Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.Gelegenheit, alle bedeutenden Persönlichkeiten der Stadt und des Hofes kennen Friedrich Franz Chopin, der Stolz seiner Familie, seiner Freunde Gelegenheit, alle bedeutenden Persönlichkeiten der Stadt und des Hofes kennen Friedrich Franz Chopin, der Stolz seiner Familie, seiner Freunde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138644"/> <p xml:id="ID_1262" prev="#ID_1261"> Gelegenheit, alle bedeutenden Persönlichkeiten der Stadt und des Hofes kennen<lb/> zu lernen und Zeuge der ausschweifenden Freude und beispiellosen Begeisterung<lb/> zu fein, mit der die polnische Nation die Verkündigung der neuen Konstitution,<lb/> das Ergebniß der Arbeiten des Landtages, am Z. Mai 1791 aufnahm. Das<lb/> Glück des Landes war nur von kurzer Dauer, Schon im Jahre 1793 folgte die<lb/> zweite Theilung Polens; dann entzündete sich der Aufstand Kvsciuszko's, der mit<lb/> dem furchtbaren Blutbade endete, das der Sieger Suworow über die Bewohner<lb/> Warschau's verhängte. Mehr als 10,000 Menschen fielen am 5. November<lb/> 1794 der Brutalität und dem Siegestanmel der Russen zum Opfer. Chopin<lb/> hatte sich, in die Nationalgarde eingetreten, an der Vertheidigung des Landes<lb/> mit Hingebung betheiligt. Blutenden Herzens mußte er jetzt erkennen, daß<lb/> alle Hoffnungen des unglückseligen Volkes, insbesondere nach der dritten Theilung<lb/> des Landes, 1795, dahingeschwunden waren. Er beabsichtigte daher wiederholt<lb/> seine Rückkehr nach Frankreich. Jedesmal aber hinderten ihn schwere Krank¬<lb/> heiten, seinen Entschluß auszuführen. So wurde Polen sein zweites Vaterland,<lb/> und dort starb er auch, als Professor der französischen Sprache in Warschau<lb/> bis an sein Ende thätig, ein 74 jähriger Greis, 1844. Im Hanse der Gräfin<lb/> Starker in Kuyawh, wo er später ebenfalls als Hauslehrer Stellung gefunden,<lb/> leruie er Justine Krzyanowska kennen, gewann ihre Liebe und heirathete sie 1806.<lb/> Drei Töchter nud ein Sohn entsprossen diesem Ehebunde. Justine Chopin sah<lb/> ihren Gatten, zwei liebenswürdige Tochter und ihren so berühmt gewordenen,<lb/> heißgeliebten Sohn vor sich in's Grab sinken. Sie starb, nachdem sie alle<lb/> Schicksalsschläge mit rührender Geduld ertragen, im Hause der einzigen sie<lb/> überlebenden Tochter, Jsabella, die mit dem Schulinspektor Anton Bareinski<lb/> verehelicht ist, am 1. Oktober 1861.</p><lb/> <p xml:id="ID_1263" next="#ID_1264"> Friedrich Franz Chopin, der Stolz seiner Familie, seiner Freunde<lb/> und seines Landes, geb. am 1. März 1809 in Zelazowa Wola, einem Gute<lb/> des Grafen Skarbek, entwickelte unter der Leitung Adalbert Zywny's, eines<lb/> Böhmen, und Joh. Xcw. Elsner's, eines Deutschen, schon früh seine musikalischen<lb/> Talente, sowohl auf dem Piano wie im Tonsätze. Namentlich der letztere,<lb/> der Lehrer Chopins im Contrapunkte, erkannte bald die Originalität und das<lb/> Außergewöhnliche in dem schöpferischen Geiste seines Zöglings und wußte ihm<lb/> durch Führung und Rath die vorteilhafteste Entwickelung zu geben. Wie<lb/> Mozart, war auch Chopin in den ersten Kinderjahren gegen musikalische Eindrücke<lb/> äußerst empfindlich und wurde von ihnen fast schmerzhaft und bis zu Thränen<lb/> gerührt und aufgeregt. Allmählich jedoch entwickelte sich bei ihm eine Vorliebe<lb/> für das Klavier. Schon am 24. Februar 1818 konnte er, noch nicht neun<lb/> Jahre alt, an einem Wohlthätigkeitseoneerte als Solist sich betheiligen. Seit<lb/> dieser Zeit rissen sich die Vertreter der höchsten Aristokratie um das Wunder-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0413]
