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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Güter war ja lauge Zeit Monopol, es war äußerlich unmöglich, den Genuß
bedeutender Geisteswerke auch den Massen zugänglich zu machen, ehe jene
großartigen Errungenschaften gelangen, wie sie der Buchhandel der Neuzeit
und die Photographie uns darstellt. Jetzt erst war es möglich, an eine popu¬
läre Verbreitung von Werken zu denken, deren Besitz bisher ein Vorrecht der
Reichen gewesen war, denn noch vor zwanzig Jahren waren ja selbst die
"Klassiker" so mancher Familie noch unerreichbar, und noch viel schwerer war
es möglich, sich ein Werk der bildenden Kunst in gediegener Nachbildung zu
verschaffen. Das Alles hat sich heutzutage von Grund aus geändert; der
Scharfsinn der Zeit hat die Mittel dazu gefunden, aber das entscheidende ist,
daß man sich auch des Zweckes völlig klar bewußt wurde, der mit diesen Mit¬
teln erreicht werden sollte. Man konnte nicht nur, sondern man wollte auch
jene geistigen Errungenschaften der Nation in den Besitz des Volkes über¬
führen und zum Gemeingut wenigstens der gebildeteren Kreise machen.

Eine Reihe großartiger Unternehmungen, die weit mehr von diesem Ge¬
sichtspunkte als vom rein geschäftlichen Erfolge ausgingen, hat uns die jüngste
Zeit vor Augen geführt; ganz besondere Anerkennung aber verdient in dieser
Beziehung die "Photographische Gesellschaft" in Berlin. Der Werth, den die
Leistungen dieses hochangesehenen Institutes beanspruchen dürfen, besteht vor
Allem darin, daß sie sich gerade die Publikation solcher Werke zur Pflicht
macht, die bei ihrem tiefernsten Gehalt die Menge niemals bestechen können,
die materiell eher Verlust bringen, aber die es doch in eminenten Maße ver¬
dienen, daß ihnen die Nation näher trete als bisher. Eine solche Publikation
war zuerst die herrliche Ausgabe der Kartons von Cornelius, welche ungefähr
vor Jahresfrist erschien und köstliche Schätze aus der Verborgenheit wieder an's
Licht zog. Eine zweite Sammlung ähnlicher Art bietet nunmehr der Nachlaß
von Alfred Rethel, eines Künstlers, der zwar berühmt, aber doch noch lange
nicht zur Genüge bekannt ist, und um dessen Besitz uns jedes Volk benei¬
den darf.

Welche Fülle des Schaffens! Man erschrickt beinahe, wenn man sich zum
Bewußtsein bringt, daß das ein Mann geleistet, der mit 35 Jahren seinem
Berufe verloren ging, daß solche Macht in einem Geiste gewohnt, dem es be¬
stimmt war, in tiefer Umnachtung zu enden. Rethel war am 15. Mai 1816
in der Nähe von Aachen geboren, und schon früh zeigte sich in dem schwäch¬
lichen Körper des Kindes jene starke, nach vorwärts drängende Seele, die ihm
eine große Zukunft verhieß. Mit 16 Jahren, in einem Alter, wo andere Jüng¬
linge noch zaghafte Schüler sind, hatte er sein erstes Bild vollendet, das be¬
reits -- mit seltener Bestimmtheit -- ans dem Sagenkreise des. si. Bonifacius
entnommen war und in der Presse mit unbedingter Anerkennung besprochen


Güter war ja lauge Zeit Monopol, es war äußerlich unmöglich, den Genuß
bedeutender Geisteswerke auch den Massen zugänglich zu machen, ehe jene
großartigen Errungenschaften gelangen, wie sie der Buchhandel der Neuzeit
und die Photographie uns darstellt. Jetzt erst war es möglich, an eine popu¬
läre Verbreitung von Werken zu denken, deren Besitz bisher ein Vorrecht der
Reichen gewesen war, denn noch vor zwanzig Jahren waren ja selbst die
„Klassiker" so mancher Familie noch unerreichbar, und noch viel schwerer war
es möglich, sich ein Werk der bildenden Kunst in gediegener Nachbildung zu
verschaffen. Das Alles hat sich heutzutage von Grund aus geändert; der
Scharfsinn der Zeit hat die Mittel dazu gefunden, aber das entscheidende ist,
daß man sich auch des Zweckes völlig klar bewußt wurde, der mit diesen Mit¬
teln erreicht werden sollte. Man konnte nicht nur, sondern man wollte auch
jene geistigen Errungenschaften der Nation in den Besitz des Volkes über¬
führen und zum Gemeingut wenigstens der gebildeteren Kreise machen.

Eine Reihe großartiger Unternehmungen, die weit mehr von diesem Ge¬
sichtspunkte als vom rein geschäftlichen Erfolge ausgingen, hat uns die jüngste
Zeit vor Augen geführt; ganz besondere Anerkennung aber verdient in dieser
Beziehung die „Photographische Gesellschaft" in Berlin. Der Werth, den die
Leistungen dieses hochangesehenen Institutes beanspruchen dürfen, besteht vor
Allem darin, daß sie sich gerade die Publikation solcher Werke zur Pflicht
macht, die bei ihrem tiefernsten Gehalt die Menge niemals bestechen können,
die materiell eher Verlust bringen, aber die es doch in eminenten Maße ver¬
dienen, daß ihnen die Nation näher trete als bisher. Eine solche Publikation
war zuerst die herrliche Ausgabe der Kartons von Cornelius, welche ungefähr
vor Jahresfrist erschien und köstliche Schätze aus der Verborgenheit wieder an's
Licht zog. Eine zweite Sammlung ähnlicher Art bietet nunmehr der Nachlaß
von Alfred Rethel, eines Künstlers, der zwar berühmt, aber doch noch lange
nicht zur Genüge bekannt ist, und um dessen Besitz uns jedes Volk benei¬
den darf.

Welche Fülle des Schaffens! Man erschrickt beinahe, wenn man sich zum
Bewußtsein bringt, daß das ein Mann geleistet, der mit 35 Jahren seinem
Berufe verloren ging, daß solche Macht in einem Geiste gewohnt, dem es be¬
stimmt war, in tiefer Umnachtung zu enden. Rethel war am 15. Mai 1816
in der Nähe von Aachen geboren, und schon früh zeigte sich in dem schwäch¬
lichen Körper des Kindes jene starke, nach vorwärts drängende Seele, die ihm
eine große Zukunft verhieß. Mit 16 Jahren, in einem Alter, wo andere Jüng¬
linge noch zaghafte Schüler sind, hatte er sein erstes Bild vollendet, das be¬
reits — mit seltener Bestimmtheit — ans dem Sagenkreise des. si. Bonifacius
entnommen war und in der Presse mit unbedingter Anerkennung besprochen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/452>, abgerufen am 28.09.2024.