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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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oder hielt die Münchener keineswegs ab, für sie gegen die Polizei Partei zu
nehmen, wenn sich Gelegenheit bot. Kurfürst Max III., von nennr wohlwollend
und gütig, ließ jährlich 40000 Gulden an Hausarme austheilen; der größte
Theil davon blieb in München, wo auch mehrere hundert Studirende wöchent¬
lich Brod aus der Hofbäckerei erhielten. Er hatte ein durch Kriegsdrangsale
verarmtes Land übernommen, selbst dazu greifen müssen, baierische Landes-
kinder gegen Entgelt an Holland und Oesterreich ("in 24 si. pro Kopf) als
Soldaten abzulassen und sogar daran gedacht, Land und Leute zu verlassen
und vorübergehend in spanische Dienste zu treten, um so die Kosten der Hof¬
haltung zu ersparen, die er, durch seine Räthe von diesem eigenthümlichen Bor
haben zurückgebracht, möglichst zu verringern bestrebt war.

Dem vom Hofe gegebenen Beispiele der Sparsamkeit folgte der sogen,
leoninische Adel, d. h. die höhere und niedere Beamtenwelt. Er spaltete sich
in zwei Parteien, eine streng conservative, der gegen jede Neuerung in politischen
und religiösen Dingen eiferte, und eine liberale, deren meist jüngere Mitglieder
sich mit der neuen Literatur vertraut machten, lasen und studirten und
über die Vorzüge und Nachtheile gewisser Grundsätze der Staatsverwaltung
debattirten.

Von alledem war der Bürger hermetisch abgeschlossen. Durch und dnrch
konservativ, hielt er im Gegensatz zum Grund- und levninischen Adel auch in
Kleidung und Sitte fest an dem hergebrachten. Das schlicht herabgekämmte
Haar lang über die Schläfe fallend, in schwarzem seidenem Halstuch, rother
Weste von gewässertem Seidenstoff, mit Goldborten und silbernen Knöpfen
besetzt, mit bis an die Knöchel reichenden Staatsrock, darüber den weiten langen
Mantel, von goldener oder silberner Spange zusammengehalten, den Dreispitz
ans dem Kopfe, den silberbeschlagenen Rohrstock in der Hand, schritt der ehren-
feste Bräu, Buel oder Metzger an der Seite heikler nicht minder stattlichen
Ehehälfte einher. Sie ihrerseits prangte in schwerer silberner oder goldener
Riegelhaube, schwarzem Flvrhalstnche mit Filigranschleife, in brvkatenem Corset
und schwerseidenem, bortenbesetztem, faltenreichen Rocke.

Von den Münchnerinnen schreibt ein Zeitgenosse: "Das schöne Geschlecht
verdient hier dieses Prädikat in allen Absichten. Ich habe anch nie so viele
schöne Weiber und Mädchen aus einem Haufell beisammengefnndeu. In allen
Volksklassen, von der höchsten bis zur niedrigsten, findet man vollendete Schön¬
heiten. Auf ihren Wangen blühen Lilien und Rosen lind in ihrem Charakter
herrscht eine liebenswürdige Naivetät." An hohen Festtagen erschienen Frauen
und Jungfrauen mit sog. Kränchen ans dem Hinterhaupt. Es war das alte
Schapel und bei jenen geschlossen, bei diesen in der Mitte mit einer Oeffnung


oder hielt die Münchener keineswegs ab, für sie gegen die Polizei Partei zu
nehmen, wenn sich Gelegenheit bot. Kurfürst Max III., von nennr wohlwollend
und gütig, ließ jährlich 40000 Gulden an Hausarme austheilen; der größte
Theil davon blieb in München, wo auch mehrere hundert Studirende wöchent¬
lich Brod aus der Hofbäckerei erhielten. Er hatte ein durch Kriegsdrangsale
verarmtes Land übernommen, selbst dazu greifen müssen, baierische Landes-
kinder gegen Entgelt an Holland und Oesterreich (»in 24 si. pro Kopf) als
Soldaten abzulassen und sogar daran gedacht, Land und Leute zu verlassen
und vorübergehend in spanische Dienste zu treten, um so die Kosten der Hof¬
haltung zu ersparen, die er, durch seine Räthe von diesem eigenthümlichen Bor
haben zurückgebracht, möglichst zu verringern bestrebt war.

Dem vom Hofe gegebenen Beispiele der Sparsamkeit folgte der sogen,
leoninische Adel, d. h. die höhere und niedere Beamtenwelt. Er spaltete sich
in zwei Parteien, eine streng conservative, der gegen jede Neuerung in politischen
und religiösen Dingen eiferte, und eine liberale, deren meist jüngere Mitglieder
sich mit der neuen Literatur vertraut machten, lasen und studirten und
über die Vorzüge und Nachtheile gewisser Grundsätze der Staatsverwaltung
debattirten.