Gelegenheit, alle bedeutenden Persönlichkeiten der Stadt und des Hofes kennen
zu lernen und Zeuge der ausschweifenden Freude und beispiellosen Begeisterung
zu fein, mit der die polnische Nation die Verkündigung der neuen Konstitution,
das Ergebniß der Arbeiten des Landtages, am Z. Mai 1791 aufnahm. Das
Glück des Landes war nur von kurzer Dauer, Schon im Jahre 1793 folgte die
zweite Theilung Polens; dann entzündete sich der Aufstand Kvsciuszko's, der mit
dem furchtbaren Blutbade endete, das der Sieger Suworow über die Bewohner
Warschau's verhängte. Mehr als 10,000 Menschen fielen am 5. November
1794 der Brutalität und dem Siegestanmel der Russen zum Opfer. Chopin
hatte sich, in die Nationalgarde eingetreten, an der Vertheidigung des Landes
mit Hingebung betheiligt. Blutenden Herzens mußte er jetzt erkennen, daß
alle Hoffnungen des unglückseligen Volkes, insbesondere nach der dritten Theilung
des Landes, 1795, dahingeschwunden waren. Er beabsichtigte daher wiederholt
seine Rückkehr nach Frankreich. Jedesmal aber hinderten ihn schwere Krank¬
heiten, seinen Entschluß auszuführen. So wurde Polen sein zweites Vaterland,
und dort starb er auch, als Professor der französischen Sprache in Warschau
bis an sein Ende thätig, ein 74 jähriger Greis, 1844. Im Hanse der Gräfin
Starker in Kuyawh, wo er später ebenfalls als Hauslehrer Stellung gefunden,
leruie er Justine Krzyanowska kennen, gewann ihre Liebe und heirathete sie 1806.
Drei Töchter nud ein Sohn entsprossen diesem Ehebunde. Justine Chopin sah
ihren Gatten, zwei liebenswürdige Tochter und ihren so berühmt gewordenen,
heißgeliebten Sohn vor sich in's Grab sinken. Sie starb, nachdem sie alle
Schicksalsschläge mit rührender Geduld ertragen, im Hause der einzigen sie
überlebenden Tochter, Jsabella, die mit dem Schulinspektor Anton Bareinski
verehelicht ist, am 1. Oktober 1861.
Friedrich Franz Chopin, der Stolz seiner Familie, seiner Freunde
und seines Landes, geb. am 1. März 1809 in Zelazowa Wola, einem Gute
des Grafen Skarbek, entwickelte unter der Leitung Adalbert Zywny's, eines
Böhmen, und Joh. Xcw. Elsner's, eines Deutschen, schon früh seine musikalischen
Talente, sowohl auf dem Piano wie im Tonsätze. Namentlich der letztere,
der Lehrer Chopins im Contrapunkte, erkannte bald die Originalität und das
Außergewöhnliche in dem schöpferischen Geiste seines Zöglings und wußte ihm
durch Führung und Rath die vorteilhafteste Entwickelung zu geben. Wie
Mozart, war auch Chopin in den ersten Kinderjahren gegen musikalische Eindrücke
äußerst empfindlich und wurde von ihnen fast schmerzhaft und bis zu Thränen
gerührt und aufgeregt. Allmählich jedoch entwickelte sich bei ihm eine Vorliebe
für das Klavier. Schon am 24. Februar 1818 konnte er, noch nicht neun
Jahre alt, an einem Wohlthätigkeitseoneerte als Solist sich betheiligen. Seit
dieser Zeit rissen sich die Vertreter der höchsten Aristokratie um das Wunder-
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