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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Palesiaueriuuen, Nonnen de Notre Dame, englische Fräuleins und Schlvesteru
von dritte,! Orden. Von den Kirchen und Kapellen sind seitdem gar viele
spurlos verschwunden. So stand z. B. da, wo heute das englische Cafe am
Man'miliausplatz steht, hoch auf einer Bastei vordem ein Kapuzinerkloster,
und von den Tausenden, die dort den Gartenevneerten beiwohne,,, weiß
keiner, daß auf demselben Platze bärtige Mönche zwischen duftenden Blumen
schlürften. Waren sie doch als tüchtige Blumenzüchter wohlbekannt.

In enger Verbindung mit der von einem überaus zahlreichen (560--570
Kopfe zählenden) Klerus geübtem Seelsorge stand die Fürsorge für Arme,
Kranke und Altersschwäche in fünf Spitälern, elf Krankenhäuser,! und einem
Waisenhause. In, Rvchnsspital fanden fromme Pilger drei Tage reichliche
Verköstigung.

An einschlägigen alten Gebräuchen fehlte es nicht. Ein solcher hatte sich
namentlich beim Heiligengeistspital erhalten. Ihn, machte 1318 ein Bürger
Namens Wadler, eine Stiftung, kraft deren zu gewisser Zeit an die Arme,,
Rretzelu ausgetheilt wurden. Da ritt nun am Morgen, "ach Ander,, "in
Mitternacht des Z. Mai, als dem Todestage des letzten Wadler, ein Knecht
mit einem großen Sack voll Bretzeln auf einem Schimmel dnrch die Straßen
der Stadt und theilte sie mit den Worten aus:


Ihr jung und alte Leut,
Gehts hin zum heiligen Geist,
Wo man die Wadler Brctzcu auSgcil!

Da hätten wir dem, das alte Opferbrod in der Form des aufsteigenden
Sonnenrades, das um Frühlingsanfang zur Feier der wiederkehrenden Sonne
und des Wiedererwachens ihrer Kräfte gebacken wurde, währeud der Schimmel
an Wuotans Roß Sleipnar erinnert. Auch zu anderen Zeiten gab es absonder-
liches Brod: so zu Ostern die Hasen mit dem rothen El im Gesäß. Das
rothe El aber war der Frühlingsgöttin Ostara geweiht, und der Hase galt und
gilt "och heute als Symbol der Fruchtbarkeit. Ferner das Kirchweihbrvd und
zu Weihnachten das Hutzel- oder Kletzcnbrod. Durch die Erlaubniß es
anzuschneiden gestattete das Mädchen ihrem Liebsten stillschweigend förmliche
Werbung. Znu, Allerseelentage ward und wird noch heute feines Brod in
Form von Zöpfen (Seelen-Zöpfe) gebacken. Am Tage der unschuldigen Kinder
mußte,, die Mädchen den Junggeselle,, mit Lebkuchen und Pfefferkuchen aufwarten
und wurden vou diesen so lange mit Ruthen ans die Hände geschlagen ("gefilzt"),
bis sie die Kuchen hervorzogen.

Die Zahl der Armen war in der "guten alten Zeit" keineswegs genug;
"och größer die der herumziehenden arbcitschenen Bettler. Sie betrug über 2000,
darunter 1275 ständige, so daß auf etwa 30 Einwohner 1 Bettler kam. Das


Palesiaueriuuen, Nonnen de Notre Dame, englische Fräuleins und Schlvesteru
von dritte,! Orden. Von den Kirchen und Kapellen sind seitdem gar viele
spurlos verschwunden. So stand z. B. da, wo heute das englische Cafe am
Man'miliausplatz steht, hoch auf einer Bastei vordem ein Kapuzinerkloster,
und von den Tausenden, die dort den Gartenevneerten beiwohne,,, weiß
keiner, daß auf demselben Platze bärtige Mönche zwischen duftenden Blumen
schlürften. Waren sie doch als tüchtige Blumenzüchter wohlbekannt.

In enger Verbindung mit der von einem überaus zahlreichen (560—570
Kopfe zählenden) Klerus geübtem Seelsorge stand die Fürsorge für Arme,
Kranke und Altersschwäche in fünf Spitälern, elf Krankenhäuser,! und einem
Waisenhause. In, Rvchnsspital fanden fromme Pilger drei Tage reichliche
Verköstigung.

An einschlägigen alten Gebräuchen fehlte es nicht. Ein solcher hatte sich
namentlich beim Heiligengeistspital erhalten. Ihn, machte 1318 ein Bürger
Namens Wadler, eine Stiftung, kraft deren zu gewisser Zeit an die Arme,,
Rretzelu ausgetheilt wurden. Da ritt nun am Morgen, „ach Ander,, „in
Mitternacht des Z. Mai, als dem Todestage des letzten Wadler, ein Knecht
mit einem großen Sack voll Bretzeln auf einem Schimmel dnrch die Straßen
der Stadt und theilte sie mit den Worten aus:


Ihr jung und alte Leut,
Gehts hin zum heiligen Geist,
Wo man die Wadler Brctzcu auSgcil!

