Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hat; dem Suezkanal wüßte mau nichts an die Seite zu setzen die Mittel-
rotnnde des Wiener Weltausstelluugsgebäudes würde die Kuppel der römischen
Peterskirche überspannen.

Und doch: die Peterskirche wird noch genannt werden, wenn die Wiener
Rotunde längst vergessen ist, so gut, wie der Ruhm des athenischen Parthenon
den der römischen Diokletiansthermen weit überragt, oder wie jeder die Mar-
kuskirche Venedigs kennt, der von dem riesenhaften Werke ihrer Fundamentirnng
wenig ahnt.

Ist doch die Peterskirche, das Werk des restaurirten Papstthums, zugleich
der energischeste Ausdruck eiuer ganzen Knlturepoche der Menschheit, der Epoche
des restaurirten Katholizismus, dessen streng geschlossene Einheit ihre Kuppel
symbolisch vertritt; verkörpert doch der Parthenon die wunderbare Epoche des
Perikleischen Athen; sieht man doch in San Marko, dein Werke vieler Jahr¬
hunderte, die ganze venetianische Kulturgeschichte leibhaftig vor sich.

Denn an allen diesen Gebäuden haben Künstler ersten Ranges mit der
ganzen Kraft ihres Geistes und ihrer Phantasie geschaffen, sie haben selbst in
sich alle Kulturelemente ihrer Zeit und ihres Ortes aufgenommen, und eben
deshalb haben sie ihre Werke zur Verkörperung derselben gemacht, eben deshalb
gilt der Satz: nur in dieser Umgebung, nnr in dieser Zeit konnten diese Bauten
entstehen. Die Peterskirche ist nur in Rom denkbar und konnte nur geschaffen
werden von einem Papstthume, das, wie es die kolossalen materiellen Mittel
bot, so auch die Geister beherrschte; die Markuskirche mit ihrem wunderbaren
Gemisch aus abendländischen und orientalischen, aus antiken und mittelalter¬
lichen Formen konnte nur in diesem Venedig entstehen, das an der Grenzscheide
zweier Welten und zweier Zeiten lag; der Parthenon mit seiner Marmvrschöne,
seinem Bilderschmuck, seiner Pallas Athene, wer konnte dies Monument, diese
Verherrlichung des athenischen Geistes, dieser feinsten und duftendsten Blüthe
des griechischen, anders schaffen als attische Künstler zur Zeit, als diese Blüthe
voll aufgebrochen prangte?

Niemand wird dasselbe von rein technischen Hervorbringungen der Gegen¬
wart behaupten wollen. Die Rotunde von Wien konnte anch in Paris oder
Berlin stehen und ein Menschenalter später errichtet werden; genau dieselbe
Brücke, welche die Elbe zwischen Hamburg und Harburg übersetzt, sie könnte
auch über die Weichsel oder über die Donan geschlagen worden sein, und die¬
selbe Bahnhofsanlage könnte in Moskau und in Lissabon ihren Platz finden.
Alle diese Werke sind Zeugnisse für kolossale Mittel und für einen riesigen
Unternehmungsgeist; man wird immerhin behaupten können, daß sie nur im
19. Jahrhundert entstehen konnten und also diese Zeit vertreten, niemals aber,
daß sie den ganzen geistigen Kultnrgehnlt einer bestimmten Epoche und eines


Grenzboten III. 1377. 12

hat; dem Suezkanal wüßte mau nichts an die Seite zu setzen die Mittel-
rotnnde des Wiener Weltausstelluugsgebäudes würde die Kuppel der römischen
Peterskirche überspannen.

Und doch: die Peterskirche wird noch genannt werden, wenn die Wiener
Rotunde längst vergessen ist, so gut, wie der Ruhm des athenischen Parthenon
den der römischen Diokletiansthermen weit überragt, oder wie jeder die Mar-
kuskirche Venedigs kennt, der von dem riesenhaften Werke ihrer Fundamentirnng
wenig ahnt.

Ist doch die Peterskirche, das Werk des restaurirten Papstthums, zugleich
der energischeste Ausdruck eiuer ganzen Knlturepoche der Menschheit, der Epoche
des restaurirten Katholizismus, dessen streng geschlossene Einheit ihre Kuppel
symbolisch vertritt; verkörpert doch der Parthenon die wunderbare Epoche des
Perikleischen Athen; sieht man doch in San Marko, dein Werke vieler Jahr¬
hunderte, die ganze venetianische Kulturgeschichte leibhaftig vor sich.

