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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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da ein Reichthum an Wasserfällen erster Größe, an Felsbilder", mit und ohne
Baum oder Strauch, an Gletschern und Bergstudie", und all das vereint auf
wenigen Stunden im Umkreis, harmonisch in Farbe und Linie, wie selten
anderswo. Daß der Stäuberbach z. B>, der in einer halben Stunde vom
Hotel zu erreichen ist, sämmtliche Wasserfälle der Berner Oberlandes hinter
sich zurückläßt, durch die Macht seines Wassers, die Höhe seines Falls und
die zaubrisch schöne Beleuchtung, die ihm die Sonne gegen Abend schenkt,
darin sind alle Kenner einig.

Das "Alpenkind-Hotel" der Wittwe Jndergcmd ist, wie erwähnt, das einzige
im Thale und übt das Monopol, die Taschen seiner Besucher in Contribution
zu setzen, mit weiser Mäßigung aus. Die "Pension" im Hotel -- ein Ge-
sammtpreis bei mindestens achttägigen Aufenthalt -- ist sogar verhältnißmäßig
billig und durch einen Stamm von etwa fünfzig Luftkurgästen -- worunter
für die Höhe und schwierige Zugänglichkeit dieses Alpenthals oft ausfallend
viele Kinder -- auch als gut und billig anerkannt. Einige Bestimmungen der
originellen Hausordnung verdienen Nachahmung in weitesten Hotelkreisen. Einer
der wichtigsten ethischen Grundsätze des Alpenklnbhotels, welchen die Wittwe
Jndergcmd ihren Gästen durch überall sichtbare Anschläge einzuprägen sucht,
besteht z. B. darin, daß der Gast ersucht wird, sein Schuhwerk, namentlich die
schweren Bergschuhe, am Morgen erst nach dem Verlassen seines Zimmers
auf dem teppichbelegten Gange anzuziehen. Eine Strafe ist auf die Uebertretung
dieses dem Morgeuschlcif der Hausbewohner äußerst wohlthätigen Gebotes bis
jetzt noch nicht gesetzt. Dagegen wird laut Anschlages am Speisesaal das Zu-
spätkommen bei den Mahlzeiten nach Beginn des Menü's mit einem Franken
Zuschlag zum Couvertpreis geahndet, ein der Tafelgesellschaft sehr förderlicher
Paragraph, der aufs strengste beachtet wird. Selbst diejenigen Repräsentanten
des schönen Geschlechts, welche im Rufe stehen, in tiefer gelegenen Hotels auch
das Mittel des Zuspätekommens bei Tische nicht zu verschmähen, um dadurch
die Augen der Tafelgenossen von dem Rindfleisch oder Schafbraten ab auf
die reizende Toilette der Hereinrauschenden zu lenken, trotzen hier nur innerlich
mit der Hausordnung der Wittwe Jndergcmd. Leider muß zugegeben werde",
daß sich solche Lehren der Weisheit und Tugend nur da mit Erfolg durch¬
führe" lassen, wo, wie hier, ein Konkurrenzhotel mit laxerer Moral nicht be¬
steht. Von selbst gebietet hier auch der frühe Niedergang der Sonne baldige
Nachtruhe, ihr zeitiges Hervorbrechen über den Grat des Düssistockes am
Morgen frühes Aufstehen, da die Ausflüge in höhere Regionen an: besten im
Halbschatten der Morgendämmerung angetreten werden. Von neun Uhr Abends
an ist das Leben und Treiben in: Hotel verstummt. Nur unverbesserliche
deutsche Zechgenossen sitzen da noch um eine Flasche echt Münchener Bieres,


da ein Reichthum an Wasserfällen erster Größe, an Felsbilder», mit und ohne
Baum oder Strauch, an Gletschern und Bergstudie», und all das vereint auf
wenigen Stunden im Umkreis, harmonisch in Farbe und Linie, wie selten
anderswo. Daß der Stäuberbach z. B>, der in einer halben Stunde vom
Hotel zu erreichen ist, sämmtliche Wasserfälle der Berner Oberlandes hinter
sich zurückläßt, durch die Macht seines Wassers, die Höhe seines Falls und
die zaubrisch schöne Beleuchtung, die ihm die Sonne gegen Abend schenkt,
darin sind alle Kenner einig.

