Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

waren die Regungen des wiclif'schen Geistes, soweit sie noch vorhanden, erstickt
worden. "Es war keine Nachfrage da", sagte der Kaufmann.

Ich glaube, aus diesem Mangel an Nachfrage, an Verlangen, der sich ans
dem Nichtvorhandensein von Bibeldrucken aus den Pressen von Westminster
und Se. Albans ergibt, darf man schließen über Ccixton, deu Einzelnen, hin¬
weg ans den Erfolg der römischen Reaktion gegenüber Wiclis's kühnem Vor¬
gehen einerseits und andrerseits auf die Ohnmacht und Energielosigkeit, mit
der das englische Volk den von Wielif geschlagenen Funken nährte und auf
die indolente Indifferenz, mit der Roms Joch getragen wurde. Zu einem
frischen, fröhlichen Kampfe, den der Glaube und das religiöse Gewissen gegen
Rom geführt, ist es bekanntlich anch in den nächsten 50 Jahren nicht gekom¬
men, und der Garten, in dem der englische Humanismus Blüthen getrieben,
ist rasch durchschritten; so sehr findet eine Continuität der in den Kampf der
Wissenschaft und des Glaubens geführten Kräfte in der Reformationszeit und
in unserer Periode statt. -- Der Druck wiclif'scher Schriften war bei Todes¬
strafe verboten; hätte der einzelne Carton, dessen vielfache Beziehungen zum
Hofe wir kennen, an ihre Vervielfältigung und Verbreitung denken können?
Hier mußten noch andere Faktoren ins Spiel und dem Unternehmungsgeist"
des Einzelnen zu Hilfe kommen. Aber das Volk schwieg dazu, und die Lands¬
leute eiues Beda, Erigena, Chaucer, eines Wielif, Pnrvey, Sir John Oldeastle
und Sir Richard Wyche verlangten nicht nach neuer, kräftiger Kost in einer
Zeit, in der die Kunst schon vervollständigt, ihre Anwendung und ihr Betrieb
vereinfacht und erleichtert war, während die noch unbeholfene und mit den
verschiedensten Schwierigkeiten kämpfende deutsche Kunst sich im edelsten Wett¬
kampfe um wahre Musterdrncke von lateinischen Klassikern, namentlich aber
von Bibeln ereiferte.

Blieb sich in diesen Beziehungen Ccixton anch der Mächte unbewußt, die
eine glückliche Lebensführung ihm in der Anwendung und Ausübung der neuen
Kunst nahe gelegt, so hat er es sich doch sein Leben hindurch, besonders in
den letzten 15 Jahren, ehrlich sauer werden lassen. Er hat 22 Werke erst
selbst für den Druck übersetzt, mehr als 4500 Seiten im ganzen; bereits über¬
setzte durchgesehen, korrigirt und ergänzt und einen umfangreichen Abdruck von
einem ungenauen Original wiederholt, lediglich um seinen "Kstlsrezs" in reinem
Texte zu haben. Gedruckt hat er in England mehr als 18000 Seiten, fast
alle Großfolio. Dazu kommen noch seine 4 ausländischen Drucke mit zu¬
sammen 1900 Seiten (ohne den LartKo1oilig,so.8) und seine Uebersetzung der
"Vitas?atrum", die ihn der Tod zum Drucke zu bringen verhinderte: ein
Leben, reich an Arbeit und an Mühe, wie Gutenberg's, doch aber ohne die


waren die Regungen des wiclif'schen Geistes, soweit sie noch vorhanden, erstickt
worden. „Es war keine Nachfrage da", sagte der Kaufmann.

Ich glaube, aus diesem Mangel an Nachfrage, an Verlangen, der sich ans
dem Nichtvorhandensein von Bibeldrucken aus den Pressen von Westminster
und Se. Albans ergibt, darf man schließen über Ccixton, deu Einzelnen, hin¬
weg ans den Erfolg der römischen Reaktion gegenüber Wiclis's kühnem Vor¬
gehen einerseits und andrerseits auf die Ohnmacht und Energielosigkeit, mit
der das englische Volk den von Wielif geschlagenen Funken nährte und auf
die indolente Indifferenz, mit der Roms Joch getragen wurde. Zu einem
frischen, fröhlichen Kampfe, den der Glaube und das religiöse Gewissen gegen
Rom geführt, ist es bekanntlich anch in den nächsten 50 Jahren nicht gekom¬
men, und der Garten, in dem der englische Humanismus Blüthen getrieben,
ist rasch durchschritten; so sehr findet eine Continuität der in den Kampf der
Wissenschaft und des Glaubens geführten Kräfte in der Reformationszeit und
in unserer Periode statt. — Der Druck wiclif'scher Schriften war bei Todes¬
strafe verboten; hätte der einzelne Carton, dessen vielfache Beziehungen zum
Hofe wir kennen, an ihre Vervielfältigung und Verbreitung denken können?
Hier mußten noch andere Faktoren ins Spiel und dem Unternehmungsgeist«
des Einzelnen zu Hilfe kommen. Aber das Volk schwieg dazu, und die Lands¬
leute eiues Beda, Erigena, Chaucer, eines Wielif, Pnrvey, Sir John Oldeastle
und Sir Richard Wyche verlangten nicht nach neuer, kräftiger Kost in einer
Zeit, in der die Kunst schon vervollständigt, ihre Anwendung und ihr Betrieb
vereinfacht und erleichtert war, während die noch unbeholfene und mit den
verschiedensten Schwierigkeiten kämpfende deutsche Kunst sich im edelsten Wett¬
kampfe um wahre Musterdrncke von lateinischen Klassikern, namentlich aber
von Bibeln ereiferte.

