt persön¬
liche Leistung und Tüchtigkeit.

Wenig ist überliefert von der Verfassung und Verwaltung Make¬
doniens. Es scheint, daß zuweilen jüngere Söhne des Königs Seknndvgcni-
turen, ja auch wohl Andere eine Art Lehnsfürstenthums unter der Obergewalt
des Königs empfingen. Die Masse des Volkes, wenn auch ursprünglich unter¬
worfen, bestand doch 'nicht wie in Lakedaimon ans Heiloten, sondern aus
freien Bauern, die zu allgemeinem Heerbann pflichtig waren. Noch in spä¬
ter Zeit gilt das Heer als versammeltes Volk und wird als solches berufen
zu Berathung und Gericht. Deutlich tritt der zahlreiche Adel der Hetairen,
der Kriegsgesellen des Königs hervor, wohlhabende, zum Theil reiche Grund¬
besitzer, welche Güterkomplexe besaßen, wie sie sonst in der hellenischen Welt,
wenigstens innerhalb der Thermopylen, nicht mehr vorkamen. Größere Städte
gab es in diesem Bauern- und Adelslande nicht; die an der Küste gelegenen
Handelsplätze waren durchaus selbständige Gemeinwesen, hellenische Kolonien
die zu dem Binnenlande in bewußtem Gegensatze standen.

Zu einer Zeit, da im südlichen Griechenlande die Verfeinerung des Le¬
bens schon einen hohen Grad erreicht hatte, zeichnete sich Makedonien durch
die Derbheit seiner alterthümlichen Sitten ans. Wer noch keinen Eber
im freien Anlaufe abgefangen, durfte bei Tische nicht liegen, sondern saß;
wer noch keinen Feind getödtet, gürtete seine Hüften mit einem Halfterstrick.
Während alle anderen griechischen Stämme nach dem Siege Trophäen auf¬
richteten, war dies bei den Makedonen nicht üblich. Denn es ging die Sage,
daß die Trophäen des ersten Sieges, welchen Perdikkas über einheimische Stämme
erfochten, durch den Willen der Götter über Nacht von einem Löwen umge¬
rissen worden seien, zum Zeichen, daß man nicht Feinde unterworfen, sondern
Freunde gewonnen habe.

Lebhaftere Beziehungen Makedoniens zum Griechenthume hatten zur Zeit
der Perserkriege begonnen. Dem Könige Alexandros, welchen Pindar den
„Philhellenen" nennt, wurde die Anerkennung, daß er hellenischer Abstammung
und zu den Wettspielen in Olympia berechtigt sei. Er wie seine nächsten
Nachfolger förderten eifrig die Beziehungen zu Griechenland, und während der
peloponnesische Krieg Hellas verwirrte und zerriß, schritt Makedonien unter


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[0422] Vielleicht hatten die makedonischer Heraklciden ebenso wie die peloponne- sischen ihre Macht und ihr Recht ans die Unterwerfung der Altheimischen ge¬ gründet, indem sie sich ans ihre persönliche Gefolgschaft, ihre Hetairen, stütz¬ ten. Das makedonische Königthum haftete an dem althercikleidischen Ge¬ schlechte; aber die Erbfolge war unsicher, und darin lag eine namhafte Ge¬ fahr, eine Quelle unendlichen Zweifels und Haders, doch auch ein mächtiger Ansporn. Von dem, der sie inne hatte, forderte die königliche Gewalt persön¬ liche Leistung und Tüchtigkeit. Wenig ist überliefert von der Verfassung und Verwaltung Make¬ doniens. Es scheint, daß zuweilen jüngere Söhne des Königs Seknndvgcni- turen, ja auch wohl Andere eine Art Lehnsfürstenthums unter der Obergewalt des Königs empfingen. Die Masse des Volkes, wenn auch ursprünglich unter¬ worfen, bestand doch 'nicht wie in Lakedaimon ans Heiloten, sondern aus freien Bauern, die zu allgemeinem Heerbann pflichtig waren. Noch in spä¬ ter Zeit gilt das Heer als versammeltes Volk und wird als solches berufen zu Berathung und Gericht. Deutlich tritt der zahlreiche Adel der Hetairen, der Kriegsgesellen des Königs hervor, wohlhabende, zum Theil reiche Grund¬ besitzer, welche Güterkomplexe besaßen, wie sie sonst in der hellenischen Welt, wenigstens innerhalb der Thermopylen, nicht mehr vorkamen. Größere Städte gab es in diesem Bauern- und Adelslande nicht; die an der Küste gelegenen Handelsplätze waren durchaus selbständige Gemeinwesen, hellenische Kolonien die zu dem Binnenlande in bewußtem Gegensatze standen. Zu einer Zeit, da im südlichen Griechenlande die Verfeinerung des Le¬ bens schon einen hohen Grad erreicht hatte, zeichnete sich Makedonien durch die Derbheit seiner alterthümlichen Sitten ans. Wer noch keinen Eber im freien Anlaufe abgefangen, durfte bei Tische nicht liegen, sondern saß; wer noch keinen Feind getödtet, gürtete seine Hüften mit einem Halfterstrick. Während alle anderen griechischen Stämme nach dem Siege Trophäen auf¬ richteten, war dies bei den Makedonen nicht üblich. Denn es ging die Sage, daß die Trophäen des ersten Sieges, welchen Perdikkas über einheimische Stämme erfochten, durch den Willen der Götter über Nacht von einem Löwen umge¬ rissen worden seien, zum Zeichen, daß man nicht Feinde unterworfen, sondern Freunde gewonnen habe. Lebhaftere Beziehungen Makedoniens zum Griechenthume hatten zur Zeit der Perserkriege begonnen. Dem Könige Alexandros, welchen Pindar den „Philhellenen" nennt, wurde die Anerkennung, daß er hellenischer Abstammung und zu den Wettspielen in Olympia berechtigt sei. Er wie seine nächsten Nachfolger förderten eifrig die Beziehungen zu Griechenland, und während der peloponnesische Krieg Hellas verwirrte und zerriß, schritt Makedonien unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/422>, abgerufen am 27.09.2024.