Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.schied, er 'es auch wohl von seiner Seite an mancher Rüge über zügelloses Die Juristenfakultät zu Kiel antwortete: ein Gotteslästerer sei des Todes schied, er 'es auch wohl von seiner Seite an mancher Rüge über zügelloses Die Juristenfakultät zu Kiel antwortete: ein Gotteslästerer sei des Todes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138311"/> <p xml:id="ID_211" prev="#ID_210"> schied, er 'es auch wohl von seiner Seite an mancher Rüge über zügelloses<lb/> Leben und unanständige Reden nicht fehlen ließ, so erschien er ihnen bald als<lb/> ein Sittenprediger und ward ihnen zuwider. Und wie es zu geschehen pflegt,<lb/> jeder seiner Schritte und Tritte wurde beobachtet, jede Aeußerung begierig auf¬<lb/> gefangen, um womöglich irgend etwas Tadelnswerthes an ihm zu entdecken<lb/> und die lästigen Rügen und Vorwürfe auf diese Weise zu entkräften. Da<lb/> Günther aus seiner Ueberzeugung nie ein Hehl machte, so konnte den anderen<lb/> Gesellen seiue Ketzerei nicht lange entgehen. Es kam, wenn Günther zugegen<lb/> war, gewöhnlich zu religiösen Gesprächen und Dispnten, wobei es denn freilich<lb/> immer nur darauf abgesehen war, Günther's Rechtgläubigkeit verdächtig zu<lb/> uneben. Einst an einem Krugtage hatte man auch über Gegenstände der Art<lb/> heftig gestritten; alle waren vom vielen Trinken erhitzt, und der Streit artete<lb/> bald in eine förmliche Schlügerei aus. Als späterhin die Sache untersucht<lb/> ward und die Gesellen behaupteten, sie seien so in Eifer gerathen über eine<lb/> furchtbare Gotteslästerung, die Günther ausgestoßen, glaubte man kriminell<lb/> verfahren zu müssen. Günther ward gefänglich eingezogen und acht Zeugen,<lb/> die gegen ihn auftraten, wurden abgehört. Die Zeugen stimmten alle darin überein,<lb/> daß Günther von einigen Gesellen hart geschlagen worden sei. Auf die Frage: aus<lb/> welcher Ursache? erwiderten zwei der Zeugen, dieselben, welche die Schlägerei<lb/> angefangen, weit er die gotteslästerlichen Worte geredet habe: Die Jesuiten<lb/> haben den verfluchten Jesum zum Abgott gemacht. Die Andern hatten jene<lb/> Worte nicht selbst gehört, sondern nur von jenen vernommen und darauf mit<lb/> zugeschlagen. Einstimmig aber behaupteten Alle, daß Günther und die Andern,<lb/> wenn nicht trunken, doch wenigstens nicht nüchtern gewesen seien, weil sie schon<lb/> von Nachmittags drei Uhr bis elf Uhr getrunken gehabt. Günther selbst erzählte<lb/> den Vorfall anf diese Weise: Es hätten einige von den anwesenden Schmiede-<lb/> geselleu von dem Namen Jesu geredet, und wie Günther gesagt: er glaube nicht<lb/> an ihn, ihn der Gotteslästerung beschuldigt. „Das soll kein redlicher Mensch<lb/> mir nachsagen", sei seine Antwort gewesen. Da aber hätten die Gesellen ihn<lb/> sehr gescholten und geschlagen. Was man ihm vorwerfe, habe er nicht gesagt,<lb/> wohl aber die Worte: „Die Jesuiten, die Schelme und Diebe, haben unserem<lb/> Herrn Gott die Ehre abgestohlen;" auch könne er gesagt haben: „Die Jesuiten<lb/> haben Jesum zu einem Gott gemacht;" denn darüber habe er seine eigenen<lb/> Gedanken. — Auch bei der Confrontation mit den Zeugen leugnete er standhaft,<lb/> irgend ein Schimpfwort gebraucht zu haben. Es wurde beschlossen, die Akten<lb/> an juristische und theologische Fakultäten zu versenden.</p><lb/> <p xml:id="ID_212" next="#ID_213"> Die Juristenfakultät zu Kiel antwortete: ein Gotteslästerer sei des Todes<lb/> schuldig, ob aber dieser Mensch Gott gelästert, könne sie nicht entscheiden. Das<lb/> Urtheil war ganz der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl's V. gemäß, in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
