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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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auch Bier, welches ein deutscher Bräumeister in Rom gebraut hatte, gebracht
wurde. Auf diese Art verging der Abend auf eine sehr angenehme Weise, und
gegen zwei oder drei Uhr morgens trennte sich die Gesellschaft und Jeder ging
nach seiner Wohnung, um auszuruhen und sich für den künftigen Tag vorzu¬
bereiten. Diese Lebensweise wurde solange fortgesetzt, bis Goethe Rom verließ
und nach Neapel reiste."

Ehe wir Gyrowetz' Aufzeichnungen weiter verfolgen, empfiehlt es sich,
einige Bemerkungen über die Stellung des Dichters wie des Musikers zur
Musik sowie darüber zu geben, weßhalb Gyrowetz bei Goethe einen "richtigen
Begriff von gründlicher und wohlgeordneter Musik" vorfand, dieser also sich
dnrch den jungen Musiker und Komponisten in seinen Anschauungen nicht
alterirt und genirt fand. "Gyrowetz sah immer scheel nach Beethovens Muse,
wußte allerlei zu tadeln; bei einer Aufführung der C-mollsymphonie saß Holz
neben ihm; während des Adagios perlten die hellen Thränen aus Gyrowetz'
Augen und er sagte: Was mußte dieser Mann empfunden haben, als er dieses
geschrieben!" Dieses eine Wort der Erinnerung von Beethoven's Famulus
sagt uns, daß also nur in einzelnen ihm faßlichen Momenten, wie bei dem
leicht zu übersehenden Adagio der Fünften Symphonie, unserem Manne eine
Ahnung von Beethoven's Musik aufging, daß gerade Beethoven und die neuere,
das heißt recht eigentlich deutsche Musik ihm "bizarre ungeregelte Ideen, Ge¬
töse und Lärm, verwirrte Modulationen, Unregelmäßigkeit und Systemlosigkeit"
war, mit einem Wort, daß er in späten wie in frühen Tagen vor allem die
"Wälschen" liebte, die allerdings durch ihre klare, kurze, tanzrhythmische Melodie
damals und noch lange nachher die Welt beherrschten. Und Goethe? Es ist
kein Wort darüber zu verlieren, wohin seine Neigung ging und wo sie trotz
Mozart und Beethoven im Grunde zeitlebens blieb. Selbst seine aufrichtige
Bewunderung Gluck's widerspricht dem nicht. Denn Gluck's Melodie ist eben¬
falls überall das kurze kleine tanzrhythmische italiänische Melos. So vernehmen
wir denn auch hier von ihm über Sarti's neue Oper ?rg, aus litiMull 11
wrso AoSs, die die damals in ganz Europa Furore machte, unterm 22.
November 1786: "Den Abend gelangten wir noch ans Opernhaus, wo eben
die Litiganti aufgeführt wurden, und hatten des Guten so viel genossen, daß
wir vorübergingen", und noch deutlicher die eigentliche Würdigung der Oper
an sich darlegend am 6. Januar 1787: "Mir graut schon vor dem Theater¬
wesen, die nächste Woche werden sieben Bühnen eröffnet, Anfossi ist selbst hier
und gibt Alexander in Indien; anch wird ein Cyrus gegeben und die Er¬
oberung von Troja als Ballet, Das wäre was für die Kinder. Anfossi und
Sarti aber waren wie Guglielmi und Paisiello, die uns sogleich noch begegnen
werden, damals Opernkomponisten, die obwohl sie einander fast wie ein El


auch Bier, welches ein deutscher Bräumeister in Rom gebraut hatte, gebracht
wurde. Auf diese Art verging der Abend auf eine sehr angenehme Weise, und
gegen zwei oder drei Uhr morgens trennte sich die Gesellschaft und Jeder ging
nach seiner Wohnung, um auszuruhen und sich für den künftigen Tag vorzu¬
bereiten. Diese Lebensweise wurde solange fortgesetzt, bis Goethe Rom verließ
und nach Neapel reiste."