Denn an allen diesen Gebäuden haben Künstler ersten Ranges mit der
ganzen Kraft ihres Geistes und ihrer Phantasie geschaffen, sie haben selbst in
sich alle Kulturelemente ihrer Zeit und ihres Ortes aufgenommen, und eben
deshalb haben sie ihre Werke zur Verkörperung derselben gemacht, eben deshalb
gilt der Satz: nur in dieser Umgebung, nnr in dieser Zeit konnten diese Bauten
entstehen. Die Peterskirche ist nur in Rom denkbar und konnte nur geschaffen
werden von einem Papstthume, das, wie es die kolossalen materiellen Mittel
bot, so auch die Geister beherrschte; die Markuskirche mit ihrem wunderbaren
Gemisch aus abendländischen und orientalischen, aus antiken und mittelalter¬
lichen Formen konnte nur in diesem Venedig entstehen, das an der Grenzscheide
zweier Welten und zweier Zeiten lag; der Parthenon mit seiner Marmvrschöne,
seinem Bilderschmuck, seiner Pallas Athene, wer konnte dies Monument, diese
Verherrlichung des athenischen Geistes, dieser feinsten und duftendsten Blüthe
des griechischen, anders schaffen als attische Künstler zur Zeit, als diese Blüthe
voll aufgebrochen prangte?

Niemand wird dasselbe von rein technischen Hervorbringungen der Gegen¬
wart behaupten wollen. Die Rotunde von Wien konnte anch in Paris oder
Berlin stehen und ein Menschenalter später errichtet werden; genau dieselbe
Brücke, welche die Elbe zwischen Hamburg und Harburg übersetzt, sie könnte
auch über die Weichsel oder über die Donan geschlagen worden sein, und die¬
selbe Bahnhofsanlage könnte in Moskau und in Lissabon ihren Platz finden.
Alle diese Werke sind Zeugnisse für kolossale Mittel und für einen riesigen
Unternehmungsgeist; man wird immerhin behaupten können, daß sie nur im
19. Jahrhundert entstehen konnten und also diese Zeit vertreten, niemals aber,
daß sie den ganzen geistigen Kultnrgehnlt einer bestimmten Epoche und eines


