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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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beim Könige, ein schriftstellerisches Interesse zu Grunde lag, sondern eine
wirkliche Vorliebe für Land und Leute. Als er sich 1784, nach längerem
Aufenthalte in Frankreich, schweren Herzens von Paris trennte, rief er dem
Herzog von Nivernois die Worte zu: Ich verlasse nun das Land, nach dem
ich mich ein halbes Leben lang gesehnt habe und an das ich nun während
der zweiten Hülste meines Lebens mit so viel Liebe zurückdenken werde, daß
ich fast wünschen möchte, ich hätte es niemals gesehen." Nach dem Tode des
große" Königs, den zwar Prinz Heinrich nichts weniger, als geliebt, aber doch
geschätzt hatte, und nachdem die Zustände am neuen Hofe dein Prinzen immer
peinlicher wurden, trug er sich ernstlich mit dem Gedanken, ganz nach Paris
überzusiedeln. Im Jahre 1788 geschahen Schritte zum Ankauf eines Palais
in der französischen Hauptstadt, auch wurden Unterhandlungen eingeleitet, um
einen größeren Grundbesitz in der Nähe derselben zu erwerben. Die herauf¬
ziehenden Wetterwolken, welche bereits die Revolution ankündigten, ließen jedoch
zum Glück diese Projekte nicht zur Reife kommen. schweren Herzens kehrte
der Prinz nach seiner Einsiedelei in Rheinsberg zurück, die er auf längere
Zeit nicht wieder verließ.

Den französischen Gewohnheiten entsprechend, fiel Prinz Heinrich selbst
in der Erregtheit, wie man zu sagen Pflegt, niemals aus der Rolle und wenn
sich auch zuweilen seine Briefe einer drastischen Deutlichkeit erfreuen, die nichts
zu wünschen übrig läßt, so fehlte ihm doch jene altpreußische Derbheit, in
welcher Friedrich Wilhelm I. seines Gleichen suchte und die wir am alten
Fritz so lieben. Dieser letztere, bei aller Vorliebe sür geistreiche Franzosen
und deren Literatur, war nichtsdestoweniger in seinem Denken und Fühlen
ein echter deutscher Fürst und für das Franzosenthum durchaus nicht einge¬
nommen. Schon 1754 schreibt er an Darget*), indem er sich über die von
Voltaire und Maupertuis erhaltenen Briefe beschwert, die voll gegenseitiger
Beleidigungen waren: "Ich danke Gott, daß ich nicht so lebhafte Leidenschaften,
wie diese Männer habe, weil ich sonst mein ganzes Leben Fehden haben
würde. Das Phlegma unserer guten Deutschen ist, was man auch sagen mag,
geselliger als der Uebermuth Ihrer schönen Geister. Es ist wahr, daß wir,
wie man behauptet, schwerfällig, trüge sind und daß wir leider gesunden
Menschenverstand besitzen; aber -- wenn Sie sich einen Freund zu wählen
hätten, wo würden Sie ihn suchen? Der Witz, mein lieber Darget, ist eine
Schminke, die nur die Mißgestalt der Züge deckt; der minder glänzende gesunde



*) Darget, beim Beginn des siebenjährigen Krieges Sekretär des französischen Ge¬
sandten, kam nach der Schlacht bei Hohenfriedberg als Lecteur und literarischer Sekretär in
den Dienst des Königs, trat demselben sehr nahe und blieb auch später von Frankreich aus
in brieflichem Verkehr mit ihm.
Grenzboten I. 1L78. 22

beim Könige, ein schriftstellerisches Interesse zu Grunde lag, sondern eine
wirkliche Vorliebe für Land und Leute. Als er sich 1784, nach längerem
Aufenthalte in Frankreich, schweren Herzens von Paris trennte, rief er dem
Herzog von Nivernois die Worte zu: Ich verlasse nun das Land, nach dem
ich mich ein halbes Leben lang gesehnt habe und an das ich nun während
der zweiten Hülste meines Lebens mit so viel Liebe zurückdenken werde, daß
ich fast wünschen möchte, ich hätte es niemals gesehen." Nach dem Tode des
große« Königs, den zwar Prinz Heinrich nichts weniger, als geliebt, aber doch
geschätzt hatte, und nachdem die Zustände am neuen Hofe dein Prinzen immer
peinlicher wurden, trug er sich ernstlich mit dem Gedanken, ganz nach Paris
überzusiedeln. Im Jahre 1788 geschahen Schritte zum Ankauf eines Palais
in der französischen Hauptstadt, auch wurden Unterhandlungen eingeleitet, um
einen größeren Grundbesitz in der Nähe derselben zu erwerben. Die herauf¬
ziehenden Wetterwolken, welche bereits die Revolution ankündigten, ließen jedoch
zum Glück diese Projekte nicht zur Reife kommen. schweren Herzens kehrte
der Prinz nach seiner Einsiedelei in Rheinsberg zurück, die er auf längere
Zeit nicht wieder verließ.

