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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Verfasser stand eine reiche Fülle alter Erinnerungen zu Gebote, in Kontribution
gesetzte Freunde haben mitgeholfen, und so machen eine große Anzahl im Volks¬
munde vagabondirender Lieder (67 Nummern), hier zum ersten Male gedruckt'
das anspruchslose Büchlein zu einer oäitio xrinosxs, welche auch uach der Text¬
seite hin nicht ohne wissenschaftlichen Werth ist; denn hier ist "mit philologi¬
scher Akribie und ästhetischem Verständniß nach pädagogischen Prinzipien....
und doch ohne philiströse Pedanterie gearbeitet", wie ein andrer deutschelnder
Rezensent, übrigens sachlich mit vollem Rechte bemerkt. In dieser Beziehung
ist mir nur der Schlußvers des Liedes Nro. 150 aufgefallen, welcher nach
der lokalen Tradition Naumburgs, Pforta's u. s. w. also lautet: "Und zu
Ehren des Mirakul Ist alljährlich ein Spektakul. Kennt Ihr nicht das
Kirschenfest, Wo man's Geld in Zelten läßt? Freiheit und Viktoria!" --
Ich brauche nur die Ueberschriften der einzelnen Abtheilungen zu nennen:
Wanderlieder (9 Nummern), Marschlieder (27 Nummern), Ringellieder und
Ringelreime (8 Um.), Zählgeschichten (10 Um.), Lieder mit Geberdenspiel oder
sonstigem Beiwerk (22 Um.), Tanzlieder und Jodler (37 Um.), Kanons (17
Um.), Heitere Laune in allerlei Gestalt (127 Um.) und Antikes und Altdeut¬
sches (18 Um.; welch' letztere Abtheilung übrigens besser dem lustigen Lieder¬
buche als Anhang beigegeben worden wäre), um die Behauptung zu begründen,
daß das Büchlein im wesentlichen auch den Vorzug der Vollständigkeit ver¬
dient. Das "lustige Liederbuch" wäre überflüssig, wenn es ein Commersbuch
sein wollte; aber das will es nicht sein; es fehlt deshalb alles spezifisch stu¬
dentische, und in dieser Beziehung ist in keiner Weise vorgegriffen worden.
Und das ist recht so; denn hier kann auch der ausgelassenste Primaner seinen
Uebermuth im Sänge austoben; die Schranken sind weit genug gesteckt; auch
die Trinklieder z. B. fehlen nicht, alle nach Form und Inhalt durchaus unan¬
stößig; so sind auch die Liebeslieder (Ur. 184--192) die einzigen, welche in
einer derartigen Sammlung entbehrlich gewesen wären, soweit sie nicht in den
Spezialbeziehungen der einzelnen Verse anderen Zwecken dienen.

Die "Schnurren" muß man singen, nicht lesen; es sind einige köst¬
liche Perlen darunter; rhythmisch allen voran und, wenn nach der unter¬
gedruckten Anweisung ausgeführt, von durchschlagender Wirkung die köstliche
Schnurre Ur. 58 in chinesischem Ton. -- Und wer für Ur. 50: "El was bin
ich für ein lustiger Bub", eine gewandte Zunge hat, der kann des Erfolgs
sicher sein. In dem gesungenen "Schöps am Meere" Ur. 131 findet man ge¬
wiß die Perle, welche der Verfasser in dieser Blüthe hochgespannter Blödsinns
zu besitzen meint, während der "Stiefelknecht zu Moskau" auch ohne die In¬
anspruchnahme der Stimmritze ein genußreiches Bild bietet.

Scheffel bewahrt sich indessen, so gut sein Ton auch in diesem Liedchen


Verfasser stand eine reiche Fülle alter Erinnerungen zu Gebote, in Kontribution
gesetzte Freunde haben mitgeholfen, und so machen eine große Anzahl im Volks¬
munde vagabondirender Lieder (67 Nummern), hier zum ersten Male gedruckt'
das anspruchslose Büchlein zu einer oäitio xrinosxs, welche auch uach der Text¬
seite hin nicht ohne wissenschaftlichen Werth ist; denn hier ist „mit philologi¬
scher Akribie und ästhetischem Verständniß nach pädagogischen Prinzipien....
und doch ohne philiströse Pedanterie gearbeitet", wie ein andrer deutschelnder
Rezensent, übrigens sachlich mit vollem Rechte bemerkt. In dieser Beziehung
ist mir nur der Schlußvers des Liedes Nro. 150 aufgefallen, welcher nach
der lokalen Tradition Naumburgs, Pforta's u. s. w. also lautet: „Und zu
Ehren des Mirakul Ist alljährlich ein Spektakul. Kennt Ihr nicht das
Kirschenfest, Wo man's Geld in Zelten läßt? Freiheit und Viktoria!" —
Ich brauche nur die Ueberschriften der einzelnen Abtheilungen zu nennen:
Wanderlieder (9 Nummern), Marschlieder (27 Nummern), Ringellieder und
Ringelreime (8 Um.), Zählgeschichten (10 Um.), Lieder mit Geberdenspiel oder
sonstigem Beiwerk (22 Um.), Tanzlieder und Jodler (37 Um.), Kanons (17
Um.), Heitere Laune in allerlei Gestalt (127 Um.) und Antikes und Altdeut¬
sches (18 Um.; welch' letztere Abtheilung übrigens besser dem lustigen Lieder¬
buche als Anhang beigegeben worden wäre), um die Behauptung zu begründen,
daß das Büchlein im wesentlichen auch den Vorzug der Vollständigkeit ver¬
dient. Das „lustige Liederbuch" wäre überflüssig, wenn es ein Commersbuch
sein wollte; aber das will es nicht sein; es fehlt deshalb alles spezifisch stu¬
dentische, und in dieser Beziehung ist in keiner Weise vorgegriffen worden.
Und das ist recht so; denn hier kann auch der ausgelassenste Primaner seinen
Uebermuth im Sänge austoben; die Schranken sind weit genug gesteckt; auch
die Trinklieder z. B. fehlen nicht, alle nach Form und Inhalt durchaus unan¬
stößig; so sind auch die Liebeslieder (Ur. 184—192) die einzigen, welche in
einer derartigen Sammlung entbehrlich gewesen wären, soweit sie nicht in den
Spezialbeziehungen der einzelnen Verse anderen Zwecken dienen.

