Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.auf einem eigens zu dieser Fahrt erbauten Schiffe nach Rußland begab, wo Diese vornehme Abenteurerin hatte sich während ihres Aufenthalts in "Nun erbrach ich meinen Brief, vorher scholl fühlend, ob nicht ein anderes auf einem eigens zu dieser Fahrt erbauten Schiffe nach Rußland begab, wo Diese vornehme Abenteurerin hatte sich während ihres Aufenthalts in „Nun erbrach ich meinen Brief, vorher scholl fühlend, ob nicht ein anderes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138636"/> <p xml:id="ID_1243" prev="#ID_1242"> auf einem eigens zu dieser Fahrt erbauten Schiffe nach Rußland begab, wo<lb/> sie von der Kaiserin Elisabeth aufs Glänzendste aufgenommen wurde. Ihre<lb/> Rückreise durch Polen glich einem Triumphzuge. Sie erwarb hierauf das<lb/> Schloß Se. Assise bei Fontainebleau, wo sie in fürstliche»! Glänze lebte, bis<lb/> sie im August 1788 nach kurzer Krankheit starb. Ihr Testament, welches den<lb/> bizarren Charakter ihres Denkens und Empfindens deutlich bekundete, wurde<lb/> zu Gunsten der Angehörigen ihres zweiten Gemahls für nngiltig erklärt. Die<lb/> angeblich von ihr hinterlassenen Memoiren, die schon im Jahre ihres Todes<lb/> erschienen, sind aller Wahrscheinlichkeit nach unecht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1244"> Diese vornehme Abenteurerin hatte sich während ihres Aufenthalts in<lb/> Rußland nicht weit von dem Gute des Vaters Roseus angekauft, und auf<lb/> einer Reise, die sie von Esthland nach Calais machte, um dort von England,<lb/> wo sie nicht erscheinen durste, ihre Einkünfte zu empfangen, berührte sie Leipzig,<lb/> wo der junge Rosen sich veranlaßt sah, ihr seine Aufwartung zu machen, und<lb/> sie dann näher keimen lernte. Er hatte sich schon seit einiger Zeit sehr emsig<lb/> ans Studiren gemacht und befand sich eben in einer Vorlesung des Professors<lb/> Clodius, als ein Bedienter in den Hörsaal trat und laut sagte, die Herzogin<lb/> v. Kingston halte vor der Hausthür und wünsche den Baron v. Rosen ohne<lb/> Verzug zu sprechen. Man hatte vorher draußen ein starkes Wagengerassel<lb/> vernommen, und als der Begehrte auf die Straße kam, reichte ihm ans einer<lb/> großen Reisckarvsse die kleine Hand einer ältlichen Dame einen Brief zum<lb/> Schlage heraus. „Mein Herr", sagte die Dame dazu, „Ihr Vater hat mir<lb/> diesen Brief an Sie anvertraut, und es ist bei meiner Ankunft in Leipzig<lb/> mein erstes Geschäft, Ihnen denselben eigenhändig zuzustellen." Rosen dankte<lb/> sür diese besondere und unverdiente Ehre und fragte, wo sie einzukehren ge¬<lb/> denke. Sie nannte ihm deu Gasthof und fügte hinzu, daß sie seine Eltern<lb/> Wohl kenne, und daß sie sich einige Tage in Leipzig abzuhalten vorhabe.<lb/> Hierauf ließ sie sich mit ihrem ganzen Gefolge zu ihrem Quartiere hinfahren.<lb/> Jetzt aber mag Rosen eine Weile selbst weiter erzählen:</p><lb/> <p xml:id="ID_1245" next="#ID_1246"> „Nun erbrach ich meinen Brief, vorher scholl fühlend, ob nicht ein anderes<lb/> Papierchen darin verborgen sei. Allein es war nichts, als eine Aufforderung,<lb/> der Gräfin von Bristol, welche sich gegen meine Eltern so gütig bewiesen habe,<lb/> gefällig zu werdeu. Ich veränderte schnell, aber nicht gern, meine Kleidung<lb/> und begab mich in den Gasthof, wo Ihre Durchlaucht die ganze Beletage<lb/> eingenommen hatte und einen herzoglichen Aufwand, aber zugleich eine Laune<lb/> und einen Charakter wahrnehmen ließ, die man mit dem Wetter im April und<lb/> mit der Wetterfahne selbst füglich vergleichen konnte. Nie habe ich eine wun¬<lb/> derlichere, auf ihre verblichenen Reize sich so sehr noch etwas einbildende alte<lb/> Frau, oder offen gesagt, ein tolleres altes Weib gesehen, als diese Her-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0405]
