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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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kung ihrer Befestigungen zum letzten Verzweiflungskampf vorzubereiten. Denn
ein solcher war es, als die Argiver mit ihren Verbündeten vor die Beste zogen.
Die Mykenäer, die allein auf sich angewiesen waren, zogen in der Feldschlacht
den kürzeren, sie wurden in die Stadtmauern zurückgedrängt und dort belagert.
Nach längerer, tapferer Gegenwehr wurde die Stadt mit Sturm genommen.
Der Verlust in der Schlacht einerseits, Verwüstungen durch Erdbeben anderer¬
seits hatten die Katastrophe beschleunigt, von der uns Diodorus Siculus be¬
richtet. "Die Mykenäer", erzählt er, "wurden von den Argivern zu Sklaven
gemacht, der zehnte Theil ihrer Habe dem Dienste der Religion geweiht und
ihre Stadt geschleift. Diese Stadt nun, welche einst mit Reichthümern und
Macht gesegnet war, welche so große Männer erzeugte und so große Thaten
vollbrachte, wurde auf diese Weise zerstört und blieb bis zur jetzigen Zeit
(Diodor schrieb um die Zeit Augusts) unbewohnt."

Pausanias, der Perieget, schrieb um 150 nach Chr. Wir kommen also,
wenn wir diese Thatsache mit dem Berichte Diodors in Verbindung setzen,
zu dem Schlüsse, daß Pausanias die von Schliemann aufgedeckten
Gräber nicht gesehen haben kann, da sie zu seiner Zeit unter ellen¬
hohem Schütte verborgen lagen. Mithin bezieht sich seine Beschreibung der
Gräber Agamenmons und derer, die mit ihm starben, auf andere Grabstätten,
die außerhalb der Akropolis lagen, und Leake, Dodwell, Prokesch, Curtius und
die anderen alle, welche über den Peloponnes geschrieben haben, haben die
oben angezogene Stelle des Pausanias richtig, Schliemann allein sie falsch über¬
setzt. Wir sehen zugleich die bautechnische Untersuchung im schönsten Einklange
mit der philosophisch-historischen. Aus der Art und Weise, wie Pausanias,
der seine Beschreibung mit der Umfassungsmauer der Burg beginnt, die ein¬
zelnen Merkwürdigkeiten der Reihe nach aufzählt, folgert Adler mit hoher
Wahrscheinlichkeit, daß die angeblichen Atridengräber dem griechischen Reisenden
noch innerhalb der untersten Terrassenstufe des Felsens, auf dessen Krone sich
die Burg erhebt, gezeigt wurden.

Schliemann hält den runden Bau, dessen fortifikatorischer Zweck wir mit
Adlers Hülfe eben nachgewiesen haben, für die Agora, den Marktplatz von
Mykenae, und den aus aufrechtstehenden und quer darübergelegten Steinplatten
bestehenden Umgang für die Sitze, auf denen sich die edlen Mykenäer nieder¬
ließen, wenn sie sich droben versammelten, um Raths zu pflegen. Eine artige
Zeichnung erläutert dem Leser, wie sich Schliemann einen solchen zum Rathe
versammelten Mykenäer denkt. Die Bestattung in der Agora, dem vornehmsten
Theile der Burganlage, so folgert Schliemann weiter, war eine Ehre, die nur
königlichen Personen zu Theil werden konnte. Wir haben dieses Luftgebilde


Grenzboten I. 1878. 37

kung ihrer Befestigungen zum letzten Verzweiflungskampf vorzubereiten. Denn
ein solcher war es, als die Argiver mit ihren Verbündeten vor die Beste zogen.
Die Mykenäer, die allein auf sich angewiesen waren, zogen in der Feldschlacht
den kürzeren, sie wurden in die Stadtmauern zurückgedrängt und dort belagert.
Nach längerer, tapferer Gegenwehr wurde die Stadt mit Sturm genommen.
Der Verlust in der Schlacht einerseits, Verwüstungen durch Erdbeben anderer¬
seits hatten die Katastrophe beschleunigt, von der uns Diodorus Siculus be¬
richtet. „Die Mykenäer", erzählt er, „wurden von den Argivern zu Sklaven
gemacht, der zehnte Theil ihrer Habe dem Dienste der Religion geweiht und
ihre Stadt geschleift. Diese Stadt nun, welche einst mit Reichthümern und
Macht gesegnet war, welche so große Männer erzeugte und so große Thaten
vollbrachte, wurde auf diese Weise zerstört und blieb bis zur jetzigen Zeit
(Diodor schrieb um die Zeit Augusts) unbewohnt."

