Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Im großen Rathhaus-Saale aber fanden die Lottoziehungeu statt, deren Er¬
gebniß Trompeten und Pauken der harrenden Menge verkündeten.

Ein anderes hervorragendes Gebände war das der "Landschaft" an der
Ecke des Schrmmenplatzes und der Dienersgasse, das 1513 erbaut war und
in dem sich die Landstände versammelten. Dicht daran befand sich die Stadt-
Triulstube, aus der, altem Herkommen gemäß, dem Kurfürsten bei der Frohu-
leichnamsprozessivn ein Labetrunk gereicht wurde. In der nahen Gruftgasse
stand an der Stelle der 1285 mitsammt 180 Juden verbrannten Synagoge
das Gruftkirchlein, in welchem zwei Merkwürdigkeiten zu sehen waren: ein
wunderthätiges Marienbild, zu dem jährlich viele Tausende walfahrteten und
eines der Brode, mit denen der Herr das Volk in der Wüste sättigte. Gleich
daneben, im heutigen Polizeigebäude, widmeten sich seit 1694 englische Fräulein
dem Unterrichte in ersprießlicher Weise.

Vom Schrannenplatze führte die Burggasse zur Ludwigsburg, "der alte
Hof" genannt, nachdem die neue Beste erbaut worden. Vor hundert Jahren
bildete der alte Hof ein ungleiches Viereck, das einen geräumige" Hof umschloß
und mit zwei gegenüberstehenden Thoren verschlossen wurde. Der Thorthnrm
gegen die Burggasse zeigte damals an seiner Außenseite noch kräftige Spuren
von Bemalung in gothischem Stile, von denen heute fast nichts mehr übrig ist
als ein paar verblichene Wappen. Die Nordseite wurde hauptsächlich von der
Se. Lorenzkapelle eingenommen, welche Kaiser Ludwig der Baier 1324 erbaut
hatte. Auf der anderen Seite des nördlichen Thores dehnten sich die Gebäude
des kurfürstliche" Bräuhauses aus.

Vom alten Hofe gelangte man durch das Münzgäßchen und über das
"Plützl" zum Kostthor und zum neuen Thurm, 1771 als Gefängniß für geringere
Civilverbrecher vou Rang erbaut, welche beide erst vor ein paar Jahren nieder¬
gelegt wurden. Nicht weit davon in der Nähe der Münzstätte erhob sich der
Falkenthurm mit dein Kriminalgefängniß und der Folterkammer.

In der nächsten Nähe der kurfürstlichen Residenz, theils an der Stelle
des heutigen Hof- und Nationaltheaters, theils tief in den Max-Josefplatz hinein
reichend, erhoben sich neben dem Hexenthurm die Baulichkeiten des Franzis¬
kaner-Klosters mit dem südöstlich anstoßenden Friedhof, den noch Maximilian III.
einehmen ließ. In diesem Kloster lebten Ludwigs des Baiern eifrig-treue
Freunde Wilhelm Occam und Buouagrazia von Cesena und Pergamo. Dem
Franziskaner-Kloster gegenüber stand Kloster und Kirche der Bittricher
Nonnen, bis zur Theatiner-Strciße hinüber reichend und mit wnnderwirkenden
Reliquien reichlich ausgestattet. Dicht an die Residenz aber lehnte sich das
Kloster der Ritter-Nonnen. Dort befand sich ein kleines Crueifixbild, dem die
Haare wuchsen, und wie bei den Theatinern drüben eine "heilige Stiege"


Im großen Rathhaus-Saale aber fanden die Lottoziehungeu statt, deren Er¬
gebniß Trompeten und Pauken der harrenden Menge verkündeten.

Ein anderes hervorragendes Gebände war das der „Landschaft" an der
Ecke des Schrmmenplatzes und der Dienersgasse, das 1513 erbaut war und
in dem sich die Landstände versammelten. Dicht daran befand sich die Stadt-
Triulstube, aus der, altem Herkommen gemäß, dem Kurfürsten bei der Frohu-
leichnamsprozessivn ein Labetrunk gereicht wurde. In der nahen Gruftgasse
stand an der Stelle der 1285 mitsammt 180 Juden verbrannten Synagoge
das Gruftkirchlein, in welchem zwei Merkwürdigkeiten zu sehen waren: ein
wunderthätiges Marienbild, zu dem jährlich viele Tausende walfahrteten und
eines der Brode, mit denen der Herr das Volk in der Wüste sättigte. Gleich
daneben, im heutigen Polizeigebäude, widmeten sich seit 1694 englische Fräulein
dem Unterrichte in ersprießlicher Weise.

