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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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dereien nicht messen. "Die Episoden wurden nicht ohne Absicht bevorzugt",
gesteht er selbst zu. Er erzählt ungefähr wie der Pariser Chroniqueur, "aus
dem Tage zum Tage." Und manches der hier ausgeplauderten Herzensge¬
heimnisse der napoleonischen Größen ist vielleicht dnrch die bisherige und künftige
Ausbeute aus französischen und andern Archiven nicht vollständig zu erhärten,
sondern nur bezeugt von Hunderttausenden sensationsbedürstiger Pariser Boule-
vardhabitue's die so wenig wie der Verfasser Ohr und Mund verschließen können
für eine jener feinstgeschliffenen Medisnneen, wie sie eben nur die Pariser Boule¬
vards zu erzeugen verstehen. Aber das Allermeiste aus diesen Pariser Beobach¬
tungen Levysohns ist schon jetzt streng geschichtlich verbürgt und Vieles konnte
nur ein jahrelang mit der Bohöme der Pariser Presse eng vertrauter Journalist
so tief ergründen, wie es hier geschehen ist.

Eine Fülle geistvoller Unterhaltung wird man dem Buche verdanken.
Doch stellen wir die beiden ersten Abhandlungen "Pariser Preß-Jndiseretionen"
(die 1871 anonym in den Grenzboten erschienen) und die "Presse des Kaiser¬
reichs" (wohl in der Kölnischen Zeitung oder im "Salon" zuerst abgedruckt),
am höchsten. Namentlich ist der zweite der genannten Artikel ein wahres
Kabinetsstück. Vom Moniteur -- oder richtiger den beiden Moniteurs -- an
bis zum "Petit Journal" herab schauen wir jeder Pariser Zeitung von damals
in ihre tiefsten und ergötzlichsten Redaktionsgeheimnisse. Wir erfahren, mit
wessen Geld sie gegründet worden, wie viel Abonnenten sie im Wandel der
Zeiten besessen, wer sie redigirt und wie der Mann aussieht, wer sie berühmt
oder langweilig gemacht, welche Tendenz sie verfolgten, n. s. w. Man kann
kaum etwas Ergötzlicheres aus der Zeitgeschichte lesen, als dieses Kapitel.
Einige allgemeine Bemerkungen über die der französischen Presse eigenthüm¬
lichen oder von den deutschen abweichenden Einrichtungen: Annoncen- und
Reklamewesen, Pflege der Spezialitäten, Korrespondenzen, das stehende Personal
einer französischen Zeitung, sind vorausgeschickt. Wir lernen bei dieser Gelegen¬
heit namentlich den französischen Verantwortlichkeitsstrohmann, den Gerant,
kennen. "Um Gerant zu sein, brauchte man das Pulver nicht erfunden zu
haben. Die Regierung cintorifirte den, dessen "gute Gesinnung" sich fleckenlos
präsentiren konnte. So kam es, daß z. B. der frühere Gerant der "Patrie"
den Stand der Unschuld so weit trieb, mit den zur Unterzeichnung seines
Namens nothwendigen kabbalistischen Schriftzeichen niemals auch nur den ge¬
ringsten vertrauten Umgang gepflogen zu haben." Der Besitzer des Blattes
bekommt ob dieser Unwissenheit Gewissensbisse und läßt denn "Freund Gären
in eins der kleinen Bureaux der Redaktion mit einer Fttnfhnndertfranenote
und der Weisung einsperren, die ans derselben befindliche Unterschrist des Bank¬
direktors "Garat" so lauge nachzumalen, bis die Züge sich dem Gedächtniß


dereien nicht messen. „Die Episoden wurden nicht ohne Absicht bevorzugt",
gesteht er selbst zu. Er erzählt ungefähr wie der Pariser Chroniqueur, „aus
dem Tage zum Tage." Und manches der hier ausgeplauderten Herzensge¬
heimnisse der napoleonischen Größen ist vielleicht dnrch die bisherige und künftige
Ausbeute aus französischen und andern Archiven nicht vollständig zu erhärten,
sondern nur bezeugt von Hunderttausenden sensationsbedürstiger Pariser Boule-
vardhabitue's die so wenig wie der Verfasser Ohr und Mund verschließen können
für eine jener feinstgeschliffenen Medisnneen, wie sie eben nur die Pariser Boule¬
vards zu erzeugen verstehen. Aber das Allermeiste aus diesen Pariser Beobach¬
tungen Levysohns ist schon jetzt streng geschichtlich verbürgt und Vieles konnte
nur ein jahrelang mit der Bohöme der Pariser Presse eng vertrauter Journalist
so tief ergründen, wie es hier geschehen ist.

Eine Fülle geistvoller Unterhaltung wird man dem Buche verdanken.
Doch stellen wir die beiden ersten Abhandlungen „Pariser Preß-Jndiseretionen"
(die 1871 anonym in den Grenzboten erschienen) und die „Presse des Kaiser¬
reichs" (wohl in der Kölnischen Zeitung oder im „Salon" zuerst abgedruckt),
am höchsten. Namentlich ist der zweite der genannten Artikel ein wahres
Kabinetsstück. Vom Moniteur — oder richtiger den beiden Moniteurs — an
bis zum „Petit Journal" herab schauen wir jeder Pariser Zeitung von damals
in ihre tiefsten und ergötzlichsten Redaktionsgeheimnisse. Wir erfahren, mit
wessen Geld sie gegründet worden, wie viel Abonnenten sie im Wandel der
Zeiten besessen, wer sie redigirt und wie der Mann aussieht, wer sie berühmt
oder langweilig gemacht, welche Tendenz sie verfolgten, n. s. w. Man kann
kaum etwas Ergötzlicheres aus der Zeitgeschichte lesen, als dieses Kapitel.
Einige allgemeine Bemerkungen über die der französischen Presse eigenthüm¬
lichen oder von den deutschen abweichenden Einrichtungen: Annoncen- und
Reklamewesen, Pflege der Spezialitäten, Korrespondenzen, das stehende Personal
einer französischen Zeitung, sind vorausgeschickt. Wir lernen bei dieser Gelegen¬
heit namentlich den französischen Verantwortlichkeitsstrohmann, den Gerant,
kennen. „Um Gerant zu sein, brauchte man das Pulver nicht erfunden zu
haben. Die Regierung cintorifirte den, dessen „gute Gesinnung" sich fleckenlos
präsentiren konnte. So kam es, daß z. B. der frühere Gerant der „Patrie"
den Stand der Unschuld so weit trieb, mit den zur Unterzeichnung seines
Namens nothwendigen kabbalistischen Schriftzeichen niemals auch nur den ge¬
ringsten vertrauten Umgang gepflogen zu haben." Der Besitzer des Blattes
bekommt ob dieser Unwissenheit Gewissensbisse und läßt denn „Freund Gären
in eins der kleinen Bureaux der Redaktion mit einer Fttnfhnndertfranenote
und der Weisung einsperren, die ans derselben befindliche Unterschrist des Bank¬
direktors „Garat" so lauge nachzumalen, bis die Züge sich dem Gedächtniß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/524>, abgerufen am 28.09.2024.