Da hätten wir dem, das alte Opferbrod in der Form des aufsteigenden
Sonnenrades, das um Frühlingsanfang zur Feier der wiederkehrenden Sonne
und des Wiedererwachens ihrer Kräfte gebacken wurde, währeud der Schimmel
an Wuotans Roß Sleipnar erinnert. Auch zu anderen Zeiten gab es absonder-
liches Brod: so zu Ostern die Hasen mit dem rothen El im Gesäß. Das
rothe El aber war der Frühlingsgöttin Ostara geweiht, und der Hase galt und
gilt „och heute als Symbol der Fruchtbarkeit. Ferner das Kirchweihbrvd und
zu Weihnachten das Hutzel- oder Kletzcnbrod. Durch die Erlaubniß es
anzuschneiden gestattete das Mädchen ihrem Liebsten stillschweigend förmliche
Werbung. Znu, Allerseelentage ward und wird noch heute feines Brod in
Form von Zöpfen (Seelen-Zöpfe) gebacken. Am Tage der unschuldigen Kinder
mußte,, die Mädchen den Junggeselle,, mit Lebkuchen und Pfefferkuchen aufwarten
und wurden vou diesen so lange mit Ruthen ans die Hände geschlagen („gefilzt"),
bis sie die Kuchen hervorzogen.

Die Zahl der Armen war in der „guten alten Zeit" keineswegs genug;
„och größer die der herumziehenden arbcitschenen Bettler. Sie betrug über 2000,
darunter 1275 ständige, so daß auf etwa 30 Einwohner 1 Bettler kam. Das


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[0374] Palesiaueriuuen, Nonnen de Notre Dame, englische Fräuleins und Schlvesteru von dritte,! Orden. Von den Kirchen und Kapellen sind seitdem gar viele spurlos verschwunden. So stand z. B. da, wo heute das englische Cafe am Man'miliausplatz steht, hoch auf einer Bastei vordem ein Kapuzinerkloster, und von den Tausenden, die dort den Gartenevneerten beiwohne,,, weiß keiner, daß auf demselben Platze bärtige Mönche zwischen duftenden Blumen schlürften. Waren sie doch als tüchtige Blumenzüchter wohlbekannt. In enger Verbindung mit der von einem überaus zahlreichen (560—570 Kopfe zählenden) Klerus geübtem Seelsorge stand die Fürsorge für Arme, Kranke und Altersschwäche in fünf Spitälern, elf Krankenhäuser,! und einem Waisenhause. In, Rvchnsspital fanden fromme Pilger drei Tage reichliche Verköstigung. An einschlägigen alten Gebräuchen fehlte es nicht. Ein solcher hatte sich namentlich beim Heiligengeistspital erhalten. Ihn, machte 1318 ein Bürger Namens Wadler, eine Stiftung, kraft deren zu gewisser Zeit an die Arme,, Rretzelu ausgetheilt wurden. Da ritt nun am Morgen, „ach Ander,, „in Mitternacht des Z. Mai, als dem Todestage des letzten Wadler, ein Knecht mit einem großen Sack voll Bretzeln auf einem Schimmel dnrch die Straßen der Stadt und theilte sie mit den Worten aus: Ihr jung und alte Leut, Gehts hin zum heiligen Geist, Wo man die Wadler Brctzcu auSgcil! Da hätten wir dem, das alte Opferbrod in der Form des aufsteigenden Sonnenrades, das um Frühlingsanfang zur Feier der wiederkehrenden Sonne und des Wiedererwachens ihrer Kräfte gebacken wurde, währeud der Schimmel an Wuotans Roß Sleipnar erinnert. Auch zu anderen Zeiten gab es absonder- liches Brod: so zu Ostern die Hasen mit dem rothen El im Gesäß. Das rothe El aber war der Frühlingsgöttin Ostara geweiht, und der Hase galt und gilt „och heute als Symbol der Fruchtbarkeit. Ferner das Kirchweihbrvd und zu Weihnachten das Hutzel- oder Kletzcnbrod. Durch die Erlaubniß es anzuschneiden gestattete das Mädchen ihrem Liebsten stillschweigend förmliche Werbung. Znu, Allerseelentage ward und wird noch heute feines Brod in Form von Zöpfen (Seelen-Zöpfe) gebacken. Am Tage der unschuldigen Kinder mußte,, die Mädchen den Junggeselle,, mit Lebkuchen und Pfefferkuchen aufwarten und wurden vou diesen so lange mit Ruthen ans die Hände geschlagen („gefilzt"), bis sie die Kuchen hervorzogen. Die Zahl der Armen war in der „guten alten Zeit" keineswegs genug; „och größer die der herumziehenden arbcitschenen Bettler. Sie betrug über 2000, darunter 1275 ständige, so daß auf etwa 30 Einwohner 1 Bettler kam. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/374>, abgerufen am 28.09.2024.