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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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die Erfolge Thebens waren überdies zu jung, um diesen Staat schon als
vollkommen ebenbürtig erscheinen zu lassen. So sehr man auch die Tapferkeit,
Ordnung und Mannszucht der thebüischen Truppen bewunderte, so vermochte
sich doch in den Augen der Hellenen dieser neu erworbene Ruhm noch keines¬
wegs mit der alten Waffenehre Spartas zu messen, zumal dies seine Stadt
so rühmlich vertheidigt hatte. Die kriegerische Tüchtigkeit war aber der
einzige Vorzug, den die Thebaner für sich geltend machen konnten; in allen
übrigen Dingen: Handel, Industrie, Seefahrt, Kunst und Wissenschaft, waren
sie eben das, was man in Griechenland mit sprichwörtlichen Spotte "Boiotier"
nannte. -- In Folge dessen verbündeten sich Athen und Sparta gegen Theben,
beschlossen die Vereinigung ihrer Streitkräfte und verabredeten, daß der Ober¬
befehl über dieselben von fünf zu fünf Tagen wechseln sollte. Der tingere Vor¬
schlag: Sparta möge zu Land, Athen zur See befehligen, fiel durch, weil in
diesem Falle die Athener die Periöken und Heiloten der lakonischer Flotte, die
Spartaner dagegen die attische Bürgerwehr dauernd befehligt haben würden,
wozu man sich nicht entschließen konnte.

Die Staaten des nördlichen Peloponnes traten diesem Bündniß bei;
Arkadien und Messenien sahen sich aufs Aeußerste bedroht, und so brach Epa-
meinondas zum zweitenmale mit einem Heere von 8000 Hopliten nach der
Halbinsel auf. Obgleich die Verbündeten Verschanzungen auf dem Jsthmos
angelegt und mit 20,000 Mann besetzt hatten, gelang es ihm dennoch, durch¬
zubrechen, Verbindung mit Arkadien und Messenien herzustellen und beider
Staaten Existenz zu sichern. Gegen den Heimgekehrten regte sich jedoch der
Neid so entschieden, daß man ihn bei der Boiotarchenwahl umging und ihn
nur zum Aufseher der Straßen und Kanäle ernannte, eine sehr bescheidene
Stellung, in der sich Epameinondas indessen ebenso bewährt haben soll wie
als Feldherr.

Während dieser Zeit war Pelopidas mit Schlichtung und Ordnung schwie¬
riger und verwickelter Verhältnisse in Thessalien und Makedonien beschäftigt
und zuletzt von dem thessalischen Tyrannen in enge Haft nach Pherä gebracht.
Die Thebaner sandten zu seiner Befreiung ein Heer aus, in welches Epamei¬
nondas als gemeiner Kriegsmann eintrat. In Folge der Unfähigkeit der
Boiotarchen wurde dies Heer im Gebirge eingeschlossen und in große Noth ge¬
bracht. Da übertrugen die Truppen dem Epameinondas den Oberbefehl, und
dieser rettete sie nicht nur ans ihrer peinlichen Lage, sondern trieb auch den
thessalischen Fürsten so in die Enge, daß er in die Herausgabe des Pelopidas
willigte.

Leider wirkten die Erfolge des Epameinondas sehr ungünstig auf den
Charakter der thebanischen Nvlksgemeinde, die bald denselben Uebermuth ent-


die Erfolge Thebens waren überdies zu jung, um diesen Staat schon als
vollkommen ebenbürtig erscheinen zu lassen. So sehr man auch die Tapferkeit,
Ordnung und Mannszucht der thebüischen Truppen bewunderte, so vermochte
sich doch in den Augen der Hellenen dieser neu erworbene Ruhm noch keines¬
wegs mit der alten Waffenehre Spartas zu messen, zumal dies seine Stadt
so rühmlich vertheidigt hatte. Die kriegerische Tüchtigkeit war aber der
einzige Vorzug, den die Thebaner für sich geltend machen konnten; in allen
übrigen Dingen: Handel, Industrie, Seefahrt, Kunst und Wissenschaft, waren
sie eben das, was man in Griechenland mit sprichwörtlichen Spotte „Boiotier"
nannte. — In Folge dessen verbündeten sich Athen und Sparta gegen Theben,
beschlossen die Vereinigung ihrer Streitkräfte und verabredeten, daß der Ober¬
befehl über dieselben von fünf zu fünf Tagen wechseln sollte. Der tingere Vor¬
schlag: Sparta möge zu Land, Athen zur See befehligen, fiel durch, weil in
diesem Falle die Athener die Periöken und Heiloten der lakonischer Flotte, die
Spartaner dagegen die attische Bürgerwehr dauernd befehligt haben würden,
wozu man sich nicht entschließen konnte.