Von alledem war der Bürger hermetisch abgeschlossen. Durch und dnrch
konservativ, hielt er im Gegensatz zum Grund- und levninischen Adel auch in
Kleidung und Sitte fest an dem hergebrachten. Das schlicht herabgekämmte
Haar lang über die Schläfe fallend, in schwarzem seidenem Halstuch, rother
Weste von gewässertem Seidenstoff, mit Goldborten und silbernen Knöpfen
besetzt, mit bis an die Knöchel reichenden Staatsrock, darüber den weiten langen
Mantel, von goldener oder silberner Spange zusammengehalten, den Dreispitz
ans dem Kopfe, den silberbeschlagenen Rohrstock in der Hand, schritt der ehren-
feste Bräu, Buel oder Metzger an der Seite heikler nicht minder stattlichen
Ehehälfte einher. Sie ihrerseits prangte in schwerer silberner oder goldener
Riegelhaube, schwarzem Flvrhalstnche mit Filigranschleife, in brvkatenem Corset
und schwerseidenem, bortenbesetztem, faltenreichen Rocke.

Von den Münchnerinnen schreibt ein Zeitgenosse: „Das schöne Geschlecht
verdient hier dieses Prädikat in allen Absichten. Ich habe anch nie so viele
schöne Weiber und Mädchen aus einem Haufell beisammengefnndeu. In allen
Volksklassen, von der höchsten bis zur niedrigsten, findet man vollendete Schön¬
heiten. Auf ihren Wangen blühen Lilien und Rosen lind in ihrem Charakter
herrscht eine liebenswürdige Naivetät." An hohen Festtagen erschienen Frauen
und Jungfrauen mit sog. Kränchen ans dem Hinterhaupt. Es war das alte
Schapel und bei jenen geschlossen, bei diesen in der Mitte mit einer Oeffnung


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[0375] oder hielt die Münchener keineswegs ab, für sie gegen die Polizei Partei zu nehmen, wenn sich Gelegenheit bot. Kurfürst Max III., von nennr wohlwollend und gütig, ließ jährlich 40000 Gulden an Hausarme austheilen; der größte Theil davon blieb in München, wo auch mehrere hundert Studirende wöchent¬ lich Brod aus der Hofbäckerei erhielten. Er hatte ein durch Kriegsdrangsale verarmtes Land übernommen, selbst dazu greifen müssen, baierische Landes- kinder gegen Entgelt an Holland und Oesterreich (»in 24 si. pro Kopf) als Soldaten abzulassen und sogar daran gedacht, Land und Leute zu verlassen und vorübergehend in spanische Dienste zu treten, um so die Kosten der Hof¬ haltung zu ersparen, die er, durch seine Räthe von diesem eigenthümlichen Bor haben zurückgebracht, möglichst zu verringern bestrebt war. Dem vom Hofe gegebenen Beispiele der Sparsamkeit folgte der sogen, leoninische Adel, d. h. die höhere und niedere Beamtenwelt. Er spaltete sich in zwei Parteien, eine streng conservative, der gegen jede Neuerung in politischen und religiösen Dingen eiferte, und eine liberale, deren meist jüngere Mitglieder sich mit der neuen Literatur vertraut machten, lasen und studirten und über die Vorzüge und Nachtheile gewisser Grundsätze der Staatsverwaltung debattirten. Von alledem war der Bürger hermetisch abgeschlossen. Durch und dnrch konservativ, hielt er im Gegensatz zum Grund- und levninischen Adel auch in Kleidung und Sitte fest an dem hergebrachten. Das schlicht herabgekämmte Haar lang über die Schläfe fallend, in schwarzem seidenem Halstuch, rother Weste von gewässertem Seidenstoff, mit Goldborten und silbernen Knöpfen besetzt, mit bis an die Knöchel reichenden Staatsrock, darüber den weiten langen Mantel, von goldener oder silberner Spange zusammengehalten, den Dreispitz ans dem Kopfe, den silberbeschlagenen Rohrstock in der Hand, schritt der ehren- feste Bräu, Buel oder Metzger an der Seite heikler nicht minder stattlichen Ehehälfte einher. Sie ihrerseits prangte in schwerer silberner oder goldener Riegelhaube, schwarzem Flvrhalstnche mit Filigranschleife, in brvkatenem Corset und schwerseidenem, bortenbesetztem, faltenreichen Rocke. Von den Münchnerinnen schreibt ein Zeitgenosse: „Das schöne Geschlecht verdient hier dieses Prädikat in allen Absichten. Ich habe anch nie so viele schöne Weiber und Mädchen aus einem Haufell beisammengefnndeu. In allen Volksklassen, von der höchsten bis zur niedrigsten, findet man vollendete Schön¬ heiten. Auf ihren Wangen blühen Lilien und Rosen lind in ihrem Charakter herrscht eine liebenswürdige Naivetät." An hohen Festtagen erschienen Frauen und Jungfrauen mit sog. Kränchen ans dem Hinterhaupt. Es war das alte Schapel und bei jenen geschlossen, bei diesen in der Mitte mit einer Oeffnung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/375>, abgerufen am 28.09.2024.