Das „Alpenkind-Hotel" der Wittwe Jndergcmd ist, wie erwähnt, das einzige
im Thale und übt das Monopol, die Taschen seiner Besucher in Contribution
zu setzen, mit weiser Mäßigung aus. Die „Pension" im Hotel — ein Ge-
sammtpreis bei mindestens achttägigen Aufenthalt — ist sogar verhältnißmäßig
billig und durch einen Stamm von etwa fünfzig Luftkurgästen — worunter
für die Höhe und schwierige Zugänglichkeit dieses Alpenthals oft ausfallend
viele Kinder — auch als gut und billig anerkannt. Einige Bestimmungen der
originellen Hausordnung verdienen Nachahmung in weitesten Hotelkreisen. Einer
der wichtigsten ethischen Grundsätze des Alpenklnbhotels, welchen die Wittwe
Jndergcmd ihren Gästen durch überall sichtbare Anschläge einzuprägen sucht,
besteht z. B. darin, daß der Gast ersucht wird, sein Schuhwerk, namentlich die
schweren Bergschuhe, am Morgen erst nach dem Verlassen seines Zimmers
auf dem teppichbelegten Gange anzuziehen. Eine Strafe ist auf die Uebertretung
dieses dem Morgeuschlcif der Hausbewohner äußerst wohlthätigen Gebotes bis
jetzt noch nicht gesetzt. Dagegen wird laut Anschlages am Speisesaal das Zu-
spätkommen bei den Mahlzeiten nach Beginn des Menü's mit einem Franken
Zuschlag zum Couvertpreis geahndet, ein der Tafelgesellschaft sehr förderlicher
Paragraph, der aufs strengste beachtet wird. Selbst diejenigen Repräsentanten
des schönen Geschlechts, welche im Rufe stehen, in tiefer gelegenen Hotels auch
das Mittel des Zuspätekommens bei Tische nicht zu verschmähen, um dadurch
die Augen der Tafelgenossen von dem Rindfleisch oder Schafbraten ab auf
die reizende Toilette der Hereinrauschenden zu lenken, trotzen hier nur innerlich
mit der Hausordnung der Wittwe Jndergcmd. Leider muß zugegeben werde»,
daß sich solche Lehren der Weisheit und Tugend nur da mit Erfolg durch¬
führe» lassen, wo, wie hier, ein Konkurrenzhotel mit laxerer Moral nicht be¬
steht. Von selbst gebietet hier auch der frühe Niedergang der Sonne baldige
Nachtruhe, ihr zeitiges Hervorbrechen über den Grat des Düssistockes am
Morgen frühes Aufstehen, da die Ausflüge in höhere Regionen an: besten im
Halbschatten der Morgendämmerung angetreten werden. Von neun Uhr Abends
an ist das Leben und Treiben in: Hotel verstummt. Nur unverbesserliche
deutsche Zechgenossen sitzen da noch um eine Flasche echt Münchener Bieres,


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[0476] da ein Reichthum an Wasserfällen erster Größe, an Felsbilder», mit und ohne Baum oder Strauch, an Gletschern und Bergstudie», und all das vereint auf wenigen Stunden im Umkreis, harmonisch in Farbe und Linie, wie selten anderswo. Daß der Stäuberbach z. B>, der in einer halben Stunde vom Hotel zu erreichen ist, sämmtliche Wasserfälle der Berner Oberlandes hinter sich zurückläßt, durch die Macht seines Wassers, die Höhe seines Falls und die zaubrisch schöne Beleuchtung, die ihm die Sonne gegen Abend schenkt, darin sind alle Kenner einig. Das „Alpenkind-Hotel" der Wittwe Jndergcmd ist, wie erwähnt, das einzige im Thale und übt das Monopol, die Taschen seiner Besucher in Contribution zu setzen, mit weiser Mäßigung aus. Die „Pension" im Hotel — ein Ge- sammtpreis bei mindestens achttägigen Aufenthalt — ist sogar verhältnißmäßig billig und durch einen Stamm von etwa fünfzig Luftkurgästen — worunter für die Höhe und schwierige Zugänglichkeit dieses Alpenthals oft ausfallend viele Kinder — auch als gut und billig anerkannt. Einige Bestimmungen der originellen Hausordnung verdienen Nachahmung in weitesten Hotelkreisen. Einer der wichtigsten ethischen Grundsätze des Alpenklnbhotels, welchen die Wittwe Jndergcmd ihren Gästen durch überall sichtbare Anschläge einzuprägen sucht, besteht z. B. darin, daß der Gast ersucht wird, sein Schuhwerk, namentlich die schweren Bergschuhe, am Morgen erst nach dem Verlassen seines Zimmers auf dem teppichbelegten Gange anzuziehen. Eine Strafe ist auf die Uebertretung dieses dem Morgeuschlcif der Hausbewohner äußerst wohlthätigen Gebotes bis jetzt noch nicht gesetzt. Dagegen wird laut Anschlages am Speisesaal das Zu- spätkommen bei den Mahlzeiten nach Beginn des Menü's mit einem Franken Zuschlag zum Couvertpreis geahndet, ein der Tafelgesellschaft sehr förderlicher Paragraph, der aufs strengste beachtet wird. Selbst diejenigen Repräsentanten des schönen Geschlechts, welche im Rufe stehen, in tiefer gelegenen Hotels auch das Mittel des Zuspätekommens bei Tische nicht zu verschmähen, um dadurch die Augen der Tafelgenossen von dem Rindfleisch oder Schafbraten ab auf die reizende Toilette der Hereinrauschenden zu lenken, trotzen hier nur innerlich mit der Hausordnung der Wittwe Jndergcmd. Leider muß zugegeben werde», daß sich solche Lehren der Weisheit und Tugend nur da mit Erfolg durch¬ führe» lassen, wo, wie hier, ein Konkurrenzhotel mit laxerer Moral nicht be¬ steht. Von selbst gebietet hier auch der frühe Niedergang der Sonne baldige Nachtruhe, ihr zeitiges Hervorbrechen über den Grat des Düssistockes am Morgen frühes Aufstehen, da die Ausflüge in höhere Regionen an: besten im Halbschatten der Morgendämmerung angetreten werden. Von neun Uhr Abends an ist das Leben und Treiben in: Hotel verstummt. Nur unverbesserliche deutsche Zechgenossen sitzen da noch um eine Flasche echt Münchener Bieres,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/476>, abgerufen am 28.09.2024.