Blieb sich in diesen Beziehungen Ccixton anch der Mächte unbewußt, die
eine glückliche Lebensführung ihm in der Anwendung und Ausübung der neuen
Kunst nahe gelegt, so hat er es sich doch sein Leben hindurch, besonders in
den letzten 15 Jahren, ehrlich sauer werden lassen. Er hat 22 Werke erst
selbst für den Druck übersetzt, mehr als 4500 Seiten im ganzen; bereits über¬
setzte durchgesehen, korrigirt und ergänzt und einen umfangreichen Abdruck von
einem ungenauen Original wiederholt, lediglich um seinen „Kstlsrezs" in reinem
Texte zu haben. Gedruckt hat er in England mehr als 18000 Seiten, fast
alle Großfolio. Dazu kommen noch seine 4 ausländischen Drucke mit zu¬
sammen 1900 Seiten (ohne den LartKo1oilig,so.8) und seine Uebersetzung der
„Vitas?atrum", die ihn der Tod zum Drucke zu bringen verhinderte: ein
Leben, reich an Arbeit und an Mühe, wie Gutenberg's, doch aber ohne die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138292"/>
          <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136"> waren die Regungen des wiclif'schen Geistes, soweit sie noch vorhanden, erstickt<lb/>
worden. &#x201E;Es war keine Nachfrage da", sagte der Kaufmann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_138"> Ich glaube, aus diesem Mangel an Nachfrage, an Verlangen, der sich ans<lb/>
dem Nichtvorhandensein von Bibeldrucken aus den Pressen von Westminster<lb/>
und Se. Albans ergibt, darf man schließen über Ccixton, deu Einzelnen, hin¬<lb/>
weg ans den Erfolg der römischen Reaktion gegenüber Wiclis's kühnem Vor¬<lb/>
gehen einerseits und andrerseits auf die Ohnmacht und Energielosigkeit, mit<lb/>
der das englische Volk den von Wielif geschlagenen Funken nährte und auf<lb/>
die indolente Indifferenz, mit der Roms Joch getragen wurde. Zu einem<lb/>
frischen, fröhlichen Kampfe, den der Glaube und das religiöse Gewissen gegen<lb/>
Rom geführt, ist es bekanntlich anch in den nächsten 50 Jahren nicht gekom¬<lb/>
men, und der Garten, in dem der englische Humanismus Blüthen getrieben,<lb/>
ist rasch durchschritten; so sehr findet eine Continuität der in den Kampf der<lb/>
Wissenschaft und des Glaubens geführten Kräfte in der Reformationszeit und<lb/>
in unserer Periode statt. &#x2014; Der Druck wiclif'scher Schriften war bei Todes¬<lb/>
strafe verboten; hätte der einzelne Carton, dessen vielfache Beziehungen zum<lb/>
Hofe wir kennen, an ihre Vervielfältigung und Verbreitung denken können?<lb/>
Hier mußten noch andere Faktoren ins Spiel und dem Unternehmungsgeist«<lb/>
des Einzelnen zu Hilfe kommen. Aber das Volk schwieg dazu, und die Lands¬<lb/>
leute eiues Beda, Erigena, Chaucer, eines Wielif, Pnrvey, Sir John Oldeastle<lb/>
und Sir Richard Wyche verlangten nicht nach neuer, kräftiger Kost in einer<lb/>
Zeit, in der die Kunst schon vervollständigt, ihre Anwendung und ihr Betrieb<lb/>
vereinfacht und erleichtert war, während die noch unbeholfene und mit den<lb/>
verschiedensten Schwierigkeiten kämpfende deutsche Kunst sich im edelsten Wett¬<lb/>
kampfe um wahre Musterdrncke von lateinischen Klassikern, namentlich aber<lb/>
von Bibeln ereiferte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_139" next="#ID_140"> Blieb sich in diesen Beziehungen Ccixton anch der Mächte unbewußt, die<lb/>
eine glückliche Lebensführung ihm in der Anwendung und Ausübung der neuen<lb/>
Kunst nahe gelegt, so hat er es sich doch sein Leben hindurch, besonders in<lb/>
den letzten 15 Jahren, ehrlich sauer werden lassen. Er hat 22 Werke erst<lb/>
selbst für den Druck übersetzt, mehr als 4500 Seiten im ganzen; bereits über¬<lb/>