Die Staaten des nördlichen Peloponnes traten diesem Bündniß bei;
Arkadien und Messenien sahen sich aufs Aeußerste bedroht, und so brach Epa-
meinondas zum zweitenmale mit einem Heere von 8000 Hopliten nach der
Halbinsel auf. Obgleich die Verbündeten Verschanzungen auf dem Jsthmos
angelegt und mit 20,000 Mann besetzt hatten, gelang es ihm dennoch, durch¬
zubrechen, Verbindung mit Arkadien und Messenien herzustellen und beider
Staaten Existenz zu sichern. Gegen den Heimgekehrten regte sich jedoch der
Neid so entschieden, daß man ihn bei der Boiotarchenwahl umging und ihn
nur zum Aufseher der Straßen und Kanäle ernannte, eine sehr bescheidene
Stellung, in der sich Epameinondas indessen ebenso bewährt haben soll wie
als Feldherr.

Während dieser Zeit war Pelopidas mit Schlichtung und Ordnung schwie¬
riger und verwickelter Verhältnisse in Thessalien und Makedonien beschäftigt
und zuletzt von dem thessalischen Tyrannen in enge Haft nach Pherä gebracht.
Die Thebaner sandten zu seiner Befreiung ein Heer aus, in welches Epamei¬
nondas als gemeiner Kriegsmann eintrat. In Folge der Unfähigkeit der
Boiotarchen wurde dies Heer im Gebirge eingeschlossen und in große Noth ge¬
bracht. Da übertrugen die Truppen dem Epameinondas den Oberbefehl, und
dieser rettete sie nicht nur ans ihrer peinlichen Lage, sondern trieb auch den
thessalischen Fürsten so in die Enge, daß er in die Herausgabe des Pelopidas
willigte.

Leider wirkten die Erfolge des Epameinondas sehr ungünstig auf den
Charakter der thebanischen Nvlksgemeinde, die bald denselben Uebermuth ent-


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[0311] die Erfolge Thebens waren überdies zu jung, um diesen Staat schon als vollkommen ebenbürtig erscheinen zu lassen. So sehr man auch die Tapferkeit, Ordnung und Mannszucht der thebüischen Truppen bewunderte, so vermochte sich doch in den Augen der Hellenen dieser neu erworbene Ruhm noch keines¬ wegs mit der alten Waffenehre Spartas zu messen, zumal dies seine Stadt so rühmlich vertheidigt hatte. Die kriegerische Tüchtigkeit war aber der einzige Vorzug, den die Thebaner für sich geltend machen konnten; in allen übrigen Dingen: Handel, Industrie, Seefahrt, Kunst und Wissenschaft, waren sie eben das, was man in Griechenland mit sprichwörtlichen Spotte „Boiotier" nannte. — In Folge dessen verbündeten sich Athen und Sparta gegen Theben, beschlossen die Vereinigung ihrer Streitkräfte und verabredeten, daß der Ober¬ befehl über dieselben von fünf zu fünf Tagen wechseln sollte. Der tingere Vor¬ schlag: Sparta möge zu Land, Athen zur See befehligen, fiel durch, weil in diesem Falle die Athener die Periöken und Heiloten der lakonischer Flotte, die Spartaner dagegen die attische Bürgerwehr dauernd befehligt haben würden, wozu man sich nicht entschließen konnte. Die Staaten des nördlichen Peloponnes traten diesem Bündniß bei; Arkadien und Messenien sahen sich aufs Aeußerste bedroht, und so brach Epa- meinondas zum zweitenmale mit einem Heere von 8000 Hopliten nach der Halbinsel auf. Obgleich die Verbündeten Verschanzungen auf dem Jsthmos angelegt und mit 20,000 Mann besetzt hatten, gelang es ihm dennoch, durch¬ zubrechen, Verbindung mit Arkadien und Messenien herzustellen und beider Staaten Existenz zu sichern. Gegen den Heimgekehrten regte sich jedoch der Neid so entschieden, daß man ihn bei der Boiotarchenwahl umging und ihn nur zum Aufseher der Straßen und Kanäle ernannte, eine sehr bescheidene Stellung, in der sich Epameinondas indessen ebenso bewährt haben soll wie als Feldherr. Während dieser Zeit war Pelopidas mit Schlichtung und Ordnung schwie¬ riger und verwickelter Verhältnisse in Thessalien und Makedonien beschäftigt und zuletzt von dem thessalischen Tyrannen in enge Haft nach Pherä gebracht. Die Thebaner sandten zu seiner Befreiung ein Heer aus, in welches Epamei¬ nondas als gemeiner Kriegsmann eintrat. In Folge der Unfähigkeit der Boiotarchen wurde dies Heer im Gebirge eingeschlossen und in große Noth ge¬ bracht. Da übertrugen die Truppen dem Epameinondas den Oberbefehl, und dieser rettete sie nicht nur ans ihrer peinlichen Lage, sondern trieb auch den thessalischen Fürsten so in die Enge, daß er in die Herausgabe des Pelopidas willigte. Leider wirkten die Erfolge des Epameinondas sehr ungünstig auf den Charakter der thebanischen Nvlksgemeinde, die bald denselben Uebermuth ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/311>, abgerufen am 20.10.2024.