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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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kind und betrachteten den Knaben als eine Zierde ihrer Salons. Schon im
elterlichen Hause an gute Gesellschaft und Sitte gewöhnt, machte sich der Knabe
hier die feinsten Umgangsformen zu eigen und erhielt für das ganze Leben
das Gepräge eines hochgebildeten Mannes und die unbesiegbare Abneigung
gegen alles Plumpe, Schroffe und Unnoble. Er erwies sich vielseitig begabt,
ereellirte als Schauspieler und Karrikaturenzeichner, versuchte sich mit Glück in
der Poesie und erregte namentlich durch seine musikalischen Improvisationen
über gegebene Themen schon frühe die Bewunderung seiner Zuhörer. Insbe¬
sondere wurde er von den Volksweisen und Volkstänzen, an denen das polnische
Volk und vorzugsweise der masurische Stamm, unter dein er aufwuchs, so reich
ist, angezogen. Viele dieser Melodien finden sich verklärt in dem Juwelen-
kränze seiner Kompositionen wieder. Er zuerst gab dem Tanzvolksliede eine
vollendet schone Form, indem er die Melodie mit den graziösesten Wendungen
und poesievvllsten Arabesken schmückte und ihr eine interessante, die wunder¬
barsten Effekte erzielende Harmonie beifügte.

Da Chopin von Haus aus Esprit, Eleganz und Grazie des Franzosen
mit der seinen Sinnlichkeit und musikalischen Begabung des Polen und dem
Ernste und der Gründlichkeit des Deutschen in sich vereinigte, so galt er bald
als der bedeutendste Klavierspieler Warschaus. Alle Concerte, an denen er sich
betheiligte, hatten glänzenden Erfolg. Gelegentlich seines ersten größeren Aus¬
fluges mit der Mutter und der jüngsten Schwester nach Bad Reinerz in
Schlesien machte er die Bekanntschaft des Fürsten Anton Radziwill in Anto-
nin, des bekannten, kimstbegeisterten Dilettanten, des Komponisten einer Fanst-
musik, die seiner Zeit großes Aussehen erregte, und vieler anderer größerer
Werke, und wußte auch ihn für seine Kunst und sein Talent völlig zu enthn-
siasmiren. Im Jahre 1827 absolvirte Chopin sein Abiturientenexamen als
Schüler des Warschauer Lheeums. Jetzt erst entschlossen sich, auf Elsner's
Zureden, die Eltern, dem genialen Sohne nach freiem Willen den Pfad der
Kunst wandeln zu lassen. Es galt nun zunächst, ihn mit der Außenwelt in
Berührung und Verbindung zu bringen. Er sollte hören und gehört werden.
In das Jahr 1828 fällt eine Reise nach Berlin, wo er zuerst ein Händel'sches
Oratorium kennen lernte, das ihn begeistert?; in das folgende eine Reise nach
Wien, Prag und Dresden. In ersterer Stadt gab er zwei Concerte, die bedeu¬
tendes Aufsehen erregten. Hier machte er die Bekanntschaft Franz Lachner's,
damals Kapellmeister am kaiserlichen Operntheater, der, wenn es ihm gefiele,
die spärlichen Mittheilungen über den Künstler aus dieser Zeit, wohl am zu¬
verlässigsten ergänzen könnte. Der beste Gewinn aus diesen Tagen aber sind
für uns die geretteten Briefe Chopin's an Eltern und Freunde. Niemand wird
sie ohne Theilnahme und Freude lese". Die glänzende Aufuahms, die er


kind und betrachteten den Knaben als eine Zierde ihrer Salons. Schon im
elterlichen Hause an gute Gesellschaft und Sitte gewöhnt, machte sich der Knabe
hier die feinsten Umgangsformen zu eigen und erhielt für das ganze Leben
das Gepräge eines hochgebildeten Mannes und die unbesiegbare Abneigung
gegen alles Plumpe, Schroffe und Unnoble. Er erwies sich vielseitig begabt,
ereellirte als Schauspieler und Karrikaturenzeichner, versuchte sich mit Glück in
der Poesie und erregte namentlich durch seine musikalischen Improvisationen
über gegebene Themen schon frühe die Bewunderung seiner Zuhörer. Insbe¬
sondere wurde er von den Volksweisen und Volkstänzen, an denen das polnische
Volk und vorzugsweise der masurische Stamm, unter dein er aufwuchs, so reich
ist, angezogen. Viele dieser Melodien finden sich verklärt in dem Juwelen-
kränze seiner Kompositionen wieder. Er zuerst gab dem Tanzvolksliede eine
vollendet schone Form, indem er die Melodie mit den graziösesten Wendungen
und poesievvllsten Arabesken schmückte und ihr eine interessante, die wunder¬
barsten Effekte erzielende Harmonie beifügte.

