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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Schweizer Keiseöriefe.
in.

Von den Ausflügen, welche das Maderanerthal bietet, ist -- von den großen
Gletscherwanderungen abgesehen -- ein Marsch über die "Staffeln" der lohnendste;
auch dem flüchtigen Besucher des Thales als Rückweg nach Amsteg dringend zu
empfehlen. Wer den eigenthümlichen Zauber des Verweilens in hoher Alpen-
regwn, unmittelbar an der Grenze des ewigen Schnees, dessen Firndecke wenige
hundert Schritte von unserm Fuße anhebt, allein inmitten von Bergriesen
erster Größe, hoch erhaben über den Wohnungen, aber anch über den gemeinen
Sorgen und Mühen der Menschen, noch nicht genossen hat, der wird diesen
Eindruck der keineswegs erschöpfenden, wenn anch etwas mühsamen und an¬
haltenden Wanderung verdanken. Früher Ausbruch ist dringend zu rathen,
natürlich mit Führer. Nach regenreicher Witterung ist die Wanderung kaum
ausführbar, am wenigsten für Damen, wegen der zahlreichen Gebirgswasser,
die meist nur ans ans dem Wasser ragenden Felsen oder Steinen überschritten
werden müssen. Nach dem Regen aber sind diese natürlichen Brücken über-
fluthet. Ist man früh aufgebrochen, so erreicht man den felsigen Hügel, der
den Ausblick über den Hüfigletscher zur Linken überragt, noch vor dem Aufgang
der Sonne. Nur ein lichter Strahlenkranz über dem Düssistock verkündet ihr
Nahen, In blauem Zwielicht liegt das Thal nach Südwesten. Dounerud
grüßt der mächtige Stäuberfall bis hier herauf. Uns näher zur Rechten stürzen
von der Hochsteilen Wand der Staffeln die fünf Fälle thalwärts, die wir seit
dem Verlassen des Hotels bis hierher überschritten haben. Ein Wildheuer
bietet uns sein "Grüß Gott", ehe er seinen schwindligen Weg an den Fels¬
halden antritt. Zu unsern Füßen grünen die ersten Alpenrosenbüsche; ihre
Blüthen sind längst dahin. Tief unter uns gegen Nordosten breitet sich in
durchsichtigem Grünblau der ungeheure Hüfigletscher. Hoch über uus kreist
im Aether der beflügelte König des Gebirges.

Nur eine halbe Stunde bergan auf steilem Zickzack, an natürlichen tiefen
Wasserreservoirs vorüber, die der Regen in den Felsen bildet und von denen
das Vieh gierig trinkt, wenn es zur Alp aufzieht, und der Charakter der Land¬
schaft hat sich durchaus verändert. Das Thal ist uns entschwunden. Wir
stehen auf breiter blumiger Hochalp. Jubelnd begrüßen wir hier in der
Zweiten Hälfte August noch blühende Alpenrosen. Für die ersten, die wir
autreffen, wird ein kühner Fclsensprung gewagt. Später ans unserm Wege röthet
die Alpenrose noch weithin die Felswände, während sie ans tieferen Alpen seit


Schweizer Keiseöriefe.
in.

Von den Ausflügen, welche das Maderanerthal bietet, ist — von den großen
Gletscherwanderungen abgesehen — ein Marsch über die „Staffeln" der lohnendste;
auch dem flüchtigen Besucher des Thales als Rückweg nach Amsteg dringend zu
empfehlen. Wer den eigenthümlichen Zauber des Verweilens in hoher Alpen-
regwn, unmittelbar an der Grenze des ewigen Schnees, dessen Firndecke wenige
hundert Schritte von unserm Fuße anhebt, allein inmitten von Bergriesen
erster Größe, hoch erhaben über den Wohnungen, aber anch über den gemeinen
Sorgen und Mühen der Menschen, noch nicht genossen hat, der wird diesen
Eindruck der keineswegs erschöpfenden, wenn anch etwas mühsamen und an¬
haltenden Wanderung verdanken. Früher Ausbruch ist dringend zu rathen,
natürlich mit Führer. Nach regenreicher Witterung ist die Wanderung kaum
ausführbar, am wenigsten für Damen, wegen der zahlreichen Gebirgswasser,
die meist nur ans ans dem Wasser ragenden Felsen oder Steinen überschritten
werden müssen. Nach dem Regen aber sind diese natürlichen Brücken über-
fluthet. Ist man früh aufgebrochen, so erreicht man den felsigen Hügel, der
den Ausblick über den Hüfigletscher zur Linken überragt, noch vor dem Aufgang
der Sonne. Nur ein lichter Strahlenkranz über dem Düssistock verkündet ihr
Nahen, In blauem Zwielicht liegt das Thal nach Südwesten. Dounerud
grüßt der mächtige Stäuberfall bis hier herauf. Uns näher zur Rechten stürzen
von der Hochsteilen Wand der Staffeln die fünf Fälle thalwärts, die wir seit
dem Verlassen des Hotels bis hierher überschritten haben. Ein Wildheuer
bietet uns sein „Grüß Gott", ehe er seinen schwindligen Weg an den Fels¬
halden antritt. Zu unsern Füßen grünen die ersten Alpenrosenbüsche; ihre
Blüthen sind längst dahin. Tief unter uns gegen Nordosten breitet sich in
durchsichtigem Grünblau der ungeheure Hüfigletscher. Hoch über uus kreist
im Aether der beflügelte König des Gebirges.