Vom Schrannenplatze führte die Burggasse zur Ludwigsburg, „der alte
Hof" genannt, nachdem die neue Beste erbaut worden. Vor hundert Jahren
bildete der alte Hof ein ungleiches Viereck, das einen geräumige» Hof umschloß
und mit zwei gegenüberstehenden Thoren verschlossen wurde. Der Thorthnrm
gegen die Burggasse zeigte damals an seiner Außenseite noch kräftige Spuren
von Bemalung in gothischem Stile, von denen heute fast nichts mehr übrig ist
als ein paar verblichene Wappen. Die Nordseite wurde hauptsächlich von der
Se. Lorenzkapelle eingenommen, welche Kaiser Ludwig der Baier 1324 erbaut
hatte. Auf der anderen Seite des nördlichen Thores dehnten sich die Gebäude
des kurfürstliche« Bräuhauses aus.

Vom alten Hofe gelangte man durch das Münzgäßchen und über das
„Plützl" zum Kostthor und zum neuen Thurm, 1771 als Gefängniß für geringere
Civilverbrecher vou Rang erbaut, welche beide erst vor ein paar Jahren nieder¬
gelegt wurden. Nicht weit davon in der Nähe der Münzstätte erhob sich der
Falkenthurm mit dein Kriminalgefängniß und der Folterkammer.

