Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Sonntag sogar mein einige tausend Fuß höher verlorenes Cigarrenetni nach
der Kirche ausgerufen. Und das geschieht im Kanton Uri. Mögen wir Knltur-
kmnpfer uns daran ein Beispiel nehmen!

Wenige Minnten, nachdem man Bristen verlassen, gewinnt man schon eine
Vorstellung von der mannigfaltigen Schönheit des Thales. Der Kärstelenbach,
der das Thal ganz durchströmt, zeigt sich an der Stelle, wo wir ihn über¬
schritten, in großartiger Wildheit und Wasserfülle. Uns zur Rechten läßt der
steile Bristenstock einige seiner ewigen Schneefelder blicken. Hinter uns thürmt
steh der Ostabhang der Engelberger Alpen. Vor uns blauen im Morgenduft
die im Süden des Thales aufragenden Kämme des Weitenalpstock, der Oberalp
und im Osten das Thal abschließend der schneereiche Düssistock, während zur
Linken die schroffen Höhen der Staffeln im Morgenlicht strahlen und darüber
hinaus die blaugrauen Felskuppen der beiden Windgällen und der beiden
Runden und das Scheerhoru sichtbar werden. Links und rechts donnern Wasser¬
fälle in's Thal, deren gleichen wir kaum je gesehen. Nun thut das erste der
engen Seitenthäler sich ans, durch die man vom Maderanerthal ans in's
oberste Rheinthal nach Bünden hinübersteigen kann, das Etzlithal. Immer
großartiger rauscht und strömt der Kärstelenbach uns entgegen. Immer reicher
entfaltet sich der Hvchgebirgscharakter des Thals. Eine Lawine hat sich zur
letzten Fastnacht den Scherz gemacht, im Kärstelenbach zu baden und hat das
große tiefe Wasser dadurch längere Zeit ganz aus seinem Bette gedrängt und zu
bilden Umwegen durch urbares Land genöthigt. Als der Bach die riesigen
Schneemassen endlich doch uutcrfressen und von seinem alten Bette wieder
Besitz genommen hatte, blieb die Schneedecke in Gestalt einer eisigen Brücke
über ihm lagern. So schauen wir sie jetzt noch Mitte August, und sie
trägt trotz des hohen Sommers noch hente die größten Lasten, Nachdem der
steile "Lnngenstntz" erklommen ist, steigen wir bald abwärts, bald mäßig auf¬
wärts zum Alpenkind-Hotel, das, mit allem Aufenthalt unterwegs, der zur
Rast und Stärkung armer Seelen erforderlich gedacht wird, bequem in vier
Stunden zu erreichen ist.

Erst hier beginnt nun eigentlich der volle Reiz des Thales sich zu entfalten.
In nächster Nähe des Hotels laden sauber gehaltene Spaziergänge im Tannen-
Walde zur Erholung ein. Ein dunkler geheimnißvoller kleiner Bergsee liegt
M Bereich der Anlagen. Jenseits des kurzen Tannenwaldes aber hört die
Spur menschlicher Kunst ganz ans, und die Hoheit der Alpennatur tritt dafür
rein und groß an uus heran, soweit und wohin immer wir wandern und
schauen. Ein bedeutender Landschaftsmaler könnte das Studium und die
künstlerische Schilderung dieses Thales zu seiner Lebensaufgabe machen, und
er würde trotzdem immer Neues, immer wunderbar Schönes schaffen. Es ist


Sonntag sogar mein einige tausend Fuß höher verlorenes Cigarrenetni nach
der Kirche ausgerufen. Und das geschieht im Kanton Uri. Mögen wir Knltur-
kmnpfer uns daran ein Beispiel nehmen!