Ehe wir Gyrowetz' Aufzeichnungen weiter verfolgen, empfiehlt es sich,
einige Bemerkungen über die Stellung des Dichters wie des Musikers zur
Musik sowie darüber zu geben, weßhalb Gyrowetz bei Goethe einen „richtigen
Begriff von gründlicher und wohlgeordneter Musik" vorfand, dieser also sich
dnrch den jungen Musiker und Komponisten in seinen Anschauungen nicht
alterirt und genirt fand. „Gyrowetz sah immer scheel nach Beethovens Muse,
wußte allerlei zu tadeln; bei einer Aufführung der C-mollsymphonie saß Holz
neben ihm; während des Adagios perlten die hellen Thränen aus Gyrowetz'
Augen und er sagte: Was mußte dieser Mann empfunden haben, als er dieses
geschrieben!" Dieses eine Wort der Erinnerung von Beethoven's Famulus
sagt uns, daß also nur in einzelnen ihm faßlichen Momenten, wie bei dem
leicht zu übersehenden Adagio der Fünften Symphonie, unserem Manne eine
Ahnung von Beethoven's Musik aufging, daß gerade Beethoven und die neuere,
das heißt recht eigentlich deutsche Musik ihm „bizarre ungeregelte Ideen, Ge¬
töse und Lärm, verwirrte Modulationen, Unregelmäßigkeit und Systemlosigkeit"
war, mit einem Wort, daß er in späten wie in frühen Tagen vor allem die
„Wälschen" liebte, die allerdings durch ihre klare, kurze, tanzrhythmische Melodie
damals und noch lange nachher die Welt beherrschten. Und Goethe? Es ist
kein Wort darüber zu verlieren, wohin seine Neigung ging und wo sie trotz
Mozart und Beethoven im Grunde zeitlebens blieb. Selbst seine aufrichtige
Bewunderung Gluck's widerspricht dem nicht. Denn Gluck's Melodie ist eben¬
falls überall das kurze kleine tanzrhythmische italiänische Melos. So vernehmen
wir denn auch hier von ihm über Sarti's neue Oper ?rg, aus litiMull 11
wrso AoSs, die die damals in ganz Europa Furore machte, unterm 22.
November 1786: „Den Abend gelangten wir noch ans Opernhaus, wo eben
die Litiganti aufgeführt wurden, und hatten des Guten so viel genossen, daß
wir vorübergingen", und noch deutlicher die eigentliche Würdigung der Oper
an sich darlegend am 6. Januar 1787: „Mir graut schon vor dem Theater¬
wesen, die nächste Woche werden sieben Bühnen eröffnet, Anfossi ist selbst hier
und gibt Alexander in Indien; anch wird ein Cyrus gegeben und die Er¬
oberung von Troja als Ballet, Das wäre was für die Kinder. Anfossi und
Sarti aber waren wie Guglielmi und Paisiello, die uns sogleich noch begegnen
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[0197] auch Bier, welches ein deutscher Bräumeister in Rom gebraut hatte, gebracht wurde. Auf diese Art verging der Abend auf eine sehr angenehme Weise, und gegen zwei oder drei Uhr morgens trennte sich die Gesellschaft und Jeder ging nach seiner Wohnung, um auszuruhen und sich für den künftigen Tag vorzu¬ bereiten. Diese Lebensweise wurde solange fortgesetzt, bis Goethe Rom verließ und nach Neapel reiste." Ehe wir Gyrowetz' Aufzeichnungen weiter verfolgen, empfiehlt es sich, einige Bemerkungen über die Stellung des Dichters wie des Musikers zur Musik sowie darüber zu geben, weßhalb Gyrowetz bei Goethe einen „richtigen Begriff von gründlicher und wohlgeordneter Musik" vorfand, dieser also sich dnrch den jungen Musiker und Komponisten in seinen Anschauungen nicht alterirt und genirt fand. „Gyrowetz sah immer scheel nach Beethovens Muse, wußte allerlei zu tadeln; bei einer Aufführung der C-mollsymphonie saß Holz neben ihm; während des Adagios perlten die hellen Thränen aus Gyrowetz' Augen und er sagte: Was mußte dieser Mann empfunden haben, als er dieses geschrieben!" Dieses eine Wort der Erinnerung von Beethoven's Famulus sagt uns, daß also nur in einzelnen ihm faßlichen Momenten, wie bei dem leicht zu übersehenden Adagio der Fünften Symphonie, unserem Manne eine Ahnung von Beethoven's Musik aufging, daß gerade Beethoven und die neuere, das heißt recht eigentlich deutsche Musik ihm „bizarre ungeregelte Ideen, Ge¬ töse und Lärm, verwirrte Modulationen, Unregelmäßigkeit und Systemlosigkeit" war, mit einem Wort, daß er in späten wie in frühen Tagen vor allem die „Wälschen" liebte, die allerdings durch ihre klare, kurze, tanzrhythmische Melodie damals und noch lange nachher die Welt beherrschten. Und Goethe? Es ist kein Wort darüber zu verlieren, wohin seine Neigung ging und wo sie trotz Mozart und Beethoven im Grunde zeitlebens blieb. Selbst seine aufrichtige Bewunderung Gluck's widerspricht dem nicht. Denn Gluck's Melodie ist eben¬ falls überall das kurze kleine tanzrhythmische italiänische Melos. So vernehmen wir denn auch hier von ihm über Sarti's neue Oper ?rg, aus litiMull 11 wrso AoSs, die die damals in ganz Europa Furore machte, unterm 22. November 1786: „Den Abend gelangten wir noch ans Opernhaus, wo eben die Litiganti aufgeführt wurden, und hatten des Guten so viel genossen, daß wir vorübergingen", und noch deutlicher die eigentliche Würdigung der Oper an sich darlegend am 6. Januar 1787: „Mir graut schon vor dem Theater¬ wesen, die nächste Woche werden sieben Bühnen eröffnet, Anfossi ist selbst hier und gibt Alexander in Indien; anch wird ein Cyrus gegeben und die Er¬ oberung von Troja als Ballet, Das wäre was für die Kinder. Anfossi und Sarti aber waren wie Guglielmi und Paisiello, die uns sogleich noch begegnen werden, damals Opernkomponisten, die obwohl sie einander fast wie ein El

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/197>, abgerufen am 20.10.2024.