Da Chopin von Haus aus Esprit, Eleganz und Grazie des Franzosen
mit der seinen Sinnlichkeit und musikalischen Begabung des Polen und dem
Ernste und der Gründlichkeit des Deutschen in sich vereinigte, so galt er bald
als der bedeutendste Klavierspieler Warschaus. Alle Concerte, an denen er sich
betheiligte, hatten glänzenden Erfolg. Gelegentlich seines ersten größeren Aus¬
fluges mit der Mutter und der jüngsten Schwester nach Bad Reinerz in
Schlesien machte er die Bekanntschaft des Fürsten Anton Radziwill in Anto-
nin, des bekannten, kimstbegeisterten Dilettanten, des Komponisten einer Fanst-
musik, die seiner Zeit großes Aussehen erregte, und vieler anderer größerer
Werke, und wußte auch ihn für seine Kunst und sein Talent völlig zu enthn-
siasmiren. Im Jahre 1827 absolvirte Chopin sein Abiturientenexamen als
Schüler des Warschauer Lheeums. Jetzt erst entschlossen sich, auf Elsner's
Zureden, die Eltern, dem genialen Sohne nach freiem Willen den Pfad der
Kunst wandeln zu lassen. Es galt nun zunächst, ihn mit der Außenwelt in
Berührung und Verbindung zu bringen. Er sollte hören und gehört werden.
In das Jahr 1828 fällt eine Reise nach Berlin, wo er zuerst ein Händel'sches
Oratorium kennen lernte, das ihn begeistert?; in das folgende eine Reise nach
Wien, Prag und Dresden. In ersterer Stadt gab er zwei Concerte, die bedeu¬
tendes Aufsehen erregten. Hier machte er die Bekanntschaft Franz Lachner's,
damals Kapellmeister am kaiserlichen Operntheater, der, wenn es ihm gefiele,
die spärlichen Mittheilungen über den Künstler aus dieser Zeit, wohl am zu¬
verlässigsten ergänzen könnte. Der beste Gewinn aus diesen Tagen aber sind
für uns die geretteten Briefe Chopin's an Eltern und Freunde. Niemand wird
sie ohne Theilnahme und Freude lese«. Die glänzende Aufuahms, die er


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[0414] kind und betrachteten den Knaben als eine Zierde ihrer Salons. Schon im elterlichen Hause an gute Gesellschaft und Sitte gewöhnt, machte sich der Knabe hier die feinsten Umgangsformen zu eigen und erhielt für das ganze Leben das Gepräge eines hochgebildeten Mannes und die unbesiegbare Abneigung gegen alles Plumpe, Schroffe und Unnoble. Er erwies sich vielseitig begabt, ereellirte als Schauspieler und Karrikaturenzeichner, versuchte sich mit Glück in der Poesie und erregte namentlich durch seine musikalischen Improvisationen über gegebene Themen schon frühe die Bewunderung seiner Zuhörer. Insbe¬ sondere wurde er von den Volksweisen und Volkstänzen, an denen das polnische Volk und vorzugsweise der masurische Stamm, unter dein er aufwuchs, so reich ist, angezogen. Viele dieser Melodien finden sich verklärt in dem Juwelen- kränze seiner Kompositionen wieder. Er zuerst gab dem Tanzvolksliede eine vollendet schone Form, indem er die Melodie mit den graziösesten Wendungen und poesievvllsten Arabesken schmückte und ihr eine interessante, die wunder¬ barsten Effekte erzielende Harmonie beifügte. Da Chopin von Haus aus Esprit, Eleganz und Grazie des Franzosen mit der seinen Sinnlichkeit und musikalischen Begabung des Polen und dem Ernste und der Gründlichkeit des Deutschen in sich vereinigte, so galt er bald als der bedeutendste Klavierspieler Warschaus. Alle Concerte, an denen er sich betheiligte, hatten glänzenden Erfolg. Gelegentlich seines ersten größeren Aus¬ fluges mit der Mutter und der jüngsten Schwester nach Bad Reinerz in Schlesien machte er die Bekanntschaft des Fürsten Anton Radziwill in Anto- nin, des bekannten, kimstbegeisterten Dilettanten, des Komponisten einer Fanst- musik, die seiner Zeit großes Aussehen erregte, und vieler anderer größerer Werke, und wußte auch ihn für seine Kunst und sein Talent völlig zu enthn- siasmiren. Im Jahre 1827 absolvirte Chopin sein Abiturientenexamen als Schüler des Warschauer Lheeums. Jetzt erst entschlossen sich, auf Elsner's Zureden, die Eltern, dem genialen Sohne nach freiem Willen den Pfad der Kunst wandeln zu lassen. Es galt nun zunächst, ihn mit der Außenwelt in Berührung und Verbindung zu bringen. Er sollte hören und gehört werden. In das Jahr 1828 fällt eine Reise nach Berlin, wo er zuerst ein Händel'sches Oratorium kennen lernte, das ihn begeistert?; in das folgende eine Reise nach Wien, Prag und Dresden. In ersterer Stadt gab er zwei Concerte, die bedeu¬ tendes Aufsehen erregten. Hier machte er die Bekanntschaft Franz Lachner's, damals Kapellmeister am kaiserlichen Operntheater, der, wenn es ihm gefiele, die spärlichen Mittheilungen über den Künstler aus dieser Zeit, wohl am zu¬ verlässigsten ergänzen könnte. Der beste Gewinn aus diesen Tagen aber sind für uns die geretteten Briefe Chopin's an Eltern und Freunde. Niemand wird sie ohne Theilnahme und Freude lese«. Die glänzende Aufuahms, die er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/414>, abgerufen am 29.09.2024.