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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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wie dieser Absenker der feudalen Kreuzzeitnngspcirtei in Süddeutschland den
Boden nicht findet, auf dem er gedeihen könnte. .Beachtenswerth ist die Wahl
in Mannheim. Die Deklamationen der dortigen Demokraten gegen den "Mili¬
tarismus" wurden den Mannheimern allmühlig langweilig, zumal man vor
einigen Jahren gelegentlich eines Bierkrawalls das Militär fehr gut hatte
brauchen können. Im übrigen Lande hatte diese Demokratie nirgends Wurzel
gefaßt. Gar hochtönende Phrasen von Freiheit haben sie in die Welt hinaus¬
geredet und geschrieben. Aber das Volk erkannte, wie es lächerlich sei, daß
Jene die Freiheit wahren sollen, welche für die festeste Burg, deu sichersten Hort
der Geistesfreiheit, für das deutsche Reich uuter Preußens Führung nichts
haben, als Hohn und Spott. Mit blasirten Lächeln belieben die Herren dem
Kampf zuzusehen zwischen dem modernen Staat und der mittelalterlichen Kirche.
Völlig unbedenklich liebäugeln sie, verbinden sie sich von Fall zu Fall mit den
unversöhnlichsten Feinden unserer modernen Staatsordnung. Die Rolle in
Mannheim ist, wenn nicht Alles trügt, für immer ausgespielt. Sie ist ausge¬
spielt nach der direkten Wahlart, welche bei der letzten Reichstagswahl unter
121,942 in Baden abgegebenen Stimmen nur 4037 für demokratische Kandi¬
daten zu Tage förderte. Sie ist ausgespielt, so sagt uns die jüngste Landtags¬
wahl, nach der indirekten Wahlart. Vor den Wahlmännerwahlen hatten sich
zufolge eines Kompromisses die Nationalliberalen und die Demokraten für
den jetzigen Abgeordneten, den Präsidenten der Mannheimer Handelskammer,
Kopfer, geeinigt. Derselbe passirt unter dem-Titel "reichsfreundlicher Demo¬
krat." Die Demokraten schlossen den Kompromiß, weil sie erkannt hatten, daß
ein Vollblutdemokrat, wie der bisherige Abgeordnete, nicht mehr die erforderliche
Stimmenzahl erhalten werde. Die Nationalliberalen traten bei, weil sie nicht
erwarteten, einen Kandidaten ans ihrer Mitte durchzubringen. Beide Parteien
stellten jedoch gesonderte Wahlmännerlisten auf. Der Erfolg war, daß die
Kandidaten der Nationalliberalen die Majorität erhielten. Wäre der Kompromiß
nicht vorher geschlossen gewesen, so Hütte Mannheim zu seinen zwei demokra¬
tischen Abgeordneten einen nationalliberalen in den Landtag entsendet.

Von den 63 Abgeordneten der zweiten Kammer gehören 45 der national¬
liberalen Fraktion an -- die drei Minister-Abgeordneten zählen wir der Fraktion
nicht bei --, 12 der ultramontanen, 2 sind vollwichtige Mannheimer Demo¬
kraten, einer repräsentirt die oben erwähnte Spezies der "reichsfreundlichen"
Demokratie. Konservativer Seits hat man das Auseinanderfallen der national¬
liberalen Fraktion vorausgesagt in eine "fortschrittliche Linke" unter Kiefer
und in ein Centrum "uuter direkter Führung des Ministeriums." Auch einzelne
Stimmen aus dem nationalliberalen Lager wenigstens haben sich gegen den
"Fraktionszwang" erhoben, unter anderem auch mit der naiven Motivirung,


wie dieser Absenker der feudalen Kreuzzeitnngspcirtei in Süddeutschland den
Boden nicht findet, auf dem er gedeihen könnte. .Beachtenswerth ist die Wahl
in Mannheim. Die Deklamationen der dortigen Demokraten gegen den „Mili¬
tarismus" wurden den Mannheimern allmühlig langweilig, zumal man vor
einigen Jahren gelegentlich eines Bierkrawalls das Militär fehr gut hatte
brauchen können. Im übrigen Lande hatte diese Demokratie nirgends Wurzel
gefaßt. Gar hochtönende Phrasen von Freiheit haben sie in die Welt hinaus¬
geredet und geschrieben. Aber das Volk erkannte, wie es lächerlich sei, daß
Jene die Freiheit wahren sollen, welche für die festeste Burg, deu sichersten Hort
der Geistesfreiheit, für das deutsche Reich uuter Preußens Führung nichts
haben, als Hohn und Spott. Mit blasirten Lächeln belieben die Herren dem
Kampf zuzusehen zwischen dem modernen Staat und der mittelalterlichen Kirche.
Völlig unbedenklich liebäugeln sie, verbinden sie sich von Fall zu Fall mit den
unversöhnlichsten Feinden unserer modernen Staatsordnung. Die Rolle in
Mannheim ist, wenn nicht Alles trügt, für immer ausgespielt. Sie ist ausge¬
spielt nach der direkten Wahlart, welche bei der letzten Reichstagswahl unter
121,942 in Baden abgegebenen Stimmen nur 4037 für demokratische Kandi¬
daten zu Tage förderte. Sie ist ausgespielt, so sagt uns die jüngste Landtags¬
wahl, nach der indirekten Wahlart. Vor den Wahlmännerwahlen hatten sich
zufolge eines Kompromisses die Nationalliberalen und die Demokraten für
den jetzigen Abgeordneten, den Präsidenten der Mannheimer Handelskammer,
Kopfer, geeinigt. Derselbe passirt unter dem-Titel „reichsfreundlicher Demo¬
krat." Die Demokraten schlossen den Kompromiß, weil sie erkannt hatten, daß
ein Vollblutdemokrat, wie der bisherige Abgeordnete, nicht mehr die erforderliche
Stimmenzahl erhalten werde. Die Nationalliberalen traten bei, weil sie nicht
erwarteten, einen Kandidaten ans ihrer Mitte durchzubringen. Beide Parteien
stellten jedoch gesonderte Wahlmännerlisten auf. Der Erfolg war, daß die
Kandidaten der Nationalliberalen die Majorität erhielten. Wäre der Kompromiß
nicht vorher geschlossen gewesen, so Hütte Mannheim zu seinen zwei demokra¬
tischen Abgeordneten einen nationalliberalen in den Landtag entsendet.

Von den 63 Abgeordneten der zweiten Kammer gehören 45 der national¬
liberalen Fraktion an — die drei Minister-Abgeordneten zählen wir der Fraktion
nicht bei —, 12 der ultramontanen, 2 sind vollwichtige Mannheimer Demo¬
kraten, einer repräsentirt die oben erwähnte Spezies der „reichsfreundlichen"
Demokratie. Konservativer Seits hat man das Auseinanderfallen der national¬
liberalen Fraktion vorausgesagt in eine „fortschrittliche Linke" unter Kiefer
und in ein Centrum „uuter direkter Führung des Ministeriums." Auch einzelne
Stimmen aus dem nationalliberalen Lager wenigstens haben sich gegen den
„Fraktionszwang" erhoben, unter anderem auch mit der naiven Motivirung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/164>, abgerufen am 20.10.2024.