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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Jahre, während sie in Maryland 167, in Rhode Island 178, in New-Aork
und Connecticut 176, in Ohio nur 140, in Kentucky, Tennessee und Süd-
carolina 100, in Texas 78 und in Nordcarolina gar nur 50 Tage beträgt --
"die Auswahl der Lehrer wird besser, die Schulhäuser werden erweitert -- nur
in Betreff des Schulbesuchs will es bei uns nicht vorwärts. Die Unregel¬
mäßigkeit desselben ist das grüßte Hinderniß, mit welchem wir zu kämpfen
habe". Aehnlich äußert sich ein Schulbericht aus Ohio, indem er die That¬
sache anführt, daß im Durchschnitte 34 Prozent der Schüler weniger als acht,
27 Prozent weniger als zehn Monate und nur etwa 38 Prozent die Schule
das ganze Jahr über besuchen.

Darin herrscht Uebereinstimmung unter allen verständigen Amerikanern,
daß der Unterricht in der Volksschule als die einzige Bildungsquelle für die
ungleich größere Mehrzahl der Bevölkerung sür obligatorisch erklärt, und daß
der Schulzwang nicht blos vorgeschrieben, sondern energisch gehandhabt werden
müsse, und ebenso sind dieselben sich klar, daß gewisse aus dem Staatsschul¬
system sich ergebende Uebel, wie die Vernachlässigung des Unterrichts der
Kinder in unbemittelten Staaten zu bekämpfen find. Allein bis heute scheint
die Kraft zur Durchführung derartiger als wünschenswert!) erachteter Ma߬
regeln zu fehlen. Hierzu bedürfte es eben einer Bundesbehörde mit hin¬
reichender Macht über die Einzelstaaten oder deren Schulräthe. Die Schaffung
eines derartigen Körpers scheint aber, wie Anfangs bemerkt, mit dem Grund¬
satz, daß jeder Staat souverän ist, unvereinbar, der die Basis des ganzen Ge¬
bäudes der Union bildenden sehr weitgehenden Autonomie der Gemeinde feind¬
lich, der Freiheit (oder wenn man will, dem Belieben) des Bürgers wider¬
sprechend, kurz nicht im Einklang mit dem Geiste der Verfassung der Vereinigten
Staaten zu sein.

Oberflächlich betrachtet macht die Organisation des Unterrichtswesens in
Nordamerika den Eindruck zweckmäßiger Gliederung und der Vollständigkeit.
Tritt man ihr aber näher, so ergeben sich große Lücken, und der gewaltige
Auswnnd erscheint als nicht genügend verwerthet. Thatsächlich bleiben die er¬
zielten Ergebnisse hinter den durch den äußeren Apparat erregten Erwartun¬
gen nud den durch die große Opferwilligkeit erschlossenen Mitteln weit zurück.
Nach dein Census von 1870 konnte der fünfte Theil der über zehn Jahre alten
Bevölkerung weder lesen noch schreiben und waren von acht Millionen stimm¬
berechtigten Bürger" 1,600,000 nicht im Stande, ihre Stimmzettel zu lesen.
Doch gebietet die Gerechtigkeit, der sehr starken irischen Einwanderung sowie
des Umstandes zu gedenken, daß bis zur Aufhebung der Sklaverei die Farbi¬
gen in den Südstaaten des Unterrichts vollständig entbehrten. Bei dem er¬
wähnten Census bilden die Extreme einerseits Georgia mit 56 und Alabama


Jahre, während sie in Maryland 167, in Rhode Island 178, in New-Aork
und Connecticut 176, in Ohio nur 140, in Kentucky, Tennessee und Süd-
carolina 100, in Texas 78 und in Nordcarolina gar nur 50 Tage beträgt —
„die Auswahl der Lehrer wird besser, die Schulhäuser werden erweitert — nur
in Betreff des Schulbesuchs will es bei uns nicht vorwärts. Die Unregel¬
mäßigkeit desselben ist das grüßte Hinderniß, mit welchem wir zu kämpfen
habe». Aehnlich äußert sich ein Schulbericht aus Ohio, indem er die That¬
sache anführt, daß im Durchschnitte 34 Prozent der Schüler weniger als acht,
27 Prozent weniger als zehn Monate und nur etwa 38 Prozent die Schule
das ganze Jahr über besuchen.

Darin herrscht Uebereinstimmung unter allen verständigen Amerikanern,
daß der Unterricht in der Volksschule als die einzige Bildungsquelle für die
ungleich größere Mehrzahl der Bevölkerung sür obligatorisch erklärt, und daß
der Schulzwang nicht blos vorgeschrieben, sondern energisch gehandhabt werden
müsse, und ebenso sind dieselben sich klar, daß gewisse aus dem Staatsschul¬
system sich ergebende Uebel, wie die Vernachlässigung des Unterrichts der
Kinder in unbemittelten Staaten zu bekämpfen find. Allein bis heute scheint
die Kraft zur Durchführung derartiger als wünschenswert!) erachteter Ma߬
regeln zu fehlen. Hierzu bedürfte es eben einer Bundesbehörde mit hin¬
reichender Macht über die Einzelstaaten oder deren Schulräthe. Die Schaffung
eines derartigen Körpers scheint aber, wie Anfangs bemerkt, mit dem Grund¬
satz, daß jeder Staat souverän ist, unvereinbar, der die Basis des ganzen Ge¬
bäudes der Union bildenden sehr weitgehenden Autonomie der Gemeinde feind¬
lich, der Freiheit (oder wenn man will, dem Belieben) des Bürgers wider¬
sprechend, kurz nicht im Einklang mit dem Geiste der Verfassung der Vereinigten
Staaten zu sein.

Oberflächlich betrachtet macht die Organisation des Unterrichtswesens in
Nordamerika den Eindruck zweckmäßiger Gliederung und der Vollständigkeit.
Tritt man ihr aber näher, so ergeben sich große Lücken, und der gewaltige
Auswnnd erscheint als nicht genügend verwerthet. Thatsächlich bleiben die er¬
zielten Ergebnisse hinter den durch den äußeren Apparat erregten Erwartun¬
gen nud den durch die große Opferwilligkeit erschlossenen Mitteln weit zurück.
Nach dein Census von 1870 konnte der fünfte Theil der über zehn Jahre alten
Bevölkerung weder lesen noch schreiben und waren von acht Millionen stimm¬
berechtigten Bürger» 1,600,000 nicht im Stande, ihre Stimmzettel zu lesen.
Doch gebietet die Gerechtigkeit, der sehr starken irischen Einwanderung sowie
des Umstandes zu gedenken, daß bis zur Aufhebung der Sklaverei die Farbi¬
gen in den Südstaaten des Unterrichts vollständig entbehrten. Bei dem er¬
wähnten Census bilden die Extreme einerseits Georgia mit 56 und Alabama


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/514>, abgerufen am 28.09.2024.