Die „Schnurren" muß man singen, nicht lesen; es sind einige köst¬
liche Perlen darunter; rhythmisch allen voran und, wenn nach der unter¬
gedruckten Anweisung ausgeführt, von durchschlagender Wirkung die köstliche
Schnurre Ur. 58 in chinesischem Ton. — Und wer für Ur. 50: „El was bin
ich für ein lustiger Bub", eine gewandte Zunge hat, der kann des Erfolgs
sicher sein. In dem gesungenen „Schöps am Meere" Ur. 131 findet man ge¬
wiß die Perle, welche der Verfasser in dieser Blüthe hochgespannter Blödsinns
zu besitzen meint, während der „Stiefelknecht zu Moskau" auch ohne die In¬
anspruchnahme der Stimmritze ein genußreiches Bild bietet.

Scheffel bewahrt sich indessen, so gut sein Ton auch in diesem Liedchen


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[0365] Verfasser stand eine reiche Fülle alter Erinnerungen zu Gebote, in Kontribution gesetzte Freunde haben mitgeholfen, und so machen eine große Anzahl im Volks¬ munde vagabondirender Lieder (67 Nummern), hier zum ersten Male gedruckt' das anspruchslose Büchlein zu einer oäitio xrinosxs, welche auch uach der Text¬ seite hin nicht ohne wissenschaftlichen Werth ist; denn hier ist „mit philologi¬ scher Akribie und ästhetischem Verständniß nach pädagogischen Prinzipien.... und doch ohne philiströse Pedanterie gearbeitet", wie ein andrer deutschelnder Rezensent, übrigens sachlich mit vollem Rechte bemerkt. In dieser Beziehung ist mir nur der Schlußvers des Liedes Nro. 150 aufgefallen, welcher nach der lokalen Tradition Naumburgs, Pforta's u. s. w. also lautet: „Und zu Ehren des Mirakul Ist alljährlich ein Spektakul. Kennt Ihr nicht das Kirschenfest, Wo man's Geld in Zelten läßt? Freiheit und Viktoria!" — Ich brauche nur die Ueberschriften der einzelnen Abtheilungen zu nennen: Wanderlieder (9 Nummern), Marschlieder (27 Nummern), Ringellieder und Ringelreime (8 Um.), Zählgeschichten (10 Um.), Lieder mit Geberdenspiel oder sonstigem Beiwerk (22 Um.), Tanzlieder und Jodler (37 Um.), Kanons (17 Um.), Heitere Laune in allerlei Gestalt (127 Um.) und Antikes und Altdeut¬ sches (18 Um.; welch' letztere Abtheilung übrigens besser dem lustigen Lieder¬ buche als Anhang beigegeben worden wäre), um die Behauptung zu begründen, daß das Büchlein im wesentlichen auch den Vorzug der Vollständigkeit ver¬ dient. Das „lustige Liederbuch" wäre überflüssig, wenn es ein Commersbuch sein wollte; aber das will es nicht sein; es fehlt deshalb alles spezifisch stu¬ dentische, und in dieser Beziehung ist in keiner Weise vorgegriffen worden. Und das ist recht so; denn hier kann auch der ausgelassenste Primaner seinen Uebermuth im Sänge austoben; die Schranken sind weit genug gesteckt; auch die Trinklieder z. B. fehlen nicht, alle nach Form und Inhalt durchaus unan¬ stößig; so sind auch die Liebeslieder (Ur. 184—192) die einzigen, welche in einer derartigen Sammlung entbehrlich gewesen wären, soweit sie nicht in den Spezialbeziehungen der einzelnen Verse anderen Zwecken dienen. Die „Schnurren" muß man singen, nicht lesen; es sind einige köst¬ liche Perlen darunter; rhythmisch allen voran und, wenn nach der unter¬ gedruckten Anweisung ausgeführt, von durchschlagender Wirkung die köstliche Schnurre Ur. 58 in chinesischem Ton. — Und wer für Ur. 50: „El was bin ich für ein lustiger Bub", eine gewandte Zunge hat, der kann des Erfolgs sicher sein. In dem gesungenen „Schöps am Meere" Ur. 131 findet man ge¬ wiß die Perle, welche der Verfasser in dieser Blüthe hochgespannter Blödsinns zu besitzen meint, während der „Stiefelknecht zu Moskau" auch ohne die In¬ anspruchnahme der Stimmritze ein genußreiches Bild bietet. Scheffel bewahrt sich indessen, so gut sein Ton auch in diesem Liedchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/365>, abgerufen am 27.09.2024.