Wenige Minnten, nachdem man Bristen verlassen, gewinnt man schon eine
Vorstellung von der mannigfaltigen Schönheit des Thales. Der Kärstelenbach,
der das Thal ganz durchströmt, zeigt sich an der Stelle, wo wir ihn über¬
schritten, in großartiger Wildheit und Wasserfülle. Uns zur Rechten läßt der
steile Bristenstock einige seiner ewigen Schneefelder blicken. Hinter uns thürmt
steh der Ostabhang der Engelberger Alpen. Vor uns blauen im Morgenduft
die im Süden des Thales aufragenden Kämme des Weitenalpstock, der Oberalp
und im Osten das Thal abschließend der schneereiche Düssistock, während zur
Linken die schroffen Höhen der Staffeln im Morgenlicht strahlen und darüber
hinaus die blaugrauen Felskuppen der beiden Windgällen und der beiden
Runden und das Scheerhoru sichtbar werden. Links und rechts donnern Wasser¬
fälle in's Thal, deren gleichen wir kaum je gesehen. Nun thut das erste der
engen Seitenthäler sich ans, durch die man vom Maderanerthal ans in's
oberste Rheinthal nach Bünden hinübersteigen kann, das Etzlithal. Immer
großartiger rauscht und strömt der Kärstelenbach uns entgegen. Immer reicher
entfaltet sich der Hvchgebirgscharakter des Thals. Eine Lawine hat sich zur
letzten Fastnacht den Scherz gemacht, im Kärstelenbach zu baden und hat das
große tiefe Wasser dadurch längere Zeit ganz aus seinem Bette gedrängt und zu
bilden Umwegen durch urbares Land genöthigt. Als der Bach die riesigen
Schneemassen endlich doch uutcrfressen und von seinem alten Bette wieder
Besitz genommen hatte, blieb die Schneedecke in Gestalt einer eisigen Brücke
über ihm lagern. So schauen wir sie jetzt noch Mitte August, und sie
trägt trotz des hohen Sommers noch hente die größten Lasten, Nachdem der
steile „Lnngenstntz" erklommen ist, steigen wir bald abwärts, bald mäßig auf¬
wärts zum Alpenkind-Hotel, das, mit allem Aufenthalt unterwegs, der zur
Rast und Stärkung armer Seelen erforderlich gedacht wird, bequem in vier
Stunden zu erreichen ist.

