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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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um deßwillen an Interesse verloren haben, weil die Persönlichkeiten, deren
geheimste Herzensfalten hier blosgelegt werden, längst in rühmlose Vergessenheit
versunken oder doch vom Vordergrund der Bühne abgetreten sind. Dagegen
werden umgekehrt hier französische Männer bei ihrem ersten Auftreten in der
Geschichte unsrer Tage geschildert und charakterisirt, die erst in der Gegenwart
ihre volle Bedeutung entfalten und deren höheren Werth der Verfasser
damals schon richtig würdigte. Es werden Grundsätze und Parteibestrebungen
bei ihrem ersten Auftauchen in ihre letzten Consequenzen hineinverfolgt, die
später zu den gewaltsamsten und blutigsten Gräueln führten, welche die an
grausamen Bürgerkriegen so reiche französische Geschichte kennt. Wenn Levysohn
in dem im August 1869 geschriebenen Artikel "Wie Paris einst wählte" die
nenn Häupter der republikanischen Opposition, welche die letzten Pariser Wahlen,
die unter dem Kaiserreich stattfanden, in den corxs I^ZiZi^til entsandten, nach¬
einander uns leibhaftig abmalt: Gcimbetta und Thiers, Bcmeel, Picard, Garnier-
Pag?s und Jules Ferry endlich Jules Favre und Jules Simon und dann,
trotz, seiner alle Vorzüge jener Tageshelden erschöpfenden Charakterschilderungen,
über die Neun zusammen dahin urtheilt: "wie mannigfach ihre Begabung auch
sein mag, sie repräsentiren kaum eine Ordnung der Dinge, die unter ihrer
Leitung segenbringend für Frankreich sein dürfte", so hat die Geschichte der
"Negierung der nationalen Vertheidigung", in der sich all jene Lieblinge des
Pariser Volkes, mit Ausnahme des weisen Thiers, wiederfanden, eine merkwürdige
Bestätigung dieser Weissagung geliefert. Und noch schlagender ist ein 'anderes
M Jahre 1869 schon ausgesprochenes Wort unsres Autors in Erfüllung ge¬
gangen, das sich hier in dem Artikel "Die Vorschule der Commune" (in welchem
die seit dem Gesetze des 19. Januar 1867 über das "Versammlungsrecht" sast
permanenten radikalen und später sozialen Volksversammlungen von Belleville
n. s. w. in packendster Natürlichkeit geschildert werden) wieder abgedruckt findet:
"Jeder Versuch eine abweichende Meinung zu Gehör zu bringen wurde mit
einem Terrorismus erstickt, der das Schlimmste befürchten ließ, für den Tag,
da die Männer dieser Kreise das erlangt haben mögen, was sie so heiß ersehnen:
Macht, Gewalt und Glanz." Solche nach Jahren als zutreffend erwiesene
Vvrausahnungeu der Zukunft finden sich viele in dem Buche und legen
Zeugniß ab für die tiefe Beobachtung und das scharfe Urtheil des Verfassers.
Wenn daher Levysohn bescheiden ausspricht, daß sein Buch "weder ein voll¬
ständiges Bild der Epoche gebe, von der es handelt, noch auch nur ein getreues
Personenverzeichniß jeuer Männer enthalte, die in der napoleonischen Tragi¬
komödie eine Rolle gespielt", so ist das gewiß richtig. Mit dein Maßstabe
den man an ein historisches Werk, namentlich eine an der Hand der besten
Quellen bearbeitete geschichtliche Darstellung legt, darf man Levysohns Plan-


um deßwillen an Interesse verloren haben, weil die Persönlichkeiten, deren
geheimste Herzensfalten hier blosgelegt werden, längst in rühmlose Vergessenheit
versunken oder doch vom Vordergrund der Bühne abgetreten sind. Dagegen
werden umgekehrt hier französische Männer bei ihrem ersten Auftreten in der
Geschichte unsrer Tage geschildert und charakterisirt, die erst in der Gegenwart
ihre volle Bedeutung entfalten und deren höheren Werth der Verfasser
damals schon richtig würdigte. Es werden Grundsätze und Parteibestrebungen
bei ihrem ersten Auftauchen in ihre letzten Consequenzen hineinverfolgt, die
später zu den gewaltsamsten und blutigsten Gräueln führten, welche die an
grausamen Bürgerkriegen so reiche französische Geschichte kennt. Wenn Levysohn
in dem im August 1869 geschriebenen Artikel „Wie Paris einst wählte" die
nenn Häupter der republikanischen Opposition, welche die letzten Pariser Wahlen,
die unter dem Kaiserreich stattfanden, in den corxs I^ZiZi^til entsandten, nach¬
einander uns leibhaftig abmalt: Gcimbetta und Thiers, Bcmeel, Picard, Garnier-
Pag?s und Jules Ferry endlich Jules Favre und Jules Simon und dann,
trotz, seiner alle Vorzüge jener Tageshelden erschöpfenden Charakterschilderungen,
über die Neun zusammen dahin urtheilt: „wie mannigfach ihre Begabung auch
sein mag, sie repräsentiren kaum eine Ordnung der Dinge, die unter ihrer
Leitung segenbringend für Frankreich sein dürfte", so hat die Geschichte der
»Negierung der nationalen Vertheidigung", in der sich all jene Lieblinge des
Pariser Volkes, mit Ausnahme des weisen Thiers, wiederfanden, eine merkwürdige
Bestätigung dieser Weissagung geliefert. Und noch schlagender ist ein 'anderes
M Jahre 1869 schon ausgesprochenes Wort unsres Autors in Erfüllung ge¬
gangen, das sich hier in dem Artikel „Die Vorschule der Commune" (in welchem
die seit dem Gesetze des 19. Januar 1867 über das „Versammlungsrecht" sast
permanenten radikalen und später sozialen Volksversammlungen von Belleville
n. s. w. in packendster Natürlichkeit geschildert werden) wieder abgedruckt findet:
»Jeder Versuch eine abweichende Meinung zu Gehör zu bringen wurde mit
einem Terrorismus erstickt, der das Schlimmste befürchten ließ, für den Tag,
da die Männer dieser Kreise das erlangt haben mögen, was sie so heiß ersehnen:
Macht, Gewalt und Glanz." Solche nach Jahren als zutreffend erwiesene
Vvrausahnungeu der Zukunft finden sich viele in dem Buche und legen
Zeugniß ab für die tiefe Beobachtung und das scharfe Urtheil des Verfassers.
