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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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gentes festsetzte: Giurgewo soll von den Türken geräumt und den Russen zur
Zerstörung übergeben werden. Von der den russischen Kaufleuten zu zahlenden
Entschädigung soll das erste Drittel mit 500,000 Dukaten sofort, das zweite
nach sechs Monaten und das dritte nach Verlauf eines Jahres gezahlt werden.
Die Zahlung der Kriegskosten soll sich über zehn Jahre vertheilen, so daß
jedes Jahr eine Million Dukaten zu entrichten ist. Einen Monat nach Aus¬
wechselung der Ratifikationen wird die russische Armee Adrianopel räumen,
vorausgesetzt, daß bis dahin das erste Drittel der Entschädigung für die russi¬
schen Kaufleute gezahlt ist. Nach Entrichtung des zweiten wird sie das Gebiet
vom Balkan bis ans Meer und dem Golf von Burgas verlassen. Die Mol¬
dau und Wallachei bleiben bis zur gänzlichen Abtragung der Kriegskosten von
den Russen besetzt. Die Räumung der asiatischen Provinzen beginnt drei
Monate nach Austausch der Ratifikationen und wird in acht Monaten vollendet.

Diese Bedingungen waren in einigen Punkten, namentlich aber in finan¬
zieller Hinsicht sehr hart. Die Türkei verlor in Asien weite Küstenstrecken
und ausgedehnte Binnenländer mit wichtigen Städten und Festungen, und sie
sah sich eine Kriegsentschädigung auferlegt, zu deren Abtragung sie bei ihrer
finanziellen Erschöpfung sehr lange Zeit bedürfte, und welche sie also vorläufig
dem mächtigen Nachbar gegenüber in einer Art Abhängigkeitsverhältniß erhielt.
Die Anerkennung der Unabhängigkeit Griechenlands endlich war mehr als ein
bloßer Gebietsverlust. Der neue hellenische Staat war, wie eng auch seine
Grenzen gesteckt wurden, das Vorbild einer durch Erfolg gekrönten Empörung.
Alle mißvergnügten christlichen Unterthanen des Sultans fanden jetzt auswärts
eine Stütze, die Rumänen in Rußland, die Bulgaren in Serbien, die Griechen
in Hellas. Außerdem aber hatten die Bewohner des Peloponnes und der
Cykladen bisher der türkischen Flotte ihre meisten und besten Seeleute geliefert,
sodaß dieselbe es von nun an mit der russischen im Schwarzen Meere nicht
mehr aufnehmen konnte.

Es ist nicht zu verwundern, daß der Divan vor diesen Bedingungen,
namentlich vor den finanziellen, erschrak. Am 7. September lud der Reis Efendi
die in Konstantinopel anwesenden fremden Diplomaten zu einer Besprechung
ein, in der sich die Türken über die Härte der russischen Forderungen beklagten,
erklärten, daß ihre Unterhändler bei Diebitsch nicht die geringste Milderung
durchsetzen könnte", und schließlich die wohlwollende Verwendung der Geladenen
in Anspruch nahmen. Der englische und der französische Botschafter lehnten
jedes Einschreiten ab und riethen zur Unterwerfung. Der preußische Gesandte
aber theilte dann mit, Müffling habe für den Fall, daß der Divan die russischen
Bedingungen unerfüllbar finde, vorgeschlagen, die Pforte möge sich durch einen
besonderen Gesandten an die Großmuth des Kaisers Nikolaus wenden. In


gentes festsetzte: Giurgewo soll von den Türken geräumt und den Russen zur
Zerstörung übergeben werden. Von der den russischen Kaufleuten zu zahlenden
Entschädigung soll das erste Drittel mit 500,000 Dukaten sofort, das zweite
nach sechs Monaten und das dritte nach Verlauf eines Jahres gezahlt werden.
Die Zahlung der Kriegskosten soll sich über zehn Jahre vertheilen, so daß
jedes Jahr eine Million Dukaten zu entrichten ist. Einen Monat nach Aus¬
wechselung der Ratifikationen wird die russische Armee Adrianopel räumen,
vorausgesetzt, daß bis dahin das erste Drittel der Entschädigung für die russi¬
schen Kaufleute gezahlt ist. Nach Entrichtung des zweiten wird sie das Gebiet
vom Balkan bis ans Meer und dem Golf von Burgas verlassen. Die Mol¬
dau und Wallachei bleiben bis zur gänzlichen Abtragung der Kriegskosten von
den Russen besetzt. Die Räumung der asiatischen Provinzen beginnt drei
Monate nach Austausch der Ratifikationen und wird in acht Monaten vollendet.

