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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Patzelu, Zetteln, Kolatschen, Fisolen, Karfiol, Kreil, Fasch" n. s. w., ganz
abgesehen von den eher bekannten "Knöderln, Nockerln, Schmarrn, Krapferln",
doch immer für einen Norddeutschen mehr oder weniger ein Buch mit sieben
Siegeln bleiben. Aber wie kurios kommt es uns vor, wenn in Zeitungscmnoneen
für eine Materialwaareuhandlung ein "Praktikant", d. h. ein Lehrling, gesucht
wird, wenn der Controleur hier "Controlor," ein Billet hier eine "Bollette"")
heißt, wenn in Prag über einem Cigarrenladen die Firma prangt: "K. k. Tabak-
Hauptverschleiß-Minnta." Besonders seltsam klingt der österreichische Kanzleistil.
So wird ein Vagabund aus dem Lande "abgeschafft"; der Justiznnnister, heißt
es in amtlichen Bekanntmachungen, hat den Bezirksrichter X. von Y. nach Z.
.übersetzt"; "um das erledigte Pfarrbenefieium zu X. hat sich nur ein einziger
Bewerber in Competenz gesetzt" u. dergl. in. Die Vorliebe für Fremdwörter,
welche in den behördlichen Erlassen ihr Unwesen treibt, erreicht den höchsten
Gipfel der Verwilderung in dem österreichischen Zeitungsstil. Ein Leitartikel
der Prager Abendzeitung, "Der Beginn der Ansgleichsakzion" überschrieben,
beginnt mit dem klassischen Satze: "Mit der Absendung des ersten Nunziums
der ungarischen Regnikolar-Deputazion an ihre reichsräthliche Collegia ist die
Parlamentarische Ausgleichsakzion offiziell eingeleitet worden". Also in 3 Zeilen
7 Fremdwörter. Und was sür Fremdwörter! Jederman, der sein Latein gelernt
hat, kennt wohl imutws, der Bote, die Botschaft; aber als Neutrum ist ihm
doch das Wort nie vorgestellt worden.

Sieht man aber von dem barbarischen Kauderwelsch ab, dessen sich die
üsterreichischen Zeitungen, nach dem Muster des dortigen "lcmdesbefngten" Kanzlei¬
stils, befleißigen, so muß mau den größeren Blättern zum Ruhme nachsagen,
daß sie 1. in Druck und Papier besser ausgestattet, 2. reichhaltiger und doch
übersichtlicher und 3. auch hinsichtlich der Leitartikel, des Feuilletons
u, s. w. besser redigirt sind als unsere deutschen Zeitungen. Wiener
Blatter, wie die "Presse", die "Freie Presse", die "Neue Freie Presse", die
"Deutsche Zeitung" u. a. können manchen auf erbärmlich grauem Löschpapier
mit schlechten Lettern gedruckten Berliner und sonstigen großen Zeitungen
Deutschlands als Vorbilder dienen. Auch der Straßenverkauf einzelner Zeitungs-
unmmeru ist in Oesterreich weit mehr im Schwange als bei uns zu Lande.
In Karlsbad wird namentlich die "Prager Abendzeitung", die Nummer zu 1
Kreuzer, massenhaft verkauft. Da sie Regierungsblatt ist, so zahlt sie keinen
Zeitungsstempel (1 Kreuzer für jede Nummer), welchen man schmerzlicher Weise



*) Hieran ist nichts "Knrwscs", wenigstens nicht im Sinne unseres Herrn Mitarbeiters.
Die gute italienische Form boNstts, war in früheren Jahrhunderten auch in Norddeutschland
verbitt d ist hier erst nach und unes durch das französische lüll"t verdrängt worden.
reeun
Anm. d. Red.
Grenzboten III. 1877. 6"

Patzelu, Zetteln, Kolatschen, Fisolen, Karfiol, Kreil, Fasch" n. s. w., ganz
abgesehen von den eher bekannten „Knöderln, Nockerln, Schmarrn, Krapferln",
doch immer für einen Norddeutschen mehr oder weniger ein Buch mit sieben
Siegeln bleiben. Aber wie kurios kommt es uns vor, wenn in Zeitungscmnoneen
für eine Materialwaareuhandlung ein „Praktikant", d. h. ein Lehrling, gesucht
wird, wenn der Controleur hier „Controlor," ein Billet hier eine „Bollette"")
heißt, wenn in Prag über einem Cigarrenladen die Firma prangt: „K. k. Tabak-
Hauptverschleiß-Minnta." Besonders seltsam klingt der österreichische Kanzleistil.
So wird ein Vagabund aus dem Lande „abgeschafft"; der Justiznnnister, heißt
es in amtlichen Bekanntmachungen, hat den Bezirksrichter X. von Y. nach Z.
.übersetzt"; „um das erledigte Pfarrbenefieium zu X. hat sich nur ein einziger
Bewerber in Competenz gesetzt" u. dergl. in. Die Vorliebe für Fremdwörter,
welche in den behördlichen Erlassen ihr Unwesen treibt, erreicht den höchsten
Gipfel der Verwilderung in dem österreichischen Zeitungsstil. Ein Leitartikel
der Prager Abendzeitung, „Der Beginn der Ansgleichsakzion" überschrieben,
beginnt mit dem klassischen Satze: „Mit der Absendung des ersten Nunziums
der ungarischen Regnikolar-Deputazion an ihre reichsräthliche Collegia ist die
Parlamentarische Ausgleichsakzion offiziell eingeleitet worden". Also in 3 Zeilen
7 Fremdwörter. Und was sür Fremdwörter! Jederman, der sein Latein gelernt
hat, kennt wohl imutws, der Bote, die Botschaft; aber als Neutrum ist ihm
doch das Wort nie vorgestellt worden.