Grenzboten III. 1377. 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138328"/>
          <p xml:id="ID_268" prev="#ID_267"> hat; dem Suezkanal wüßte mau nichts an die Seite zu setzen die Mittel-<lb/>
rotnnde des Wiener Weltausstelluugsgebäudes würde die Kuppel der römischen<lb/>
Peterskirche überspannen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_269"> Und doch: die Peterskirche wird noch genannt werden, wenn die Wiener<lb/>
Rotunde längst vergessen ist, so gut, wie der Ruhm des athenischen Parthenon<lb/>
den der römischen Diokletiansthermen weit überragt, oder wie jeder die Mar-<lb/>
kuskirche Venedigs kennt, der von dem riesenhaften Werke ihrer Fundamentirnng<lb/>
wenig ahnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_270"> Ist doch die Peterskirche, das Werk des restaurirten Papstthums, zugleich<lb/>
der energischeste Ausdruck eiuer ganzen Knlturepoche der Menschheit, der Epoche<lb/>
des restaurirten Katholizismus, dessen streng geschlossene Einheit ihre Kuppel<lb/>
symbolisch vertritt; verkörpert doch der Parthenon die wunderbare Epoche des<lb/>
Perikleischen Athen; sieht man doch in San Marko, dein Werke vieler Jahr¬<lb/>
hunderte, die ganze venetianische Kulturgeschichte leibhaftig vor sich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_271"> Denn an allen diesen Gebäuden haben Künstler ersten Ranges mit der<lb/>
ganzen Kraft ihres Geistes und ihrer Phantasie geschaffen, sie haben selbst in<lb/>
sich alle Kulturelemente ihrer Zeit und ihres Ortes aufgenommen, und eben<lb/>
deshalb haben sie ihre Werke zur Verkörperung derselben gemacht, eben deshalb<lb/>
gilt der Satz: nur in dieser Umgebung, nnr in dieser Zeit konnten diese Bauten<lb/>
entstehen. Die Peterskirche ist nur in Rom denkbar und konnte nur geschaffen<lb/>
werden von einem Papstthume, das, wie es die kolossalen materiellen Mittel<lb/>
bot, so auch die Geister beherrschte; die Markuskirche mit ihrem wunderbaren<lb/>
Gemisch aus abendländischen und orientalischen, aus antiken und mittelalter¬<lb/>
lichen Formen konnte nur in diesem Venedig entstehen, das an der Grenzscheide<lb/>
zweier Welten und zweier Zeiten lag; der Parthenon mit seiner Marmvrschöne,<lb/>
seinem Bilderschmuck, seiner Pallas Athene, wer konnte dies Monument, diese<lb/>
Verherrlichung des athenischen Geistes, dieser feinsten und duftendsten Blüthe<lb/>
des griechischen, anders schaffen als attische Künstler zur Zeit, als diese Blüthe<lb/>
voll aufgebrochen prangte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_272" next="#ID_273"> Niemand wird dasselbe von rein technischen Hervorbringungen der Gegen¬<lb/>
wart behaupten wollen. Die Rotunde von Wien konnte anch in Paris oder<lb/>
Berlin stehen und ein Menschenalter später errichtet werden; genau dieselbe<lb/>
Brücke, welche die Elbe zwischen Hamburg und Harburg übersetzt, sie könnte<lb/>
auch über die Weichsel oder über die Donan geschlagen worden sein, und die¬<lb/>
selbe Bahnhofsanlage könnte in Moskau und in Lissabon ihren Platz finden.<lb/>
Alle diese Werke sind Zeugnisse für kolossale Mittel und für einen riesigen<lb/>
Unternehmungsgeist; man wird immerhin behaupten können, daß sie nur im<lb/>
19. Jahrhundert entstehen konnten und also diese Zeit vertreten, niemals aber,<lb/>
daß sie den ganzen geistigen Kultnrgehnlt einer bestimmten Epoche und eines</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1377. 12</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0097] hat; dem Suezkanal wüßte mau nichts an die Seite zu setzen die Mittel- rotnnde des Wiener Weltausstelluugsgebäudes würde die Kuppel der römischen Peterskirche überspannen. Und doch: die Peterskirche wird noch genannt werden, wenn die Wiener Rotunde längst vergessen ist, so gut, wie der Ruhm des athenischen Parthenon den der römischen Diokletiansthermen weit überragt, oder wie jeder die Mar- kuskirche Venedigs kennt, der von dem riesenhaften Werke ihrer Fundamentirnng wenig ahnt. Ist doch die Peterskirche, das Werk des restaurirten Papstthums, zugleich der energischeste Ausdruck eiuer ganzen Knlturepoche der Menschheit, der Epoche des restaurirten Katholizismus, dessen streng geschlossene Einheit ihre Kuppel symbolisch vertritt; verkörpert doch der Parthenon die wunderbare Epoche des Perikleischen Athen; sieht man doch in San Marko, dein Werke vieler Jahr¬ hunderte, die ganze venetianische Kulturgeschichte leibhaftig vor sich. Denn an allen diesen Gebäuden haben Künstler ersten Ranges mit der ganzen Kraft ihres Geistes und ihrer Phantasie geschaffen, sie haben selbst in sich alle Kulturelemente ihrer Zeit und ihres Ortes aufgenommen, und eben deshalb haben sie ihre Werke zur Verkörperung derselben gemacht, eben deshalb gilt der Satz: nur in dieser Umgebung, nnr in dieser Zeit konnten diese Bauten entstehen. Die Peterskirche ist nur in Rom denkbar und konnte nur geschaffen werden von einem Papstthume, das, wie es die kolossalen materiellen Mittel bot, so auch die Geister beherrschte; die Markuskirche mit ihrem wunderbaren Gemisch aus abendländischen und orientalischen, aus antiken und mittelalter¬ lichen Formen konnte nur in diesem Venedig entstehen, das an der Grenzscheide zweier Welten und zweier Zeiten lag; der Parthenon mit seiner Marmvrschöne, seinem Bilderschmuck, seiner Pallas Athene, wer konnte dies Monument, diese Verherrlichung des athenischen Geistes, dieser feinsten und duftendsten Blüthe des griechischen, anders schaffen als attische Künstler zur Zeit, als diese Blüthe voll aufgebrochen prangte? Niemand wird dasselbe von rein technischen Hervorbringungen der Gegen¬ wart behaupten wollen. Die Rotunde von Wien konnte anch in Paris oder Berlin stehen und ein Menschenalter später errichtet werden; genau dieselbe Brücke, welche die Elbe zwischen Hamburg und Harburg übersetzt, sie könnte auch über die Weichsel oder über die Donan geschlagen worden sein, und die¬ selbe Bahnhofsanlage könnte in Moskau und in Lissabon ihren Platz finden. Alle diese Werke sind Zeugnisse für kolossale Mittel und für einen riesigen Unternehmungsgeist; man wird immerhin behaupten können, daß sie nur im 19. Jahrhundert entstehen konnten und also diese Zeit vertreten, niemals aber, daß sie den ganzen geistigen Kultnrgehnlt einer bestimmten Epoche und eines Grenzboten III. 1377. 12

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/97
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/97>, abgerufen am 28.09.2024.