Wenn daher Levysohn bescheiden ausspricht, daß sein Buch „weder ein voll¬
ständiges Bild der Epoche gebe, von der es handelt, noch auch nur ein getreues
Personenverzeichniß jeuer Männer enthalte, die in der napoleonischen Tragi¬
komödie eine Rolle gespielt", so ist das gewiß richtig. Mit dein Maßstabe
den man an ein historisches Werk, namentlich eine an der Hand der besten
Quellen bearbeitete geschichtliche Darstellung legt, darf man Levysohns Plan-


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[0523] um deßwillen an Interesse verloren haben, weil die Persönlichkeiten, deren geheimste Herzensfalten hier blosgelegt werden, längst in rühmlose Vergessenheit versunken oder doch vom Vordergrund der Bühne abgetreten sind. Dagegen werden umgekehrt hier französische Männer bei ihrem ersten Auftreten in der Geschichte unsrer Tage geschildert und charakterisirt, die erst in der Gegenwart ihre volle Bedeutung entfalten und deren höheren Werth der Verfasser damals schon richtig würdigte. Es werden Grundsätze und Parteibestrebungen bei ihrem ersten Auftauchen in ihre letzten Consequenzen hineinverfolgt, die später zu den gewaltsamsten und blutigsten Gräueln führten, welche die an grausamen Bürgerkriegen so reiche französische Geschichte kennt. Wenn Levysohn in dem im August 1869 geschriebenen Artikel „Wie Paris einst wählte" die nenn Häupter der republikanischen Opposition, welche die letzten Pariser Wahlen, die unter dem Kaiserreich stattfanden, in den corxs I^ZiZi^til entsandten, nach¬ einander uns leibhaftig abmalt: Gcimbetta und Thiers, Bcmeel, Picard, Garnier- Pag?s und Jules Ferry endlich Jules Favre und Jules Simon und dann, trotz, seiner alle Vorzüge jener Tageshelden erschöpfenden Charakterschilderungen, über die Neun zusammen dahin urtheilt: „wie mannigfach ihre Begabung auch sein mag, sie repräsentiren kaum eine Ordnung der Dinge, die unter ihrer Leitung segenbringend für Frankreich sein dürfte", so hat die Geschichte der »Negierung der nationalen Vertheidigung", in der sich all jene Lieblinge des Pariser Volkes, mit Ausnahme des weisen Thiers, wiederfanden, eine merkwürdige Bestätigung dieser Weissagung geliefert. Und noch schlagender ist ein 'anderes M Jahre 1869 schon ausgesprochenes Wort unsres Autors in Erfüllung ge¬ gangen, das sich hier in dem Artikel „Die Vorschule der Commune" (in welchem die seit dem Gesetze des 19. Januar 1867 über das „Versammlungsrecht" sast permanenten radikalen und später sozialen Volksversammlungen von Belleville n. s. w. in packendster Natürlichkeit geschildert werden) wieder abgedruckt findet: »Jeder Versuch eine abweichende Meinung zu Gehör zu bringen wurde mit einem Terrorismus erstickt, der das Schlimmste befürchten ließ, für den Tag, da die Männer dieser Kreise das erlangt haben mögen, was sie so heiß ersehnen: Macht, Gewalt und Glanz." Solche nach Jahren als zutreffend erwiesene Vvrausahnungeu der Zukunft finden sich viele in dem Buche und legen Zeugniß ab für die tiefe Beobachtung und das scharfe Urtheil des Verfassers. Wenn daher Levysohn bescheiden ausspricht, daß sein Buch „weder ein voll¬ ständiges Bild der Epoche gebe, von der es handelt, noch auch nur ein getreues Personenverzeichniß jeuer Männer enthalte, die in der napoleonischen Tragi¬ komödie eine Rolle gespielt", so ist das gewiß richtig. Mit dein Maßstabe den man an ein historisches Werk, namentlich eine an der Hand der besten Quellen bearbeitete geschichtliche Darstellung legt, darf man Levysohns Plan-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/523>, abgerufen am 28.09.2024.