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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Herzen" und viele andere, kehren sie nicht immer und immer in unsern Lust¬
spielen wieder? Das sind unsre stehenden Charaktere, etwas weniger typen¬
haft zwar, etwas mehr individualisirt als die der alten Komödie, aber Typen
immerhin. Mit diesen allen ist die "lustige Person" gar nicht zu vergleichen.

Jean Paul hat in seiner "Vorschule der Aesthetik" auch ein Kapitel über
den Hanswurst, ein Kapitel voll ziemlich inhaltsloser Witzeleien; aber ein
treffendes Wort ist darin: er nennt den Hanswurst den "personificirten Humor".
Hiermit ist eigentlich alles gesagt. Harlekin war gar kein stehender Charakter,
er war trotz aller seiner Spielarten und Schattirungen, auf die sich Lessing
beruft, überhaupt kein Charakter, weder ein typischer, noch ein individnalisi-
rungsfähiger, sondern er war eine fixe, verknöcherte Allegorie, und das mitten
unter Gestalten von Fleisch und Blut, eine Figur, die etwas bedeutete, unter
Figuren, die etwas waren, eine starre Maske unter ausdrucksfähigen mensch¬
lichen Gesichtern, ein Schema unter lebenden Wesen, eine Personifikation nnter
Personen, kurz alles andre, nur kein Charakter. An diesem krassen Widerspruch
zwischen Natur und Unnatur ist der Harlekin schließlich ganz von selbst zu
Grunde gegangen in jener Zeit, wo überall der Ruf nach Rückkehr zur Wahr¬
heit und Natur erscholl. In der Sturm- und Drangperiode, wo tausenderlei
andere Unnatur hinweggefegt wurde, da ist auch der Harlekin zu Grabe ge¬
tragen worden. Dies ist der eigentliche Kernpunkt der Frage, auf den schon
Devrient in seiner "Geschichte der deutschen Schauspielkunst" in Kürze zwar,
aber durchaus zutreffend hingedeutet hat. Heutzutage würde eine symbolische
Gestalt, wie es die "lustige Person" war, höchstens in der Zanberoper oder in
der Zauberposse noch geduldet werden. Im Lustspiel verlangen wir volle
Realität, volle Wahrheit und Natur; jeder halbwegs gebildete Mensch würde
die krasse Unnatur des Harlekin heute empfinden. Wenn daher Schlegel in
seinen schon erwähnten "Vorlesungen" sagt: "Hanswurst, als allegorische
Person, ist unsterblich, und wenn man ihn noch so sicher begraben zu haben
glaubt, so kommt er unversehens in irgend einer gravitätischen Amtskleidung
wieder zum Vorschein", so kann er damit nur meinen, daß der Humor als
solcher, und nicht etwa daß die allegorische Verkörperung des Humors ein
ewiges Leben haben werde. Wenn man sicher wäre, nicht mißverstanden zu
werden, so könnte man das Wort geradezu umkehren und sagen: Hanswurst,
als allegorische Person, ist todt, für alle Zeiten todt.

Möser und Lessing operirten durchaus mit denselben Argumenten. Sie
suchten die Angriffe auf den Harlekin als bloßen Doktrinarismus hinzustellen;
wo der eine über den "unerbittlichen Gelehrten in seinem geerbten Lehnstuhl"
spottet, da spricht der andere von "kahlen Vernünfteleien." Die ausländische
Herkunft, die Möser gar uicht berührt hatte, vertheidigt auch Lessing nicht, er


Herzen" und viele andere, kehren sie nicht immer und immer in unsern Lust¬
spielen wieder? Das sind unsre stehenden Charaktere, etwas weniger typen¬
haft zwar, etwas mehr individualisirt als die der alten Komödie, aber Typen
immerhin. Mit diesen allen ist die „lustige Person" gar nicht zu vergleichen.

Jean Paul hat in seiner „Vorschule der Aesthetik" auch ein Kapitel über
den Hanswurst, ein Kapitel voll ziemlich inhaltsloser Witzeleien; aber ein
treffendes Wort ist darin: er nennt den Hanswurst den „personificirten Humor".
Hiermit ist eigentlich alles gesagt. Harlekin war gar kein stehender Charakter,
er war trotz aller seiner Spielarten und Schattirungen, auf die sich Lessing
beruft, überhaupt kein Charakter, weder ein typischer, noch ein individnalisi-
rungsfähiger, sondern er war eine fixe, verknöcherte Allegorie, und das mitten
unter Gestalten von Fleisch und Blut, eine Figur, die etwas bedeutete, unter
Figuren, die etwas waren, eine starre Maske unter ausdrucksfähigen mensch¬
lichen Gesichtern, ein Schema unter lebenden Wesen, eine Personifikation nnter
Personen, kurz alles andre, nur kein Charakter. An diesem krassen Widerspruch
zwischen Natur und Unnatur ist der Harlekin schließlich ganz von selbst zu
Grunde gegangen in jener Zeit, wo überall der Ruf nach Rückkehr zur Wahr¬
heit und Natur erscholl. In der Sturm- und Drangperiode, wo tausenderlei
andere Unnatur hinweggefegt wurde, da ist auch der Harlekin zu Grabe ge¬
tragen worden. Dies ist der eigentliche Kernpunkt der Frage, auf den schon
Devrient in seiner „Geschichte der deutschen Schauspielkunst" in Kürze zwar,
aber durchaus zutreffend hingedeutet hat. Heutzutage würde eine symbolische
Gestalt, wie es die „lustige Person" war, höchstens in der Zanberoper oder in
der Zauberposse noch geduldet werden. Im Lustspiel verlangen wir volle
Realität, volle Wahrheit und Natur; jeder halbwegs gebildete Mensch würde
die krasse Unnatur des Harlekin heute empfinden. Wenn daher Schlegel in
seinen schon erwähnten „Vorlesungen" sagt: „Hanswurst, als allegorische
Person, ist unsterblich, und wenn man ihn noch so sicher begraben zu haben
glaubt, so kommt er unversehens in irgend einer gravitätischen Amtskleidung
wieder zum Vorschein", so kann er damit nur meinen, daß der Humor als
solcher, und nicht etwa daß die allegorische Verkörperung des Humors ein
ewiges Leben haben werde. Wenn man sicher wäre, nicht mißverstanden zu
werden, so könnte man das Wort geradezu umkehren und sagen: Hanswurst,
als allegorische Person, ist todt, für alle Zeiten todt.

