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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Rücken her an, und es entbrannte ein hartnäckiges Gefecht Mann gegen Mann.
Die Lakedaimonier fochten anfangs mit altbewährter Tapferkeit; aber als
die angesehensten Spartiaten und unter diesen der König selbst gefallen waren,
wandten sie sich zur Flucht. In diese wurde der linke, nur aus Bundesgenossen
bestehende Flügel sogleich mit fortgerissen. Im Lager sammelte sich das ge¬
schlagene Heer.

Die Angaben über die Verluste gehen sehr auseinander. Uebereinstim-
mend schätzen Xenophon und Pausanias den Verlust der Lakedaimonier auf
1000 Todte, wobei 700 Spartiaten. Diodor aber giebt ihren Gesammtverlust
auf 4000 Mann an. -- Auf boiotischer Seite fielen Diodor zufolge 300, nach
Pausanias nur 47, was denu doch sehr unwahrscheinlich ist.

Die taktische Formation, welche Epmneinondas hier bei Leuktra zum
erstenmale angewendet hatte, ist nun die berühmte, vielgenannte schiefe
Schlachtordnung (^o^P"^"/?), deren Kriterium wesentlich in der Unter¬
scheidung von Offensiv- und Defensivflügel liegt und in der Anordnung des
ersteren in tiefer, oder, wie die Griechen sagen, aufrechter Form, bei Beibe¬
haltung der flachen Stellung für den Defensivflügel. Der letztere wird in der
Schlacht, wie man es heute nennen würde, "versagt;" während der erstere auf den
Durchbrach berechnet, unter allen Umständen vorwärts soll und deshalb auch
in seiner linken Flanke zu schützen ist -- sei es dnrch Reiterei nud Leichtbe¬
waffnete, sei es aus der Tiefe her durch vorzuziehende Theile der Kolonne
selbst. "Die Ansicht von der schiefen Schlachtordnung als entstünde sie durch
eine Schwenkung der ganzen Heerlinie um die äußerste Spitze des Defensiv¬
flügels, so daß nun die beiden Heere auf dem Offensivflügel unter einem spitzen
Winkel zusammentrafen, die Phantasie von der Schwungkraft, welche die Ko¬
lonne durch die Schwenkung erhalten soll -- alle diese Dinge haben weder
Grund noch Boden." Sie sind aber lange Zeit Axiome der Kriegskunst ge¬
wesen, zumal im 17. und 18. Jahrhundert und stammen besonders von Folard
her. "Man war eben damals", wie Rüstow sehr bezeichnend sagt, "dermaßen
in die Lineartaktik verrannt, daß man das einfache System des Epameinondas,
seine Gefechtskoloune, gar nicht begreifen konnte und daher allerhand Aben¬
teuerlichkeiten hinter ihr suchte. Nimmt man an, daß die griechischen Taktiker
zur Zeit des Epameinondas nur halb so verrannt gewesen in die alte Taktik
der Linear-Phalangen, so gewinnt man eine Vorstellung davon, wie bedeu¬
tungsvoll und groß der Fortschritt des Epameinondas war."

Als die Trauerkunde von der Schlacht bei Leuktra nach Sparta gelaugte,
wurden dort gerade die Gymnopcidien gefeiert. Um in den Augen der vielen
Fremden, welche dem Turnfest beiwohnten, die Würde des Staates zu wahren,


Rücken her an, und es entbrannte ein hartnäckiges Gefecht Mann gegen Mann.
Die Lakedaimonier fochten anfangs mit altbewährter Tapferkeit; aber als
die angesehensten Spartiaten und unter diesen der König selbst gefallen waren,
wandten sie sich zur Flucht. In diese wurde der linke, nur aus Bundesgenossen
bestehende Flügel sogleich mit fortgerissen. Im Lager sammelte sich das ge¬
schlagene Heer.

Die Angaben über die Verluste gehen sehr auseinander. Uebereinstim-
mend schätzen Xenophon und Pausanias den Verlust der Lakedaimonier auf
1000 Todte, wobei 700 Spartiaten. Diodor aber giebt ihren Gesammtverlust
auf 4000 Mann an. — Auf boiotischer Seite fielen Diodor zufolge 300, nach
Pausanias nur 47, was denu doch sehr unwahrscheinlich ist.

Die taktische Formation, welche Epmneinondas hier bei Leuktra zum
erstenmale angewendet hatte, ist nun die berühmte, vielgenannte schiefe
Schlachtordnung (^o^P«^«/?), deren Kriterium wesentlich in der Unter¬
scheidung von Offensiv- und Defensivflügel liegt und in der Anordnung des
ersteren in tiefer, oder, wie die Griechen sagen, aufrechter Form, bei Beibe¬
haltung der flachen Stellung für den Defensivflügel. Der letztere wird in der
Schlacht, wie man es heute nennen würde, „versagt;" während der erstere auf den
Durchbrach berechnet, unter allen Umständen vorwärts soll und deshalb auch
in seiner linken Flanke zu schützen ist — sei es dnrch Reiterei nud Leichtbe¬
waffnete, sei es aus der Tiefe her durch vorzuziehende Theile der Kolonne
selbst. „Die Ansicht von der schiefen Schlachtordnung als entstünde sie durch
eine Schwenkung der ganzen Heerlinie um die äußerste Spitze des Defensiv¬
flügels, so daß nun die beiden Heere auf dem Offensivflügel unter einem spitzen
Winkel zusammentrafen, die Phantasie von der Schwungkraft, welche die Ko¬
lonne durch die Schwenkung erhalten soll — alle diese Dinge haben weder
Grund noch Boden." Sie sind aber lange Zeit Axiome der Kriegskunst ge¬
wesen, zumal im 17. und 18. Jahrhundert und stammen besonders von Folard
her. „Man war eben damals", wie Rüstow sehr bezeichnend sagt, „dermaßen
in die Lineartaktik verrannt, daß man das einfache System des Epameinondas,
seine Gefechtskoloune, gar nicht begreifen konnte und daher allerhand Aben¬
teuerlichkeiten hinter ihr suchte. Nimmt man an, daß die griechischen Taktiker
zur Zeit des Epameinondas nur halb so verrannt gewesen in die alte Taktik
der Linear-Phalangen, so gewinnt man eine Vorstellung davon, wie bedeu¬
tungsvoll und groß der Fortschritt des Epameinondas war."

Als die Trauerkunde von der Schlacht bei Leuktra nach Sparta gelaugte,
wurden dort gerade die Gymnopcidien gefeiert. Um in den Augen der vielen
Fremden, welche dem Turnfest beiwohnten, die Würde des Staates zu wahren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/307>, abgerufen am 27.09.2024.