auf einem eigens zu dieser Fahrt erbauten Schiffe nach Rußland begab, wo
sie von der Kaiserin Elisabeth aufs Glänzendste aufgenommen wurde. Ihre
Rückreise durch Polen glich einem Triumphzuge. Sie erwarb hierauf das
Schloß Se. Assise bei Fontainebleau, wo sie in fürstliche»! Glänze lebte, bis
sie im August 1788 nach kurzer Krankheit starb. Ihr Testament, welches den
bizarren Charakter ihres Denkens und Empfindens deutlich bekundete, wurde
zu Gunsten der Angehörigen ihres zweiten Gemahls für nngiltig erklärt. Die
angeblich von ihr hinterlassenen Memoiren, die schon im Jahre ihres Todes
erschienen, sind aller Wahrscheinlichkeit nach unecht.
Diese vornehme Abenteurerin hatte sich während ihres Aufenthalts in
Rußland nicht weit von dem Gute des Vaters Roseus angekauft, und auf
einer Reise, die sie von Esthland nach Calais machte, um dort von England,
wo sie nicht erscheinen durste, ihre Einkünfte zu empfangen, berührte sie Leipzig,
wo der junge Rosen sich veranlaßt sah, ihr seine Aufwartung zu machen, und
sie dann näher keimen lernte. Er hatte sich schon seit einiger Zeit sehr emsig
ans Studiren gemacht und befand sich eben in einer Vorlesung des Professors
Clodius, als ein Bedienter in den Hörsaal trat und laut sagte, die Herzogin
v. Kingston halte vor der Hausthür und wünsche den Baron v. Rosen ohne
Verzug zu sprechen. Man hatte vorher draußen ein starkes Wagengerassel
vernommen, und als der Begehrte auf die Straße kam, reichte ihm ans einer
großen Reisckarvsse die kleine Hand einer ältlichen Dame einen Brief zum
Schlage heraus. „Mein Herr", sagte die Dame dazu, „Ihr Vater hat mir
diesen Brief an Sie anvertraut, und es ist bei meiner Ankunft in Leipzig
mein erstes Geschäft, Ihnen denselben eigenhändig zuzustellen." Rosen dankte
sür diese besondere und unverdiente Ehre und fragte, wo sie einzukehren ge¬
denke. Sie nannte ihm deu Gasthof und fügte hinzu, daß sie seine Eltern
Wohl kenne, und daß sie sich einige Tage in Leipzig abzuhalten vorhabe.
Hierauf ließ sie sich mit ihrem ganzen Gefolge zu ihrem Quartiere hinfahren.
Jetzt aber mag Rosen eine Weile selbst weiter erzählen:
„Nun erbrach ich meinen Brief, vorher scholl fühlend, ob nicht ein anderes
Papierchen darin verborgen sei. Allein es war nichts, als eine Aufforderung,
der Gräfin von Bristol, welche sich gegen meine Eltern so gütig bewiesen habe,
gefällig zu werdeu. Ich veränderte schnell, aber nicht gern, meine Kleidung
und begab mich in den Gasthof, wo Ihre Durchlaucht die ganze Beletage
eingenommen hatte und einen herzoglichen Aufwand, aber zugleich eine Laune
und einen Charakter wahrnehmen ließ, die man mit dem Wetter im April und
mit der Wetterfahne selbst füglich vergleichen konnte. Nie habe ich eine wun¬
derlichere, auf ihre verblichenen Reize sich so sehr noch etwas einbildende alte
Frau, oder offen gesagt, ein tolleres altes Weib gesehen, als diese Her-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |