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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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man den Muth hat, sich zu blamiren. Es ist aber anch unklug, deun in den
meisten Fällen merkt man Absicht und ist zwar nicht verstimmt -- im Gegen¬
theil oft im Stillen erheitert --, aber auch nicht sonderlich aufgelegt, dem
kleinen Wichtigthuer zu dienen.

Eine harmlose Klasse und mit der eben genannten verwandt bilden auch noch
die Schüler höherer Lehranstalten, die dann und wann sich ein Herz fassen,
auf die öffentliche Bibliothek zu gehe", um sich die deutsche Uebersetzung des
eben in der Schule traktirten griechischen oder lateinischen Autors, irgend ein
Buch, aus dem sie ein Stückchen des aufgegebenen deutschen Aufsatzes abschreiben
möchten, und andere erlaubte oder unerlaubte Hilfsmittelchen auszukitten.
Der ersteren suchen sie in der Regel auf die Weise habhaft zu werden, daß
sie zunächst zwei, drei Ausgaben des betreffenden Autors verlangen, "womöglich
mit lateinischen Anmerkungen", dann erst mit der Miene der reinsten Unschuld,
als ob es ihnen im Augenblicke nnr gerade so einfiele, den Hanptwunsch nach¬
bringen. Die zweite Art von Wünschen, zur Unterstützung beim deutschen
Aufsatz, verräth sich wieder gewöhnlich sofort durch ihre Einkleidung; sie nennt
eben einfach das Thema, dem sie nur bisweilen, eben um es nicht als solches
zu verrathen, eine urkomische Fassung giebt. Da bittet der eine um "eine Biogra¬
phie des Nestor", ein zweiter um "eine deutsche Kulturgeschichte, worin besonders
die Sitten der alten Deutschen recht ausführlich behandelt sind" -- es handelt
sich natürlich um einen Aufsatz über die "Germania" des Tacitus -- ein
dritter lieber gleich um ein Buch "über das Mystische im Wallenstein." Man
geht den armen Schelmen an die Hand, soweit man es vor seinem Gewissen
verantworten zu köunen glaubt; im übrigen hält man sie sich in möglichster
Entfernung.

Fatalere Kunden sind die, welche mit lächerlichen Zumuthungen anrücken.
Hierher gehören vor allem die Büchertiger, die ein seitenlanges Verzeichnis
von Büchertiteln Präsentiren und thun, als ob sie dreißig oder vierzig Bücher
gleichzeitig neben einander benutzen könnten. Ferner die, welche das Thema
zu irgend einer ihnen ganz fern liegenden Arbeit aus der Luft gegriffen haben
und vom Bibliothekar verlangen, daß er ihnen die gesammte darüber bereits
existirende gedruckte Literatur auf dem Präsentirteller vorlegen, die eigentliche
Hauptarbeit also, das Aufspüren und Zusammentragen des Materials ihnen
abnehmen soll, damit sie dann hübsch bequem aus elf Büchern das zwölfte
zusammenstellen können. Da bittet ein Herr X. "um gütige Zusammenstellung
der Literatur über Ludwig den Heiligen", ein Herr I. um Sophokles' Anti-
gone, und zwar die Ausgaben von Erfnrdt, G. Hermann, Böckh, Wunder, G.
Dindorf, Schneidewin, Meineke, Seyffert "und was sonst etwa noch für Ausgaben
vorhanden siud", ein Herr Z., ein pensionirter adliger Major aus der benach-


man den Muth hat, sich zu blamiren. Es ist aber anch unklug, deun in den
meisten Fällen merkt man Absicht und ist zwar nicht verstimmt — im Gegen¬
theil oft im Stillen erheitert —, aber auch nicht sonderlich aufgelegt, dem
kleinen Wichtigthuer zu dienen.

Eine harmlose Klasse und mit der eben genannten verwandt bilden auch noch
die Schüler höherer Lehranstalten, die dann und wann sich ein Herz fassen,
auf die öffentliche Bibliothek zu gehe«, um sich die deutsche Uebersetzung des
eben in der Schule traktirten griechischen oder lateinischen Autors, irgend ein
Buch, aus dem sie ein Stückchen des aufgegebenen deutschen Aufsatzes abschreiben
möchten, und andere erlaubte oder unerlaubte Hilfsmittelchen auszukitten.
Der ersteren suchen sie in der Regel auf die Weise habhaft zu werden, daß
sie zunächst zwei, drei Ausgaben des betreffenden Autors verlangen, „womöglich
mit lateinischen Anmerkungen", dann erst mit der Miene der reinsten Unschuld,
als ob es ihnen im Augenblicke nnr gerade so einfiele, den Hanptwunsch nach¬
bringen. Die zweite Art von Wünschen, zur Unterstützung beim deutschen
Aufsatz, verräth sich wieder gewöhnlich sofort durch ihre Einkleidung; sie nennt
eben einfach das Thema, dem sie nur bisweilen, eben um es nicht als solches
zu verrathen, eine urkomische Fassung giebt. Da bittet der eine um „eine Biogra¬
phie des Nestor", ein zweiter um „eine deutsche Kulturgeschichte, worin besonders
die Sitten der alten Deutschen recht ausführlich behandelt sind" — es handelt
sich natürlich um einen Aufsatz über die „Germania" des Tacitus — ein
dritter lieber gleich um ein Buch „über das Mystische im Wallenstein." Man
geht den armen Schelmen an die Hand, soweit man es vor seinem Gewissen
verantworten zu köunen glaubt; im übrigen hält man sie sich in möglichster
Entfernung.

