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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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sahrung entspringen, sondern ans der Beurtheilung der letzteren nach dem
apriorischen Denkgesetz des Grundes. Die letzten Betrachtungen sind der Rea¬
lität des Selbstbewußtseins, der Zeit, der Zahl, der Dinge gewidmet. Wir
haben keinen Anlaß denselben etwas hinzu zu fügen, sie sind zutreffend und
begründet.

Auf die Aufgaben der Erkenntnißtheorie bezieht sich auch der Aufsatz:
"Ueber die gegenwärtige Stellung und Aufgabe der deutschen Philosophie."
Derselbe eröffnete die Vorlesungen Zelters über die Geschichte der Philosophie
im Herbst 1872. Damit hängt es wohl zusammen, daß wir hier tiefer ein¬
gehende Erörterungen nicht finden, sondern nur eine genauere Bestimmung
des Standpuukts des Verfassers, den wir ja aus der eben besprochenen Ab¬
handlung schon kennen, den Standpunkt des Kritizismus, der Auffindung der
subjektiven und der empirischen Elemente in unsrer Erkenntniß. Ausgezeichnet
ist diese Vorlesung durch die sittliche Energie, mit welcher Zeller für die Sache
des Idealismus gegenüber der Veräußerlichung der Gesinnung eintritt. Es
sind dies goldne Worte, und wir können uns nicht versagen, sie mitzutheilen:
"Es stände schlimm um unser Volk, wenn es jemals vergessen konnte, wo die
tiefsten Wurzeln seiner Kraft liegen; wenn es vergäße, daß durch die weltge¬
schichtliche That der Reformation in das Innerste des deutschen Gemüths die
Keime eingesenkt wurden, aus denen alles emporwuchs, was ihm seitdem Großes
gelungen ist; daß die geistige Arbeit unserer Dichter und Denker, die sittliche
Arbeit in der Familie, der Kirche und der Schule zu den Erfolgen des deutschen
Schwertes und der deutschen Staatskunst den Grund gelegt hat." Und ebenso
erfreulich ist die Entschiedenheit, mit welcher der Verfasser den Materialismus
bekämpft und der Philosophie das warnende Wort zuruft: "Sie darf den
geistigen Gehalt des menschlichen Lebens nicht ignoriren, das Wesen und die
Bestimmung des Menschen nicht nach der Analogie solcher Wesen beurtheilen,
die sich von dem Menschen gerade durch die Abwesenheit dieses höheren Lebens
unterscheiden; sie darf es nicht unterlassen, nach der einheitlichen Ursache zu
fragen, aus welcher die Wechselwirkung aller Dinge und die Harmonie alles
Seins sich allein erklären läßt." Sehr gründliche und zutreffende Untersuchungen
enthält die Rede: Ueber die Aufgabe der Philosophie und ihre Stellung zu
den übrigen Wissenschaften." Auch hier finden wir Zeller in den Bahnen, die
Trendelenburg eingeschlagen hat, und es war für den Referenten, der ein
Schüler desselben ist, ein wohlthuendes Gefühl, seinen Nachfolger auf dem Katheder
auf demselben Wege zu sehen, den sein Vorgänger mit so großem Erfolg be¬
treten hat. Wir können die Auffassung Zelters mit wenigen Worten charakte-
risiren. Die Philosophie hat nach ihm die Aufgabe, die Voraussetzungen fest¬
zustellen, auf deuen jede einzelne positive Wissenschaft ruht; also da.> Allge-


sahrung entspringen, sondern ans der Beurtheilung der letzteren nach dem
apriorischen Denkgesetz des Grundes. Die letzten Betrachtungen sind der Rea¬
lität des Selbstbewußtseins, der Zeit, der Zahl, der Dinge gewidmet. Wir
haben keinen Anlaß denselben etwas hinzu zu fügen, sie sind zutreffend und
begründet.

Auf die Aufgaben der Erkenntnißtheorie bezieht sich auch der Aufsatz:
„Ueber die gegenwärtige Stellung und Aufgabe der deutschen Philosophie."
Derselbe eröffnete die Vorlesungen Zelters über die Geschichte der Philosophie
im Herbst 1872. Damit hängt es wohl zusammen, daß wir hier tiefer ein¬
gehende Erörterungen nicht finden, sondern nur eine genauere Bestimmung
des Standpuukts des Verfassers, den wir ja aus der eben besprochenen Ab¬
handlung schon kennen, den Standpunkt des Kritizismus, der Auffindung der
subjektiven und der empirischen Elemente in unsrer Erkenntniß. Ausgezeichnet
ist diese Vorlesung durch die sittliche Energie, mit welcher Zeller für die Sache
des Idealismus gegenüber der Veräußerlichung der Gesinnung eintritt. Es
sind dies goldne Worte, und wir können uns nicht versagen, sie mitzutheilen:
„Es stände schlimm um unser Volk, wenn es jemals vergessen konnte, wo die
tiefsten Wurzeln seiner Kraft liegen; wenn es vergäße, daß durch die weltge¬
schichtliche That der Reformation in das Innerste des deutschen Gemüths die
Keime eingesenkt wurden, aus denen alles emporwuchs, was ihm seitdem Großes
gelungen ist; daß die geistige Arbeit unserer Dichter und Denker, die sittliche
Arbeit in der Familie, der Kirche und der Schule zu den Erfolgen des deutschen
Schwertes und der deutschen Staatskunst den Grund gelegt hat." Und ebenso
erfreulich ist die Entschiedenheit, mit welcher der Verfasser den Materialismus
bekämpft und der Philosophie das warnende Wort zuruft: „Sie darf den
geistigen Gehalt des menschlichen Lebens nicht ignoriren, das Wesen und die
Bestimmung des Menschen nicht nach der Analogie solcher Wesen beurtheilen,
die sich von dem Menschen gerade durch die Abwesenheit dieses höheren Lebens
unterscheiden; sie darf es nicht unterlassen, nach der einheitlichen Ursache zu
fragen, aus welcher die Wechselwirkung aller Dinge und die Harmonie alles
Seins sich allein erklären läßt." Sehr gründliche und zutreffende Untersuchungen
enthält die Rede: Ueber die Aufgabe der Philosophie und ihre Stellung zu
den übrigen Wissenschaften." Auch hier finden wir Zeller in den Bahnen, die
Trendelenburg eingeschlagen hat, und es war für den Referenten, der ein
Schüler desselben ist, ein wohlthuendes Gefühl, seinen Nachfolger auf dem Katheder
auf demselben Wege zu sehen, den sein Vorgänger mit so großem Erfolg be¬
treten hat. Wir können die Auffassung Zelters mit wenigen Worten charakte-
risiren. Die Philosophie hat nach ihm die Aufgabe, die Voraussetzungen fest¬
zustellen, auf deuen jede einzelne positive Wissenschaft ruht; also da.> Allge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/223>, abgerufen am 20.10.2024.