schied, er 'es auch wohl von seiner Seite an mancher Rüge über zügelloses
Leben und unanständige Reden nicht fehlen ließ, so erschien er ihnen bald als
ein Sittenprediger und ward ihnen zuwider. Und wie es zu geschehen pflegt,
jeder seiner Schritte und Tritte wurde beobachtet, jede Aeußerung begierig auf¬
gefangen, um womöglich irgend etwas Tadelnswerthes an ihm zu entdecken
und die lästigen Rügen und Vorwürfe auf diese Weise zu entkräften. Da
Günther aus seiner Ueberzeugung nie ein Hehl machte, so konnte den anderen
Gesellen seiue Ketzerei nicht lange entgehen. Es kam, wenn Günther zugegen
war, gewöhnlich zu religiösen Gesprächen und Dispnten, wobei es denn freilich
immer nur darauf abgesehen war, Günther's Rechtgläubigkeit verdächtig zu
uneben. Einst an einem Krugtage hatte man auch über Gegenstände der Art
heftig gestritten; alle waren vom vielen Trinken erhitzt, und der Streit artete
bald in eine förmliche Schlügerei aus. Als späterhin die Sache untersucht
ward und die Gesellen behaupteten, sie seien so in Eifer gerathen über eine
furchtbare Gotteslästerung, die Günther ausgestoßen, glaubte man kriminell
verfahren zu müssen. Günther ward gefänglich eingezogen und acht Zeugen,
die gegen ihn auftraten, wurden abgehört. Die Zeugen stimmten alle darin überein,
daß Günther von einigen Gesellen hart geschlagen worden sei. Auf die Frage: aus
welcher Ursache? erwiderten zwei der Zeugen, dieselben, welche die Schlägerei
angefangen, weit er die gotteslästerlichen Worte geredet habe: Die Jesuiten
haben den verfluchten Jesum zum Abgott gemacht. Die Andern hatten jene
Worte nicht selbst gehört, sondern nur von jenen vernommen und darauf mit
zugeschlagen. Einstimmig aber behaupteten Alle, daß Günther und die Andern,
wenn nicht trunken, doch wenigstens nicht nüchtern gewesen seien, weil sie schon
von Nachmittags drei Uhr bis elf Uhr getrunken gehabt. Günther selbst erzählte
den Vorfall anf diese Weise: Es hätten einige von den anwesenden Schmiede-
geselleu von dem Namen Jesu geredet, und wie Günther gesagt: er glaube nicht
an ihn, ihn der Gotteslästerung beschuldigt. „Das soll kein redlicher Mensch
mir nachsagen", sei seine Antwort gewesen. Da aber hätten die Gesellen ihn
sehr gescholten und geschlagen. Was man ihm vorwerfe, habe er nicht gesagt,
wohl aber die Worte: „Die Jesuiten, die Schelme und Diebe, haben unserem
Herrn Gott die Ehre abgestohlen;" auch könne er gesagt haben: „Die Jesuiten
haben Jesum zu einem Gott gemacht;" denn darüber habe er seine eigenen
Gedanken. — Auch bei der Confrontation mit den Zeugen leugnete er standhaft,
irgend ein Schimpfwort gebraucht zu haben. Es wurde beschlossen, die Akten
an juristische und theologische Fakultäten zu versenden.
Die Juristenfakultät zu Kiel antwortete: ein Gotteslästerer sei des Todes
schuldig, ob aber dieser Mensch Gott gelästert, könne sie nicht entscheiden. Das
Urtheil war ganz der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl's V. gemäß, in
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