Fatalere Kunden sind die, welche mit lächerlichen Zumuthungen anrücken.
Hierher gehören vor allem die Büchertiger, die ein seitenlanges Verzeichnis
von Büchertiteln Präsentiren und thun, als ob sie dreißig oder vierzig Bücher
gleichzeitig neben einander benutzen könnten. Ferner die, welche das Thema
zu irgend einer ihnen ganz fern liegenden Arbeit aus der Luft gegriffen haben
und vom Bibliothekar verlangen, daß er ihnen die gesammte darüber bereits
existirende gedruckte Literatur auf dem Präsentirteller vorlegen, die eigentliche
Hauptarbeit also, das Aufspüren und Zusammentragen des Materials ihnen
abnehmen soll, damit sie dann hübsch bequem aus elf Büchern das zwölfte
zusammenstellen können. Da bittet ein Herr X. „um gütige Zusammenstellung
der Literatur über Ludwig den Heiligen", ein Herr I. um Sophokles' Anti-
gone, und zwar die Ausgaben von Erfnrdt, G. Hermann, Böckh, Wunder, G.
Dindorf, Schneidewin, Meineke, Seyffert „und was sonst etwa noch für Ausgaben
vorhanden siud", ein Herr Z., ein pensionirter adliger Major aus der benach-


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[0268] man den Muth hat, sich zu blamiren. Es ist aber anch unklug, deun in den meisten Fällen merkt man Absicht und ist zwar nicht verstimmt — im Gegen¬ theil oft im Stillen erheitert —, aber auch nicht sonderlich aufgelegt, dem kleinen Wichtigthuer zu dienen. Eine harmlose Klasse und mit der eben genannten verwandt bilden auch noch die Schüler höherer Lehranstalten, die dann und wann sich ein Herz fassen, auf die öffentliche Bibliothek zu gehe«, um sich die deutsche Uebersetzung des eben in der Schule traktirten griechischen oder lateinischen Autors, irgend ein Buch, aus dem sie ein Stückchen des aufgegebenen deutschen Aufsatzes abschreiben möchten, und andere erlaubte oder unerlaubte Hilfsmittelchen auszukitten. Der ersteren suchen sie in der Regel auf die Weise habhaft zu werden, daß sie zunächst zwei, drei Ausgaben des betreffenden Autors verlangen, „womöglich mit lateinischen Anmerkungen", dann erst mit der Miene der reinsten Unschuld, als ob es ihnen im Augenblicke nnr gerade so einfiele, den Hanptwunsch nach¬ bringen. Die zweite Art von Wünschen, zur Unterstützung beim deutschen Aufsatz, verräth sich wieder gewöhnlich sofort durch ihre Einkleidung; sie nennt eben einfach das Thema, dem sie nur bisweilen, eben um es nicht als solches zu verrathen, eine urkomische Fassung giebt. Da bittet der eine um „eine Biogra¬ phie des Nestor", ein zweiter um „eine deutsche Kulturgeschichte, worin besonders die Sitten der alten Deutschen recht ausführlich behandelt sind" — es handelt sich natürlich um einen Aufsatz über die „Germania" des Tacitus — ein dritter lieber gleich um ein Buch „über das Mystische im Wallenstein." Man geht den armen Schelmen an die Hand, soweit man es vor seinem Gewissen verantworten zu köunen glaubt; im übrigen hält man sie sich in möglichster Entfernung. Fatalere Kunden sind die, welche mit lächerlichen Zumuthungen anrücken. Hierher gehören vor allem die Büchertiger, die ein seitenlanges Verzeichnis von Büchertiteln Präsentiren und thun, als ob sie dreißig oder vierzig Bücher gleichzeitig neben einander benutzen könnten. Ferner die, welche das Thema zu irgend einer ihnen ganz fern liegenden Arbeit aus der Luft gegriffen haben und vom Bibliothekar verlangen, daß er ihnen die gesammte darüber bereits existirende gedruckte Literatur auf dem Präsentirteller vorlegen, die eigentliche Hauptarbeit also, das Aufspüren und Zusammentragen des Materials ihnen abnehmen soll, damit sie dann hübsch bequem aus elf Büchern das zwölfte zusammenstellen können. Da bittet ein Herr X. „um gütige Zusammenstellung der Literatur über Ludwig den Heiligen", ein Herr I. um Sophokles' Anti- gone, und zwar die Ausgaben von Erfnrdt, G. Hermann, Böckh, Wunder, G. Dindorf, Schneidewin, Meineke, Seyffert „und was sonst etwa noch für Ausgaben vorhanden siud", ein Herr Z., ein pensionirter adliger Major aus der benach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/268>, abgerufen am 27.09.2024.