Erst hier beginnt nun eigentlich der volle Reiz des Thales sich zu entfalten.
In nächster Nähe des Hotels laden sauber gehaltene Spaziergänge im Tannen-
Walde zur Erholung ein. Ein dunkler geheimnißvoller kleiner Bergsee liegt
M Bereich der Anlagen. Jenseits des kurzen Tannenwaldes aber hört die
Spur menschlicher Kunst ganz ans, und die Hoheit der Alpennatur tritt dafür
rein und groß an uus heran, soweit und wohin immer wir wandern und
schauen. Ein bedeutender Landschaftsmaler könnte das Studium und die
künstlerische Schilderung dieses Thales zu seiner Lebensaufgabe machen, und
er würde trotzdem immer Neues, immer wunderbar Schönes schaffen. Es ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138706"/>
          <p xml:id="ID_1459" prev="#ID_1458"> Sonntag sogar mein einige tausend Fuß höher verlorenes Cigarrenetni nach<lb/>
der Kirche ausgerufen. Und das geschieht im Kanton Uri. Mögen wir Knltur-<lb/>
kmnpfer uns daran ein Beispiel nehmen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1460"> Wenige Minnten, nachdem man Bristen verlassen, gewinnt man schon eine<lb/>
Vorstellung von der mannigfaltigen Schönheit des Thales. Der Kärstelenbach,<lb/>
der das Thal ganz durchströmt, zeigt sich an der Stelle, wo wir ihn über¬<lb/>
schritten, in großartiger Wildheit und Wasserfülle. Uns zur Rechten läßt der<lb/>
steile Bristenstock einige seiner ewigen Schneefelder blicken. Hinter uns thürmt<lb/>
steh der Ostabhang der Engelberger Alpen. Vor uns blauen im Morgenduft<lb/>
die im Süden des Thales aufragenden Kämme des Weitenalpstock, der Oberalp<lb/>
und im Osten das Thal abschließend der schneereiche Düssistock, während zur<lb/>
Linken die schroffen Höhen der Staffeln im Morgenlicht strahlen und darüber<lb/>
hinaus die blaugrauen Felskuppen der beiden Windgällen und der beiden<lb/>
Runden und das Scheerhoru sichtbar werden. Links und rechts donnern Wasser¬<lb/>
fälle in's Thal, deren gleichen wir kaum je gesehen. Nun thut das erste der<lb/>
engen Seitenthäler sich ans, durch die man vom Maderanerthal ans in's<lb/>
oberste Rheinthal nach Bünden hinübersteigen kann, das Etzlithal. Immer<lb/>
großartiger rauscht und strömt der Kärstelenbach uns entgegen. Immer reicher<lb/>
entfaltet sich der Hvchgebirgscharakter des Thals. Eine Lawine hat sich zur<lb/>
letzten Fastnacht den Scherz gemacht, im Kärstelenbach zu baden und hat das<lb/>
große tiefe Wasser dadurch längere Zeit ganz aus seinem Bette gedrängt und zu<lb/>
bilden Umwegen durch urbares Land genöthigt. Als der Bach die riesigen<lb/>
Schneemassen endlich doch uutcrfressen und von seinem alten Bette wieder<lb/>
Besitz genommen hatte, blieb die Schneedecke in Gestalt einer eisigen Brücke<lb/>
über ihm lagern. So schauen wir sie jetzt noch Mitte August, und sie<lb/>
trägt trotz des hohen Sommers noch hente die größten Lasten, Nachdem der<lb/>
steile &#x201E;Lnngenstntz" erklommen ist, steigen wir bald abwärts, bald mäßig auf¬<lb/>
wärts zum Alpenkind-Hotel, das, mit allem Aufenthalt unterwegs, der zur<lb/>
Rast und Stärkung armer Seelen erforderlich gedacht wird, bequem in vier<lb/>
Stunden zu erreichen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1461" next="#ID_1462"> Erst hier beginnt nun eigentlich der volle Reiz des Thales sich zu entfalten.<lb/>
In nächster Nähe des Hotels laden sauber gehaltene Spaziergänge im Tannen-<lb/>
Walde zur Erholung ein. Ein dunkler geheimnißvoller kleiner Bergsee liegt<lb/>
M Bereich der Anlagen. Jenseits des kurzen Tannenwaldes aber hört die<lb/>
Spur menschlicher Kunst ganz ans, und die Hoheit der Alpennatur tritt dafür<lb/>
rein und groß an uus heran, soweit und wohin immer wir wandern und<lb/>
schauen. Ein bedeutender Landschaftsmaler könnte das Studium und die<lb/>
künstlerische Schilderung dieses Thales zu seiner Lebensaufgabe machen, und<lb/>
er würde trotzdem immer Neues, immer wunderbar Schönes schaffen.  Es ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0475] Sonntag sogar mein einige tausend Fuß höher verlorenes Cigarrenetni nach der Kirche ausgerufen. Und das geschieht im Kanton Uri. Mögen wir Knltur- kmnpfer uns daran ein Beispiel nehmen! Wenige Minnten, nachdem man Bristen verlassen, gewinnt man schon eine Vorstellung von der mannigfaltigen Schönheit des Thales. Der Kärstelenbach, der das Thal ganz durchströmt, zeigt sich an der Stelle, wo wir ihn über¬ schritten, in großartiger Wildheit und Wasserfülle. Uns zur Rechten läßt der steile Bristenstock einige seiner ewigen Schneefelder blicken. Hinter uns thürmt steh der Ostabhang der Engelberger Alpen. Vor uns blauen im Morgenduft die im Süden des Thales aufragenden Kämme des Weitenalpstock, der Oberalp und im Osten das Thal abschließend der schneereiche Düssistock, während zur Linken die schroffen Höhen der Staffeln im Morgenlicht strahlen und darüber hinaus die blaugrauen Felskuppen der beiden Windgällen und der beiden Runden und das Scheerhoru sichtbar werden. Links und rechts donnern Wasser¬ fälle in's Thal, deren gleichen wir kaum je gesehen. Nun thut das erste der engen Seitenthäler sich ans, durch die man vom Maderanerthal ans in's oberste Rheinthal nach Bünden hinübersteigen kann, das Etzlithal. Immer großartiger rauscht und strömt der Kärstelenbach uns entgegen. Immer reicher entfaltet sich der Hvchgebirgscharakter des Thals. Eine Lawine hat sich zur letzten Fastnacht den Scherz gemacht, im Kärstelenbach zu baden und hat das große tiefe Wasser dadurch längere Zeit ganz aus seinem Bette gedrängt und zu bilden Umwegen durch urbares Land genöthigt. Als der Bach die riesigen Schneemassen endlich doch uutcrfressen und von seinem alten Bette wieder Besitz genommen hatte, blieb die Schneedecke in Gestalt einer eisigen Brücke über ihm lagern. So schauen wir sie jetzt noch Mitte August, und sie trägt trotz des hohen Sommers noch hente die größten Lasten, Nachdem der steile „Lnngenstntz" erklommen ist, steigen wir bald abwärts, bald mäßig auf¬ wärts zum Alpenkind-Hotel, das, mit allem Aufenthalt unterwegs, der zur Rast und Stärkung armer Seelen erforderlich gedacht wird, bequem in vier Stunden zu erreichen ist. Erst hier beginnt nun eigentlich der volle Reiz des Thales sich zu entfalten. In nächster Nähe des Hotels laden sauber gehaltene Spaziergänge im Tannen- Walde zur Erholung ein. Ein dunkler geheimnißvoller kleiner Bergsee liegt M Bereich der Anlagen. Jenseits des kurzen Tannenwaldes aber hört die Spur menschlicher Kunst ganz ans, und die Hoheit der Alpennatur tritt dafür rein und groß an uus heran, soweit und wohin immer wir wandern und schauen. Ein bedeutender Landschaftsmaler könnte das Studium und die künstlerische Schilderung dieses Thales zu seiner Lebensaufgabe machen, und er würde trotzdem immer Neues, immer wunderbar Schönes schaffen. Es ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/475
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/475>, abgerufen am 28.09.2024.