In der nächsten Nähe der kurfürstlichen Residenz, theils an der Stelle
des heutigen Hof- und Nationaltheaters, theils tief in den Max-Josefplatz hinein
reichend, erhoben sich neben dem Hexenthurm die Baulichkeiten des Franzis¬
kaner-Klosters mit dem südöstlich anstoßenden Friedhof, den noch Maximilian III.
einehmen ließ. In diesem Kloster lebten Ludwigs des Baiern eifrig-treue
Freunde Wilhelm Occam und Buouagrazia von Cesena und Pergamo. Dem
Franziskaner-Kloster gegenüber stand Kloster und Kirche der Bittricher
Nonnen, bis zur Theatiner-Strciße hinüber reichend und mit wnnderwirkenden
Reliquien reichlich ausgestattet. Dicht an die Residenz aber lehnte sich das
Kloster der Ritter-Nonnen. Dort befand sich ein kleines Crueifixbild, dem die
Haare wuchsen, und wie bei den Theatinern drüben eine „heilige Stiege"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138588"/>
          <p xml:id="ID_1102" prev="#ID_1101"> Im großen Rathhaus-Saale aber fanden die Lottoziehungeu statt, deren Er¬<lb/>
gebniß Trompeten und Pauken der harrenden Menge verkündeten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1103"> Ein anderes hervorragendes Gebände war das der &#x201E;Landschaft" an der<lb/>
Ecke des Schrmmenplatzes und der Dienersgasse, das 1513 erbaut war und<lb/>
in dem sich die Landstände versammelten. Dicht daran befand sich die Stadt-<lb/>
Triulstube, aus der, altem Herkommen gemäß, dem Kurfürsten bei der Frohu-<lb/>
leichnamsprozessivn ein Labetrunk gereicht wurde. In der nahen Gruftgasse<lb/>
stand an der Stelle der 1285 mitsammt 180 Juden verbrannten Synagoge<lb/>
das Gruftkirchlein, in welchem zwei Merkwürdigkeiten zu sehen waren: ein<lb/>
wunderthätiges Marienbild, zu dem jährlich viele Tausende walfahrteten und<lb/>
eines der Brode, mit denen der Herr das Volk in der Wüste sättigte. Gleich<lb/>
daneben, im heutigen Polizeigebäude, widmeten sich seit 1694 englische Fräulein<lb/>
dem Unterrichte in ersprießlicher Weise.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1104"> Vom Schrannenplatze führte die Burggasse zur Ludwigsburg, &#x201E;der alte<lb/>
Hof" genannt, nachdem die neue Beste erbaut worden. Vor hundert Jahren<lb/>
bildete der alte Hof ein ungleiches Viereck, das einen geräumige» Hof umschloß<lb/>
und mit zwei gegenüberstehenden Thoren verschlossen wurde. Der Thorthnrm<lb/>
gegen die Burggasse zeigte damals an seiner Außenseite noch kräftige Spuren<lb/>
von Bemalung in gothischem Stile, von denen heute fast nichts mehr übrig ist<lb/>
als ein paar verblichene Wappen. Die Nordseite wurde hauptsächlich von der<lb/>
Se. Lorenzkapelle eingenommen, welche Kaiser Ludwig der Baier 1324 erbaut<lb/>
hatte. Auf der anderen Seite des nördlichen Thores dehnten sich die Gebäude<lb/>
des kurfürstliche« Bräuhauses aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1105"> Vom alten Hofe gelangte man durch das Münzgäßchen und über das<lb/>
&#x201E;Plützl" zum Kostthor und zum neuen Thurm, 1771 als Gefängniß für geringere<lb/>
Civilverbrecher vou Rang erbaut, welche beide erst vor ein paar Jahren nieder¬<lb/>
gelegt wurden. Nicht weit davon in der Nähe der Münzstätte erhob sich der<lb/>
Falkenthurm mit dein Kriminalgefängniß und der Folterkammer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1106" next="#ID_1107"> In der nächsten Nähe der kurfürstlichen Residenz, theils an der Stelle<lb/>
des heutigen Hof- und Nationaltheaters, theils tief in den Max-Josefplatz hinein<lb/>
reichend, erhoben sich neben dem Hexenthurm die Baulichkeiten des Franzis¬<lb/>
kaner-Klosters mit dem südöstlich anstoßenden Friedhof, den noch Maximilian III.<lb/>
einehmen ließ. In diesem Kloster lebten Ludwigs des Baiern eifrig-treue<lb/>
Freunde Wilhelm Occam und Buouagrazia von Cesena und Pergamo. Dem<lb/>
Franziskaner-Kloster gegenüber stand Kloster und Kirche der Bittricher<lb/>
Nonnen, bis zur Theatiner-Strciße hinüber reichend und mit wnnderwirkenden<lb/>
Reliquien reichlich ausgestattet. Dicht an die Residenz aber lehnte sich das<lb/>
Kloster der Ritter-Nonnen. Dort befand sich ein kleines Crueifixbild, dem die<lb/>
Haare wuchsen, und wie bei den Theatinern drüben eine &#x201E;heilige Stiege"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0357] Im großen Rathhaus-Saale aber fanden die Lottoziehungeu statt, deren Er¬ gebniß Trompeten und Pauken der harrenden Menge verkündeten. Ein anderes hervorragendes Gebände war das der „Landschaft" an der Ecke des Schrmmenplatzes und der Dienersgasse, das 1513 erbaut war und in dem sich die Landstände versammelten. Dicht daran befand sich die Stadt- Triulstube, aus der, altem Herkommen gemäß, dem Kurfürsten bei der Frohu- leichnamsprozessivn ein Labetrunk gereicht wurde. In der nahen Gruftgasse stand an der Stelle der 1285 mitsammt 180 Juden verbrannten Synagoge das Gruftkirchlein, in welchem zwei Merkwürdigkeiten zu sehen waren: ein wunderthätiges Marienbild, zu dem jährlich viele Tausende walfahrteten und eines der Brode, mit denen der Herr das Volk in der Wüste sättigte. Gleich daneben, im heutigen Polizeigebäude, widmeten sich seit 1694 englische Fräulein dem Unterrichte in ersprießlicher Weise. Vom Schrannenplatze führte die Burggasse zur Ludwigsburg, „der alte Hof" genannt, nachdem die neue Beste erbaut worden. Vor hundert Jahren bildete der alte Hof ein ungleiches Viereck, das einen geräumige» Hof umschloß und mit zwei gegenüberstehenden Thoren verschlossen wurde. Der Thorthnrm gegen die Burggasse zeigte damals an seiner Außenseite noch kräftige Spuren von Bemalung in gothischem Stile, von denen heute fast nichts mehr übrig ist als ein paar verblichene Wappen. Die Nordseite wurde hauptsächlich von der Se. Lorenzkapelle eingenommen, welche Kaiser Ludwig der Baier 1324 erbaut hatte. Auf der anderen Seite des nördlichen Thores dehnten sich die Gebäude des kurfürstliche« Bräuhauses aus. Vom alten Hofe gelangte man durch das Münzgäßchen und über das „Plützl" zum Kostthor und zum neuen Thurm, 1771 als Gefängniß für geringere Civilverbrecher vou Rang erbaut, welche beide erst vor ein paar Jahren nieder¬ gelegt wurden. Nicht weit davon in der Nähe der Münzstätte erhob sich der Falkenthurm mit dein Kriminalgefängniß und der Folterkammer. In der nächsten Nähe der kurfürstlichen Residenz, theils an der Stelle des heutigen Hof- und Nationaltheaters, theils tief in den Max-Josefplatz hinein reichend, erhoben sich neben dem Hexenthurm die Baulichkeiten des Franzis¬ kaner-Klosters mit dem südöstlich anstoßenden Friedhof, den noch Maximilian III. einehmen ließ. In diesem Kloster lebten Ludwigs des Baiern eifrig-treue Freunde Wilhelm Occam und Buouagrazia von Cesena und Pergamo. Dem Franziskaner-Kloster gegenüber stand Kloster und Kirche der Bittricher Nonnen, bis zur Theatiner-Strciße hinüber reichend und mit wnnderwirkenden Reliquien reichlich ausgestattet. Dicht an die Residenz aber lehnte sich das Kloster der Ritter-Nonnen. Dort befand sich ein kleines Crueifixbild, dem die Haare wuchsen, und wie bei den Theatinern drüben eine „heilige Stiege"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/357
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/357>, abgerufen am 28.09.2024.