Pausanias, der Perieget, schrieb um 150 nach Chr. Wir kommen also,
wenn wir diese Thatsache mit dem Berichte Diodors in Verbindung setzen,
zu dem Schlüsse, daß Pausanias die von Schliemann aufgedeckten
Gräber nicht gesehen haben kann, da sie zu seiner Zeit unter ellen¬
hohem Schütte verborgen lagen. Mithin bezieht sich seine Beschreibung der
Gräber Agamenmons und derer, die mit ihm starben, auf andere Grabstätten,
die außerhalb der Akropolis lagen, und Leake, Dodwell, Prokesch, Curtius und
die anderen alle, welche über den Peloponnes geschrieben haben, haben die
oben angezogene Stelle des Pausanias richtig, Schliemann allein sie falsch über¬
setzt. Wir sehen zugleich die bautechnische Untersuchung im schönsten Einklange
mit der philosophisch-historischen. Aus der Art und Weise, wie Pausanias,
der seine Beschreibung mit der Umfassungsmauer der Burg beginnt, die ein¬
zelnen Merkwürdigkeiten der Reihe nach aufzählt, folgert Adler mit hoher
Wahrscheinlichkeit, daß die angeblichen Atridengräber dem griechischen Reisenden
noch innerhalb der untersten Terrassenstufe des Felsens, auf dessen Krone sich
die Burg erhebt, gezeigt wurden.

Schliemann hält den runden Bau, dessen fortifikatorischer Zweck wir mit
Adlers Hülfe eben nachgewiesen haben, für die Agora, den Marktplatz von
Mykenae, und den aus aufrechtstehenden und quer darübergelegten Steinplatten
bestehenden Umgang für die Sitze, auf denen sich die edlen Mykenäer nieder¬
ließen, wenn sie sich droben versammelten, um Raths zu pflegen. Eine artige
Zeichnung erläutert dem Leser, wie sich Schliemann einen solchen zum Rathe
versammelten Mykenäer denkt. Die Bestattung in der Agora, dem vornehmsten
Theile der Burganlage, so folgert Schliemann weiter, war eine Ehre, die nur
königlichen Personen zu Theil werden konnte. Wir haben dieses Luftgebilde


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[0297] kung ihrer Befestigungen zum letzten Verzweiflungskampf vorzubereiten. Denn ein solcher war es, als die Argiver mit ihren Verbündeten vor die Beste zogen. Die Mykenäer, die allein auf sich angewiesen waren, zogen in der Feldschlacht den kürzeren, sie wurden in die Stadtmauern zurückgedrängt und dort belagert. Nach längerer, tapferer Gegenwehr wurde die Stadt mit Sturm genommen. Der Verlust in der Schlacht einerseits, Verwüstungen durch Erdbeben anderer¬ seits hatten die Katastrophe beschleunigt, von der uns Diodorus Siculus be¬ richtet. „Die Mykenäer", erzählt er, „wurden von den Argivern zu Sklaven gemacht, der zehnte Theil ihrer Habe dem Dienste der Religion geweiht und ihre Stadt geschleift. Diese Stadt nun, welche einst mit Reichthümern und Macht gesegnet war, welche so große Männer erzeugte und so große Thaten vollbrachte, wurde auf diese Weise zerstört und blieb bis zur jetzigen Zeit (Diodor schrieb um die Zeit Augusts) unbewohnt." Pausanias, der Perieget, schrieb um 150 nach Chr. Wir kommen also, wenn wir diese Thatsache mit dem Berichte Diodors in Verbindung setzen, zu dem Schlüsse, daß Pausanias die von Schliemann aufgedeckten Gräber nicht gesehen haben kann, da sie zu seiner Zeit unter ellen¬ hohem Schütte verborgen lagen. Mithin bezieht sich seine Beschreibung der Gräber Agamenmons und derer, die mit ihm starben, auf andere Grabstätten, die außerhalb der Akropolis lagen, und Leake, Dodwell, Prokesch, Curtius und die anderen alle, welche über den Peloponnes geschrieben haben, haben die oben angezogene Stelle des Pausanias richtig, Schliemann allein sie falsch über¬ setzt. Wir sehen zugleich die bautechnische Untersuchung im schönsten Einklange mit der philosophisch-historischen. Aus der Art und Weise, wie Pausanias, der seine Beschreibung mit der Umfassungsmauer der Burg beginnt, die ein¬ zelnen Merkwürdigkeiten der Reihe nach aufzählt, folgert Adler mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß die angeblichen Atridengräber dem griechischen Reisenden noch innerhalb der untersten Terrassenstufe des Felsens, auf dessen Krone sich die Burg erhebt, gezeigt wurden. Schliemann hält den runden Bau, dessen fortifikatorischer Zweck wir mit Adlers Hülfe eben nachgewiesen haben, für die Agora, den Marktplatz von Mykenae, und den aus aufrechtstehenden und quer darübergelegten Steinplatten bestehenden Umgang für die Sitze, auf denen sich die edlen Mykenäer nieder¬ ließen, wenn sie sich droben versammelten, um Raths zu pflegen. Eine artige Zeichnung erläutert dem Leser, wie sich Schliemann einen solchen zum Rathe versammelten Mykenäer denkt. Die Bestattung in der Agora, dem vornehmsten Theile der Burganlage, so folgert Schliemann weiter, war eine Ehre, die nur königlichen Personen zu Theil werden konnte. Wir haben dieses Luftgebilde Grenzboten I. 1878. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/297>, abgerufen am 27.09.2024.