setzte durchgesehen, korrigirt und ergänzt und einen umfangreichen Abdruck von<lb/>
einem ungenauen Original wiederholt, lediglich um seinen &#x201E;Kstlsrezs" in reinem<lb/>
Texte zu haben. Gedruckt hat er in England mehr als 18000 Seiten, fast<lb/>
alle Großfolio. Dazu kommen noch seine 4 ausländischen Drucke mit zu¬<lb/>
sammen 1900 Seiten (ohne den LartKo1oilig,so.8) und seine Uebersetzung der<lb/>
&#x201E;Vitas?atrum", die ihn der Tod zum Drucke zu bringen verhinderte: ein<lb/>
Leben, reich an Arbeit und an Mühe, wie Gutenberg's, doch aber ohne die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] waren die Regungen des wiclif'schen Geistes, soweit sie noch vorhanden, erstickt worden. „Es war keine Nachfrage da", sagte der Kaufmann. Ich glaube, aus diesem Mangel an Nachfrage, an Verlangen, der sich ans dem Nichtvorhandensein von Bibeldrucken aus den Pressen von Westminster und Se. Albans ergibt, darf man schließen über Ccixton, deu Einzelnen, hin¬ weg ans den Erfolg der römischen Reaktion gegenüber Wiclis's kühnem Vor¬ gehen einerseits und andrerseits auf die Ohnmacht und Energielosigkeit, mit der das englische Volk den von Wielif geschlagenen Funken nährte und auf die indolente Indifferenz, mit der Roms Joch getragen wurde. Zu einem frischen, fröhlichen Kampfe, den der Glaube und das religiöse Gewissen gegen Rom geführt, ist es bekanntlich anch in den nächsten 50 Jahren nicht gekom¬ men, und der Garten, in dem der englische Humanismus Blüthen getrieben, ist rasch durchschritten; so sehr findet eine Continuität der in den Kampf der Wissenschaft und des Glaubens geführten Kräfte in der Reformationszeit und in unserer Periode statt. — Der Druck wiclif'scher Schriften war bei Todes¬ strafe verboten; hätte der einzelne Carton, dessen vielfache Beziehungen zum Hofe wir kennen, an ihre Vervielfältigung und Verbreitung denken können? Hier mußten noch andere Faktoren ins Spiel und dem Unternehmungsgeist« des Einzelnen zu Hilfe kommen. Aber das Volk schwieg dazu, und die Lands¬ leute eiues Beda, Erigena, Chaucer, eines Wielif, Pnrvey, Sir John Oldeastle und Sir Richard Wyche verlangten nicht nach neuer, kräftiger Kost in einer Zeit, in der die Kunst schon vervollständigt, ihre Anwendung und ihr Betrieb vereinfacht und erleichtert war, während die noch unbeholfene und mit den verschiedensten Schwierigkeiten kämpfende deutsche Kunst sich im edelsten Wett¬ kampfe um wahre Musterdrncke von lateinischen Klassikern, namentlich aber von Bibeln ereiferte. Blieb sich in diesen Beziehungen Ccixton anch der Mächte unbewußt, die eine glückliche Lebensführung ihm in der Anwendung und Ausübung der neuen Kunst nahe gelegt, so hat er es sich doch sein Leben hindurch, besonders in den letzten 15 Jahren, ehrlich sauer werden lassen. Er hat 22 Werke erst selbst für den Druck übersetzt, mehr als 4500 Seiten im ganzen; bereits über¬ setzte durchgesehen, korrigirt und ergänzt und einen umfangreichen Abdruck von einem ungenauen Original wiederholt, lediglich um seinen „Kstlsrezs" in reinem Texte zu haben. Gedruckt hat er in England mehr als 18000 Seiten, fast alle Großfolio. Dazu kommen noch seine 4 ausländischen Drucke mit zu¬ sammen 1900 Seiten (ohne den LartKo1oilig,so.8) und seine Uebersetzung der „Vitas?atrum", die ihn der Tod zum Drucke zu bringen verhinderte: ein Leben, reich an Arbeit und an Mühe, wie Gutenberg's, doch aber ohne die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/61
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/61>, abgerufen am 28.09.2024.