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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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dein anderen gleichen, doch bei der Menge selbst Mozart's Ruhm verdunkeln
konnten und seinen "Figaro" und "Don Juan" für ewige Zeit zurückdrängen
halfen, sodaß in der letzteren Oper Mozart zu jenem genialen Abwehrmittel
gegen solche Fluth greifen mußte, eine beliebte Melodie aus Sarti's "Litiganti"
seinem Gennßhelden als -- Tafelmusik aufspielen zu lassen. Mehr war sie
auch nicht werth. Und doch sehen wir gerade diese Herren auch in den nach¬
folgenden Mittheilungen hoch und höchst geehrt, und es ist nicht entfernt etwa
sein eigenes Urtheil, was Gyrowetz dort unterschiebt. Er zeigt sich überall in
seineu Aufzeichnungen sehr zuverlässig, zumal in den entscheidenden Dingen,
und es ist nur zu bemerken, daß von unseren großen musikalischen Klas¬
sikern eben erst Gluck und höchstens noch Mozart mit seiner "Entführung"
für Goethe existiren konnten: "Figaro" war in dem vorhergehenden Jahre,
1786, erst geschrieben, und "Don Juan" kam in diesem Jahre, 1787, erst zur
Welt. Gyrowetz erzählt also vom Frühling dieses Jahres weiter:

"Zur nämlichen Zeit war es, daß Goethe aus Sizilien nach Neapel zu¬
rückkam und Gyrowetz auf der Promenade g.1 Fiaräino Ksalö traf, wo sie beide
öfters zusammen auf- und abgingen und nebst anderen Gegenständen vieles
über Musik und über den Zustand der Musik in Italien überhaupt sprachen.
Goethe bewies dabei, daß er sehr große Kenntniß in der Musik besitze. Er
behauptete auch, daß die alten italienischen Meister in ihren Opern mehr kontra¬
punktische Figuren anzubringen suchten und mehr für den Sänger als für das
Orchester in ihrem Satz gesorgt hätten. Auch hätten die alten Meister ver¬
mieden, die Stimme des Sängers durch starke Instrumentirung und besonders
durch zu viele Anwendung von Blasinstrnmenten zu verdecken. Paisiello sagte
bei einer musikalischen Konversation, daß man die Blasinstrumente in einer
Oper so wie die Blumen bei einer schön gedeckten Tafel nur als Zierde und
uicht als Ueberladung, nur hie und da anzubringen habe.. So wurde auch
erzählt, daß in einer musikalischen Konversation, wo sich mehrere Kapellmeister
und Opernkvmpositenrs befanden, Jemand von den Beistehenden tadeln wollte,
daß man immer denselben Styl, dieselbe Schreibart fortbehalte und nicht weiter
vorwärts schreite; da sprang der alte Guglielmi auf und schrie mit seiner
weichlichen Stimme: Nein nein, Gott verhüte, wir dürfen nicht sehr viel vor¬
wärts schreiten, wir müssen das Publikum im mäßigen Genuß der Musik zu
erhalten suchen denn, wenn wir zu weit vorwärts schreiten, wird auch das
Publikum immer mehr und mehr verlangen, und wenn dieses hernach stufen¬
weise immer höher steigt, wo wird es am Ende hinkommen? Man wird
die Theater zusperren müssen, weil das Publikum in der Folge übersättigt
keinen Geschmack mehr haben und die Theater unbesucht lassen wird.

So gestaltete sich das Gespräch und dauerte bis spät in die Nacht, wo


dein anderen gleichen, doch bei der Menge selbst Mozart's Ruhm verdunkeln
konnten und seinen „Figaro" und „Don Juan" für ewige Zeit zurückdrängen
halfen, sodaß in der letzteren Oper Mozart zu jenem genialen Abwehrmittel
gegen solche Fluth greifen mußte, eine beliebte Melodie aus Sarti's „Litiganti"
seinem Gennßhelden als — Tafelmusik aufspielen zu lassen. Mehr war sie
auch nicht werth. Und doch sehen wir gerade diese Herren auch in den nach¬
folgenden Mittheilungen hoch und höchst geehrt, und es ist nicht entfernt etwa
sein eigenes Urtheil, was Gyrowetz dort unterschiebt. Er zeigt sich überall in
seineu Aufzeichnungen sehr zuverlässig, zumal in den entscheidenden Dingen,
und es ist nur zu bemerken, daß von unseren großen musikalischen Klas¬
sikern eben erst Gluck und höchstens noch Mozart mit seiner „Entführung"
für Goethe existiren konnten: „Figaro" war in dem vorhergehenden Jahre,
1786, erst geschrieben, und „Don Juan" kam in diesem Jahre, 1787, erst zur
Welt. Gyrowetz erzählt also vom Frühling dieses Jahres weiter:

„Zur nämlichen Zeit war es, daß Goethe aus Sizilien nach Neapel zu¬
rückkam und Gyrowetz auf der Promenade g.1 Fiaräino Ksalö traf, wo sie beide
öfters zusammen auf- und abgingen und nebst anderen Gegenständen vieles
über Musik und über den Zustand der Musik in Italien überhaupt sprachen.
Goethe bewies dabei, daß er sehr große Kenntniß in der Musik besitze. Er
behauptete auch, daß die alten italienischen Meister in ihren Opern mehr kontra¬
punktische Figuren anzubringen suchten und mehr für den Sänger als für das
Orchester in ihrem Satz gesorgt hätten. Auch hätten die alten Meister ver¬
mieden, die Stimme des Sängers durch starke Instrumentirung und besonders
durch zu viele Anwendung von Blasinstrnmenten zu verdecken. Paisiello sagte
bei einer musikalischen Konversation, daß man die Blasinstrumente in einer
Oper so wie die Blumen bei einer schön gedeckten Tafel nur als Zierde und
uicht als Ueberladung, nur hie und da anzubringen habe.. So wurde auch
erzählt, daß in einer musikalischen Konversation, wo sich mehrere Kapellmeister
und Opernkvmpositenrs befanden, Jemand von den Beistehenden tadeln wollte,
daß man immer denselben Styl, dieselbe Schreibart fortbehalte und nicht weiter
vorwärts schreite; da sprang der alte Guglielmi auf und schrie mit seiner
weichlichen Stimme: Nein nein, Gott verhüte, wir dürfen nicht sehr viel vor¬
wärts schreiten, wir müssen das Publikum im mäßigen Genuß der Musik zu
erhalten suchen denn, wenn wir zu weit vorwärts schreiten, wird auch das
Publikum immer mehr und mehr verlangen, und wenn dieses hernach stufen¬
weise immer höher steigt, wo wird es am Ende hinkommen? Man wird
die Theater zusperren müssen, weil das Publikum in der Folge übersättigt
keinen Geschmack mehr haben und die Theater unbesucht lassen wird.

So gestaltete sich das Gespräch und dauerte bis spät in die Nacht, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/198>, abgerufen am 20.10.2024.