Diese Bedingungen waren in einigen Punkten, namentlich aber in finan¬
zieller Hinsicht sehr hart. Die Türkei verlor in Asien weite Küstenstrecken
und ausgedehnte Binnenländer mit wichtigen Städten und Festungen, und sie
sah sich eine Kriegsentschädigung auferlegt, zu deren Abtragung sie bei ihrer
finanziellen Erschöpfung sehr lange Zeit bedürfte, und welche sie also vorläufig
dem mächtigen Nachbar gegenüber in einer Art Abhängigkeitsverhältniß erhielt.
Die Anerkennung der Unabhängigkeit Griechenlands endlich war mehr als ein
bloßer Gebietsverlust. Der neue hellenische Staat war, wie eng auch seine
Grenzen gesteckt wurden, das Vorbild einer durch Erfolg gekrönten Empörung.
Alle mißvergnügten christlichen Unterthanen des Sultans fanden jetzt auswärts
eine Stütze, die Rumänen in Rußland, die Bulgaren in Serbien, die Griechen
in Hellas. Außerdem aber hatten die Bewohner des Peloponnes und der
Cykladen bisher der türkischen Flotte ihre meisten und besten Seeleute geliefert,
sodaß dieselbe es von nun an mit der russischen im Schwarzen Meere nicht
mehr aufnehmen konnte.

Es ist nicht zu verwundern, daß der Divan vor diesen Bedingungen,
namentlich vor den finanziellen, erschrak. Am 7. September lud der Reis Efendi
die in Konstantinopel anwesenden fremden Diplomaten zu einer Besprechung
ein, in der sich die Türken über die Härte der russischen Forderungen beklagten,
erklärten, daß ihre Unterhändler bei Diebitsch nicht die geringste Milderung
durchsetzen könnte«, und schließlich die wohlwollende Verwendung der Geladenen
in Anspruch nahmen. Der englische und der französische Botschafter lehnten
jedes Einschreiten ab und riethen zur Unterwerfung. Der preußische Gesandte
aber theilte dann mit, Müffling habe für den Fall, daß der Divan die russischen
Bedingungen unerfüllbar finde, vorgeschlagen, die Pforte möge sich durch einen
besonderen Gesandten an die Großmuth des Kaisers Nikolaus wenden. In


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[0364] gentes festsetzte: Giurgewo soll von den Türken geräumt und den Russen zur Zerstörung übergeben werden. Von der den russischen Kaufleuten zu zahlenden Entschädigung soll das erste Drittel mit 500,000 Dukaten sofort, das zweite nach sechs Monaten und das dritte nach Verlauf eines Jahres gezahlt werden. Die Zahlung der Kriegskosten soll sich über zehn Jahre vertheilen, so daß jedes Jahr eine Million Dukaten zu entrichten ist. Einen Monat nach Aus¬ wechselung der Ratifikationen wird die russische Armee Adrianopel räumen, vorausgesetzt, daß bis dahin das erste Drittel der Entschädigung für die russi¬ schen Kaufleute gezahlt ist. Nach Entrichtung des zweiten wird sie das Gebiet vom Balkan bis ans Meer und dem Golf von Burgas verlassen. Die Mol¬ dau und Wallachei bleiben bis zur gänzlichen Abtragung der Kriegskosten von den Russen besetzt. Die Räumung der asiatischen Provinzen beginnt drei Monate nach Austausch der Ratifikationen und wird in acht Monaten vollendet. Diese Bedingungen waren in einigen Punkten, namentlich aber in finan¬ zieller Hinsicht sehr hart. Die Türkei verlor in Asien weite Küstenstrecken und ausgedehnte Binnenländer mit wichtigen Städten und Festungen, und sie sah sich eine Kriegsentschädigung auferlegt, zu deren Abtragung sie bei ihrer finanziellen Erschöpfung sehr lange Zeit bedürfte, und welche sie also vorläufig dem mächtigen Nachbar gegenüber in einer Art Abhängigkeitsverhältniß erhielt. Die Anerkennung der Unabhängigkeit Griechenlands endlich war mehr als ein bloßer Gebietsverlust. Der neue hellenische Staat war, wie eng auch seine Grenzen gesteckt wurden, das Vorbild einer durch Erfolg gekrönten Empörung. Alle mißvergnügten christlichen Unterthanen des Sultans fanden jetzt auswärts eine Stütze, die Rumänen in Rußland, die Bulgaren in Serbien, die Griechen in Hellas. Außerdem aber hatten die Bewohner des Peloponnes und der Cykladen bisher der türkischen Flotte ihre meisten und besten Seeleute geliefert, sodaß dieselbe es von nun an mit der russischen im Schwarzen Meere nicht mehr aufnehmen konnte. Es ist nicht zu verwundern, daß der Divan vor diesen Bedingungen, namentlich vor den finanziellen, erschrak. Am 7. September lud der Reis Efendi die in Konstantinopel anwesenden fremden Diplomaten zu einer Besprechung ein, in der sich die Türken über die Härte der russischen Forderungen beklagten, erklärten, daß ihre Unterhändler bei Diebitsch nicht die geringste Milderung durchsetzen könnte«, und schließlich die wohlwollende Verwendung der Geladenen in Anspruch nahmen. Der englische und der französische Botschafter lehnten jedes Einschreiten ab und riethen zur Unterwerfung. Der preußische Gesandte aber theilte dann mit, Müffling habe für den Fall, daß der Divan die russischen Bedingungen unerfüllbar finde, vorgeschlagen, die Pforte möge sich durch einen besonderen Gesandten an die Großmuth des Kaisers Nikolaus wenden. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/364>, abgerufen am 28.09.2024.