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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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auch auf jede Nummer der heimischen Zeitung, die man sich nach Karlsbad
nachschicken läßt, muß aufkleben lassen, und macht in Folge dessen den einheimischen
Karlsbader Blättern eine gefährliche Konkurrenz. Die letzteren, das "Karls¬
bader Wochenblatt" und der "Karlsbader Anzeiger", erscheinen in friedlicher
Abwechslung, das eine Mittwochs, das andre Sonnabends, und da sie die in
Oesterreich ziemlich hohe Zeitungs-Kaution für den politischen Theil nicht stelle"
tonnen oder wollen, so beschränken sie sich auf die Ortsnachrichten und auf
das bekannte "Vermischte". Mit seinen 10,000 Einwohnern und seinen 15--20,000
Kurgästen hat also Karlsbad kein politisches Tageblatt, und man traut seineu
Augen und Ohren nicht, wenn man einen mit einer Trommel bewaffneten
Schutzmann durch die Straßen Karlsbads schreiten sieht, welcher nach einem
kräftigen Trommelwirbel die öffentlichen Bekanntmachungen ausruft. Die Kurgäste
erlangen deun auch von dem Vorhandensein jener beiden im Verborgenen
blühenden Ortsblätter meistentheils gar keine Kunde, und sie verlieren auch
nichts dabei. Desto großer ist jeden Morgen um 7 Uhr das Gedrüuge an
dem Zeitnngsschalter der Post, wo viele Kurgäste die gewohnte heimische Zeitung
selbst abholen, um nach dem Hochgenusse des Morgenkaffees im "Elephanten",
bei Pupp, aus dein Schweizer- oder Posthof beim Opferdampfe der ersten Cigarre
zu lesen, was daheim in der Residenz oder dem Proviuzialstädtchen sich
Wichtiges ereignet hat. Auf dem Heimwege kommt man dann noch einmal
an der am Markt gelegenen Post vorbei und mustert mit Muße die an einem
großen Fenster aufgehängten Briefe und Postkarten, welche wegen irgend
eines Formfehlers als unbestellbar zurückgehalten worden sind. Natürlich wird
dabei von dem müßigen Kurgast, der ja von einem wahren Heißhunger uach
Zeitvertreib geplagt wird, der Inhalt der so unbarmherzig der Öffentlichkeit
preisgegebenen Postkarten eifrig studirt. Und in der That, man wird da in
merkwürdige Geheimnisse eingeweiht. So beeilt sich ein zärtlicher Engländer
seiner besorgten Gattin in Manchester auf offner Postkarte folgende wichtige
Mittheilung über sein leibliches Befinden zu machen: "vsar litt nov
I am voi^ voll. 0n!^ one t,nil>g vvoulä dö to repair, tlurt is visits t,c>
tue eloset. Merötorc; I wol ^ssttzrcla^ MIs", Die größte Heiterkeit aber
bei allen Liebhabern dieser postfensterlichen Studien erregte folgende Postkarte
eines polnischen Juden: "Liebes Sarche! Komme dir hundsmid an, find e
irisch Lvgie, bin aach schonn proches! Beim Auspacken kämm ich in Roches,
die Kuvpp fehle iberall. Rosalche hat aachs Nachkappche vergesse. Schick
mer aach mein Sonnenparaplie". Welche "Mannesseele" vermöchte nicht diesem
Benet schaut aus Czernowitz seinen "Roches" nachzufühlen! Hoffentlich hat
"Sarche", die theure Ehehälfte, es verstanden, die gerechte Entrüstung des
Gemahles wieder zu besänftige", und mit dieser tröstlichen Aussicht auf die


auch auf jede Nummer der heimischen Zeitung, die man sich nach Karlsbad
nachschicken läßt, muß aufkleben lassen, und macht in Folge dessen den einheimischen
Karlsbader Blättern eine gefährliche Konkurrenz. Die letzteren, das „Karls¬
bader Wochenblatt" und der „Karlsbader Anzeiger", erscheinen in friedlicher
Abwechslung, das eine Mittwochs, das andre Sonnabends, und da sie die in
Oesterreich ziemlich hohe Zeitungs-Kaution für den politischen Theil nicht stelle»
tonnen oder wollen, so beschränken sie sich auf die Ortsnachrichten und auf
das bekannte „Vermischte". Mit seinen 10,000 Einwohnern und seinen 15—20,000
Kurgästen hat also Karlsbad kein politisches Tageblatt, und man traut seineu
Augen und Ohren nicht, wenn man einen mit einer Trommel bewaffneten
Schutzmann durch die Straßen Karlsbads schreiten sieht, welcher nach einem
kräftigen Trommelwirbel die öffentlichen Bekanntmachungen ausruft. Die Kurgäste
erlangen deun auch von dem Vorhandensein jener beiden im Verborgenen
blühenden Ortsblätter meistentheils gar keine Kunde, und sie verlieren auch
nichts dabei. Desto großer ist jeden Morgen um 7 Uhr das Gedrüuge an
dem Zeitnngsschalter der Post, wo viele Kurgäste die gewohnte heimische Zeitung
selbst abholen, um nach dem Hochgenusse des Morgenkaffees im „Elephanten",
bei Pupp, aus dein Schweizer- oder Posthof beim Opferdampfe der ersten Cigarre
zu lesen, was daheim in der Residenz oder dem Proviuzialstädtchen sich
Wichtiges ereignet hat. Auf dem Heimwege kommt man dann noch einmal
an der am Markt gelegenen Post vorbei und mustert mit Muße die an einem
großen Fenster aufgehängten Briefe und Postkarten, welche wegen irgend
eines Formfehlers als unbestellbar zurückgehalten worden sind. Natürlich wird
dabei von dem müßigen Kurgast, der ja von einem wahren Heißhunger uach
Zeitvertreib geplagt wird, der Inhalt der so unbarmherzig der Öffentlichkeit
preisgegebenen Postkarten eifrig studirt. Und in der That, man wird da in
merkwürdige Geheimnisse eingeweiht. So beeilt sich ein zärtlicher Engländer
seiner besorgten Gattin in Manchester auf offner Postkarte folgende wichtige
Mittheilung über sein leibliches Befinden zu machen: „vsar litt nov
I am voi^ voll. 0n!^ one t,nil>g vvoulä dö to repair, tlurt is visits t,c>
tue eloset. Merötorc; I wol ^ssttzrcla^ MIs", Die größte Heiterkeit aber
bei allen Liebhabern dieser postfensterlichen Studien erregte folgende Postkarte
eines polnischen Juden: „Liebes Sarche! Komme dir hundsmid an, find e
irisch Lvgie, bin aach schonn proches! Beim Auspacken kämm ich in Roches,
die Kuvpp fehle iberall. Rosalche hat aachs Nachkappche vergesse. Schick
mer aach mein Sonnenparaplie". Welche „Mannesseele" vermöchte nicht diesem
Benet schaut aus Czernowitz seinen „Roches" nachzufühlen! Hoffentlich hat
„Sarche", die theure Ehehälfte, es verstanden, die gerechte Entrüstung des
Gemahles wieder zu besänftige», und mit dieser tröstlichen Aussicht auf die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/402>, abgerufen am 28.09.2024.