Nur eine halbe Stunde bergan auf steilem Zickzack, an natürlichen tiefen
Wasserreservoirs vorüber, die der Regen in den Felsen bildet und von denen
das Vieh gierig trinkt, wenn es zur Alp aufzieht, und der Charakter der Land¬
schaft hat sich durchaus verändert. Das Thal ist uns entschwunden. Wir
stehen auf breiter blumiger Hochalp. Jubelnd begrüßen wir hier in der
Zweiten Hälfte August noch blühende Alpenrosen. Für die ersten, die wir
autreffen, wird ein kühner Fclsensprung gewagt. Später ans unserm Wege röthet
die Alpenrose noch weithin die Felswände, während sie ans tieferen Alpen seit


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[0517] Schweizer Keiseöriefe. in. Von den Ausflügen, welche das Maderanerthal bietet, ist — von den großen Gletscherwanderungen abgesehen — ein Marsch über die „Staffeln" der lohnendste; auch dem flüchtigen Besucher des Thales als Rückweg nach Amsteg dringend zu empfehlen. Wer den eigenthümlichen Zauber des Verweilens in hoher Alpen- regwn, unmittelbar an der Grenze des ewigen Schnees, dessen Firndecke wenige hundert Schritte von unserm Fuße anhebt, allein inmitten von Bergriesen erster Größe, hoch erhaben über den Wohnungen, aber anch über den gemeinen Sorgen und Mühen der Menschen, noch nicht genossen hat, der wird diesen Eindruck der keineswegs erschöpfenden, wenn anch etwas mühsamen und an¬ haltenden Wanderung verdanken. Früher Ausbruch ist dringend zu rathen, natürlich mit Führer. Nach regenreicher Witterung ist die Wanderung kaum ausführbar, am wenigsten für Damen, wegen der zahlreichen Gebirgswasser, die meist nur ans ans dem Wasser ragenden Felsen oder Steinen überschritten werden müssen. Nach dem Regen aber sind diese natürlichen Brücken über- fluthet. Ist man früh aufgebrochen, so erreicht man den felsigen Hügel, der den Ausblick über den Hüfigletscher zur Linken überragt, noch vor dem Aufgang der Sonne. Nur ein lichter Strahlenkranz über dem Düssistock verkündet ihr Nahen, In blauem Zwielicht liegt das Thal nach Südwesten. Dounerud grüßt der mächtige Stäuberfall bis hier herauf. Uns näher zur Rechten stürzen von der Hochsteilen Wand der Staffeln die fünf Fälle thalwärts, die wir seit dem Verlassen des Hotels bis hierher überschritten haben. Ein Wildheuer bietet uns sein „Grüß Gott", ehe er seinen schwindligen Weg an den Fels¬ halden antritt. Zu unsern Füßen grünen die ersten Alpenrosenbüsche; ihre Blüthen sind längst dahin. Tief unter uns gegen Nordosten breitet sich in durchsichtigem Grünblau der ungeheure Hüfigletscher. Hoch über uus kreist im Aether der beflügelte König des Gebirges. Nur eine halbe Stunde bergan auf steilem Zickzack, an natürlichen tiefen Wasserreservoirs vorüber, die der Regen in den Felsen bildet und von denen das Vieh gierig trinkt, wenn es zur Alp aufzieht, und der Charakter der Land¬ schaft hat sich durchaus verändert. Das Thal ist uns entschwunden. Wir stehen auf breiter blumiger Hochalp. Jubelnd begrüßen wir hier in der Zweiten Hälfte August noch blühende Alpenrosen. Für die ersten, die wir autreffen, wird ein kühner Fclsensprung gewagt. Später ans unserm Wege röthet die Alpenrose noch weithin die Felswände, während sie ans tieferen Alpen seit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/517>, abgerufen am 28.09.2024.