Den französischen Gewohnheiten entsprechend, fiel Prinz Heinrich selbst
in der Erregtheit, wie man zu sagen Pflegt, niemals aus der Rolle und wenn
sich auch zuweilen seine Briefe einer drastischen Deutlichkeit erfreuen, die nichts
zu wünschen übrig läßt, so fehlte ihm doch jene altpreußische Derbheit, in
welcher Friedrich Wilhelm I. seines Gleichen suchte und die wir am alten
Fritz so lieben. Dieser letztere, bei aller Vorliebe sür geistreiche Franzosen
und deren Literatur, war nichtsdestoweniger in seinem Denken und Fühlen
ein echter deutscher Fürst und für das Franzosenthum durchaus nicht einge¬
nommen. Schon 1754 schreibt er an Darget*), indem er sich über die von
Voltaire und Maupertuis erhaltenen Briefe beschwert, die voll gegenseitiger
Beleidigungen waren: „Ich danke Gott, daß ich nicht so lebhafte Leidenschaften,
wie diese Männer habe, weil ich sonst mein ganzes Leben Fehden haben
würde. Das Phlegma unserer guten Deutschen ist, was man auch sagen mag,
geselliger als der Uebermuth Ihrer schönen Geister. Es ist wahr, daß wir,
wie man behauptet, schwerfällig, trüge sind und daß wir leider gesunden
Menschenverstand besitzen; aber — wenn Sie sich einen Freund zu wählen
hätten, wo würden Sie ihn suchen? Der Witz, mein lieber Darget, ist eine
Schminke, die nur die Mißgestalt der Züge deckt; der minder glänzende gesunde



*) Darget, beim Beginn des siebenjährigen Krieges Sekretär des französischen Ge¬
sandten, kam nach der Schlacht bei Hohenfriedberg als Lecteur und literarischer Sekretär in
den Dienst des Königs, trat demselben sehr nahe und blieb auch später von Frankreich aus
in brieflichem Verkehr mit ihm.
Grenzboten I. 1L78. 22
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[0177] beim Könige, ein schriftstellerisches Interesse zu Grunde lag, sondern eine wirkliche Vorliebe für Land und Leute. Als er sich 1784, nach längerem Aufenthalte in Frankreich, schweren Herzens von Paris trennte, rief er dem Herzog von Nivernois die Worte zu: Ich verlasse nun das Land, nach dem ich mich ein halbes Leben lang gesehnt habe und an das ich nun während der zweiten Hülste meines Lebens mit so viel Liebe zurückdenken werde, daß ich fast wünschen möchte, ich hätte es niemals gesehen." Nach dem Tode des große« Königs, den zwar Prinz Heinrich nichts weniger, als geliebt, aber doch geschätzt hatte, und nachdem die Zustände am neuen Hofe dein Prinzen immer peinlicher wurden, trug er sich ernstlich mit dem Gedanken, ganz nach Paris überzusiedeln. Im Jahre 1788 geschahen Schritte zum Ankauf eines Palais in der französischen Hauptstadt, auch wurden Unterhandlungen eingeleitet, um einen größeren Grundbesitz in der Nähe derselben zu erwerben. Die herauf¬ ziehenden Wetterwolken, welche bereits die Revolution ankündigten, ließen jedoch zum Glück diese Projekte nicht zur Reife kommen. schweren Herzens kehrte der Prinz nach seiner Einsiedelei in Rheinsberg zurück, die er auf längere Zeit nicht wieder verließ. Den französischen Gewohnheiten entsprechend, fiel Prinz Heinrich selbst in der Erregtheit, wie man zu sagen Pflegt, niemals aus der Rolle und wenn sich auch zuweilen seine Briefe einer drastischen Deutlichkeit erfreuen, die nichts zu wünschen übrig läßt, so fehlte ihm doch jene altpreußische Derbheit, in welcher Friedrich Wilhelm I. seines Gleichen suchte und die wir am alten Fritz so lieben. Dieser letztere, bei aller Vorliebe sür geistreiche Franzosen und deren Literatur, war nichtsdestoweniger in seinem Denken und Fühlen ein echter deutscher Fürst und für das Franzosenthum durchaus nicht einge¬ nommen. Schon 1754 schreibt er an Darget*), indem er sich über die von Voltaire und Maupertuis erhaltenen Briefe beschwert, die voll gegenseitiger Beleidigungen waren: „Ich danke Gott, daß ich nicht so lebhafte Leidenschaften, wie diese Männer habe, weil ich sonst mein ganzes Leben Fehden haben würde. Das Phlegma unserer guten Deutschen ist, was man auch sagen mag, geselliger als der Uebermuth Ihrer schönen Geister. Es ist wahr, daß wir, wie man behauptet, schwerfällig, trüge sind und daß wir leider gesunden Menschenverstand besitzen; aber — wenn Sie sich einen Freund zu wählen hätten, wo würden Sie ihn suchen? Der Witz, mein lieber Darget, ist eine Schminke, die nur die Mißgestalt der Züge deckt; der minder glänzende gesunde *) Darget, beim Beginn des siebenjährigen Krieges Sekretär des französischen Ge¬ sandten, kam nach der Schlacht bei Hohenfriedberg als Lecteur und literarischer Sekretär in den Dienst des Königs, trat demselben sehr nahe und blieb auch später von Frankreich aus in brieflichem Verkehr mit ihm. Grenzboten I. 1L78. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/177>, abgerufen am 20.10.2024.