Sieht man aber von dem barbarischen Kauderwelsch ab, dessen sich die
üsterreichischen Zeitungen, nach dem Muster des dortigen „lcmdesbefngten" Kanzlei¬
stils, befleißigen, so muß mau den größeren Blättern zum Ruhme nachsagen,
daß sie 1. in Druck und Papier besser ausgestattet, 2. reichhaltiger und doch
übersichtlicher und 3. auch hinsichtlich der Leitartikel, des Feuilletons
u, s. w. besser redigirt sind als unsere deutschen Zeitungen. Wiener
Blatter, wie die „Presse", die „Freie Presse", die „Neue Freie Presse", die
"Deutsche Zeitung" u. a. können manchen auf erbärmlich grauem Löschpapier
mit schlechten Lettern gedruckten Berliner und sonstigen großen Zeitungen
Deutschlands als Vorbilder dienen. Auch der Straßenverkauf einzelner Zeitungs-
unmmeru ist in Oesterreich weit mehr im Schwange als bei uns zu Lande.
In Karlsbad wird namentlich die „Prager Abendzeitung", die Nummer zu 1
Kreuzer, massenhaft verkauft. Da sie Regierungsblatt ist, so zahlt sie keinen
Zeitungsstempel (1 Kreuzer für jede Nummer), welchen man schmerzlicher Weise



*) Hieran ist nichts „Knrwscs", wenigstens nicht im Sinne unseres Herrn Mitarbeiters.
Die gute italienische Form boNstts, war in früheren Jahrhunderten auch in Norddeutschland
verbitt d ist hier erst nach und unes durch das französische lüll«t verdrängt worden.
reeun
Anm. d. Red.
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[0401] Patzelu, Zetteln, Kolatschen, Fisolen, Karfiol, Kreil, Fasch" n. s. w., ganz abgesehen von den eher bekannten „Knöderln, Nockerln, Schmarrn, Krapferln", doch immer für einen Norddeutschen mehr oder weniger ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Aber wie kurios kommt es uns vor, wenn in Zeitungscmnoneen für eine Materialwaareuhandlung ein „Praktikant", d. h. ein Lehrling, gesucht wird, wenn der Controleur hier „Controlor," ein Billet hier eine „Bollette"") heißt, wenn in Prag über einem Cigarrenladen die Firma prangt: „K. k. Tabak- Hauptverschleiß-Minnta." Besonders seltsam klingt der österreichische Kanzleistil. So wird ein Vagabund aus dem Lande „abgeschafft"; der Justiznnnister, heißt es in amtlichen Bekanntmachungen, hat den Bezirksrichter X. von Y. nach Z. .übersetzt"; „um das erledigte Pfarrbenefieium zu X. hat sich nur ein einziger Bewerber in Competenz gesetzt" u. dergl. in. Die Vorliebe für Fremdwörter, welche in den behördlichen Erlassen ihr Unwesen treibt, erreicht den höchsten Gipfel der Verwilderung in dem österreichischen Zeitungsstil. Ein Leitartikel der Prager Abendzeitung, „Der Beginn der Ansgleichsakzion" überschrieben, beginnt mit dem klassischen Satze: „Mit der Absendung des ersten Nunziums der ungarischen Regnikolar-Deputazion an ihre reichsräthliche Collegia ist die Parlamentarische Ausgleichsakzion offiziell eingeleitet worden". Also in 3 Zeilen 7 Fremdwörter. Und was sür Fremdwörter! Jederman, der sein Latein gelernt hat, kennt wohl imutws, der Bote, die Botschaft; aber als Neutrum ist ihm doch das Wort nie vorgestellt worden. Sieht man aber von dem barbarischen Kauderwelsch ab, dessen sich die üsterreichischen Zeitungen, nach dem Muster des dortigen „lcmdesbefngten" Kanzlei¬ stils, befleißigen, so muß mau den größeren Blättern zum Ruhme nachsagen, daß sie 1. in Druck und Papier besser ausgestattet, 2. reichhaltiger und doch übersichtlicher und 3. auch hinsichtlich der Leitartikel, des Feuilletons u, s. w. besser redigirt sind als unsere deutschen Zeitungen. Wiener Blatter, wie die „Presse", die „Freie Presse", die „Neue Freie Presse", die "Deutsche Zeitung" u. a. können manchen auf erbärmlich grauem Löschpapier mit schlechten Lettern gedruckten Berliner und sonstigen großen Zeitungen Deutschlands als Vorbilder dienen. Auch der Straßenverkauf einzelner Zeitungs- unmmeru ist in Oesterreich weit mehr im Schwange als bei uns zu Lande. In Karlsbad wird namentlich die „Prager Abendzeitung", die Nummer zu 1 Kreuzer, massenhaft verkauft. Da sie Regierungsblatt ist, so zahlt sie keinen Zeitungsstempel (1 Kreuzer für jede Nummer), welchen man schmerzlicher Weise *) Hieran ist nichts „Knrwscs", wenigstens nicht im Sinne unseres Herrn Mitarbeiters. Die gute italienische Form boNstts, war in früheren Jahrhunderten auch in Norddeutschland verbitt d ist hier erst nach und unes durch das französische lüll«t verdrängt worden. reeun Anm. d. Red. Grenzboten III. 1877. 6"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/401>, abgerufen am 28.09.2024.