Möser und Lessing operirten durchaus mit denselben Argumenten. Sie
suchten die Angriffe auf den Harlekin als bloßen Doktrinarismus hinzustellen;
wo der eine über den „unerbittlichen Gelehrten in seinem geerbten Lehnstuhl"
spottet, da spricht der andere von „kahlen Vernünfteleien." Die ausländische
Herkunft, die Möser gar uicht berührt hatte, vertheidigt auch Lessing nicht, er


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[0498] Herzen" und viele andere, kehren sie nicht immer und immer in unsern Lust¬ spielen wieder? Das sind unsre stehenden Charaktere, etwas weniger typen¬ haft zwar, etwas mehr individualisirt als die der alten Komödie, aber Typen immerhin. Mit diesen allen ist die „lustige Person" gar nicht zu vergleichen. Jean Paul hat in seiner „Vorschule der Aesthetik" auch ein Kapitel über den Hanswurst, ein Kapitel voll ziemlich inhaltsloser Witzeleien; aber ein treffendes Wort ist darin: er nennt den Hanswurst den „personificirten Humor". Hiermit ist eigentlich alles gesagt. Harlekin war gar kein stehender Charakter, er war trotz aller seiner Spielarten und Schattirungen, auf die sich Lessing beruft, überhaupt kein Charakter, weder ein typischer, noch ein individnalisi- rungsfähiger, sondern er war eine fixe, verknöcherte Allegorie, und das mitten unter Gestalten von Fleisch und Blut, eine Figur, die etwas bedeutete, unter Figuren, die etwas waren, eine starre Maske unter ausdrucksfähigen mensch¬ lichen Gesichtern, ein Schema unter lebenden Wesen, eine Personifikation nnter Personen, kurz alles andre, nur kein Charakter. An diesem krassen Widerspruch zwischen Natur und Unnatur ist der Harlekin schließlich ganz von selbst zu Grunde gegangen in jener Zeit, wo überall der Ruf nach Rückkehr zur Wahr¬ heit und Natur erscholl. In der Sturm- und Drangperiode, wo tausenderlei andere Unnatur hinweggefegt wurde, da ist auch der Harlekin zu Grabe ge¬ tragen worden. Dies ist der eigentliche Kernpunkt der Frage, auf den schon Devrient in seiner „Geschichte der deutschen Schauspielkunst" in Kürze zwar, aber durchaus zutreffend hingedeutet hat. Heutzutage würde eine symbolische Gestalt, wie es die „lustige Person" war, höchstens in der Zanberoper oder in der Zauberposse noch geduldet werden. Im Lustspiel verlangen wir volle Realität, volle Wahrheit und Natur; jeder halbwegs gebildete Mensch würde die krasse Unnatur des Harlekin heute empfinden. Wenn daher Schlegel in seinen schon erwähnten „Vorlesungen" sagt: „Hanswurst, als allegorische Person, ist unsterblich, und wenn man ihn noch so sicher begraben zu haben glaubt, so kommt er unversehens in irgend einer gravitätischen Amtskleidung wieder zum Vorschein", so kann er damit nur meinen, daß der Humor als solcher, und nicht etwa daß die allegorische Verkörperung des Humors ein ewiges Leben haben werde. Wenn man sicher wäre, nicht mißverstanden zu werden, so könnte man das Wort geradezu umkehren und sagen: Hanswurst, als allegorische Person, ist todt, für alle Zeiten todt. Möser und Lessing operirten durchaus mit denselben Argumenten. Sie suchten die Angriffe auf den Harlekin als bloßen Doktrinarismus hinzustellen; wo der eine über den „unerbittlichen Gelehrten in seinem geerbten Lehnstuhl" spottet, da spricht der andere von „kahlen Vernünfteleien." Die ausländische Herkunft, die Möser gar uicht berührt hatte, vertheidigt auch Lessing nicht, er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/498>, abgerufen am 28.09.2024.