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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Um die Zeit, von der wir reden, war das in den letzten Jahren abge-
tragene Angerthor mit seinen zwei Thürmen noch wohlerhalten, aber zuge¬
mauert, und zwar seit 1405. Damals lagen die Herzöge Ernst und Wilhelm
von Baiern-München mit Herzog Ludwig dem Bärtigen von Baiern-Ingolstadt
in Fehde, und ein Theil der Münchener Bürger nahm für den letzteren Partei.
Sie öffneten Ludwig Nachts heimlich das Angerthor, und die Münchener Herzöge
entkamen nur mit genauer Noth. Als sie aber zurückgekehrt, ließen sie der
Bürgerschaft zur Strafe das Thor zumauern.

In dem Kloster am Anger hausten seit Anfang des 13. Jahrhunderts
Barfüßer-Mönche und seit 1284 Nonnen von dem strengen Orden der heiligen
Clara, die durch ihre Frömmigkeit uicht daran gehindert wurden, sich ein statt¬
liches Brauhaus einzurichten, das sich vor hundert Jahren eines guten Rufes
erfreute. Am obern Anger befand sich das 1742 von der Stadt zur Hilfe
armer Kranker erbaute städtische Krankenhaus und in der Nähe des Rosenthals
der als Hastlokal sür militärische Verbrecher benutzte Taschenthnrm, daneben
die Dreifaltigkeitskapelle mit dem Friedhof des Heiligeugeistspitals.

Von der Galerie des Se. Petersthurms hatten die Thürmer damals ohne
Unterschied der Jahreszeit zweimal täglich angemessene Stücke zu blasen und
zwar im Sommer um drei Uhr früh und um neun Uhr Abends, im Winter
um vier Uhr Morgens und um acht Uhr Abends, woraus zu schließen sein
dürfte, daß die Münchener vordem früher aufgestanden als heute.

Während wir heutzutage unsere Begräbnißplätze weit vor die Städte legen
und uns beklagen, wenn diese jenen in Folge ihrer Ausdehnung näher rücken,
nahmen unsere Voreltern keinen Anstoß daran, daß sie gezwungen waren, rings
um die Friedhöfe zu wohnen. Das galt auch vom eilten München. Der
Friedhof um die Frauenkirche wurde erst 1774 beseitigt, die um die Peters-
die Heil. Geist-, Dreisaltigkeits-, die Kreuz- und die Salvatorkirche bestanden
noch bis 1789 fort und waren somit in den Tagen, von denen wir sprechen,
noch in uneingeschränkten Gebrauche.

An der Ostseite des Schrannenplatzes erhebt sich das Rathhaus, in
welchem sich alle Stadtämter, das Archiv der Stadt und die Frohnfeste be¬
fanden und in dessen großem Saale sich die Stadtgemeinde versammelte, wenn
sie zusammen gerufen ward. Vor hundert Jahren zeigte des Rathhaus im
Allgemeinen noch die Formen, in denen es nach dem Brande von 1327
wieder aufgebaut worden war, der Thurm die des Neubaues von 1460, den
ein zweiter durch den Blitz verursachter Brand nöthig gemacht. Zu dieser
Gestalt griff auch die Restauration des Jahres 1863 zurück. Erst im Jahre
1778 wurden beide Gebäude im Sinne der Zeit dekorirt. Im Thurme befand
sich das Criminalverhörzimmer des Stadtoberrichters sammt sechs Haftlokalen.


Um die Zeit, von der wir reden, war das in den letzten Jahren abge-
tragene Angerthor mit seinen zwei Thürmen noch wohlerhalten, aber zuge¬
mauert, und zwar seit 1405. Damals lagen die Herzöge Ernst und Wilhelm
von Baiern-München mit Herzog Ludwig dem Bärtigen von Baiern-Ingolstadt
in Fehde, und ein Theil der Münchener Bürger nahm für den letzteren Partei.
Sie öffneten Ludwig Nachts heimlich das Angerthor, und die Münchener Herzöge
entkamen nur mit genauer Noth. Als sie aber zurückgekehrt, ließen sie der
Bürgerschaft zur Strafe das Thor zumauern.

In dem Kloster am Anger hausten seit Anfang des 13. Jahrhunderts
Barfüßer-Mönche und seit 1284 Nonnen von dem strengen Orden der heiligen
Clara, die durch ihre Frömmigkeit uicht daran gehindert wurden, sich ein statt¬
liches Brauhaus einzurichten, das sich vor hundert Jahren eines guten Rufes
erfreute. Am obern Anger befand sich das 1742 von der Stadt zur Hilfe
armer Kranker erbaute städtische Krankenhaus und in der Nähe des Rosenthals
der als Hastlokal sür militärische Verbrecher benutzte Taschenthnrm, daneben
die Dreifaltigkeitskapelle mit dem Friedhof des Heiligeugeistspitals.

Von der Galerie des Se. Petersthurms hatten die Thürmer damals ohne
Unterschied der Jahreszeit zweimal täglich angemessene Stücke zu blasen und
zwar im Sommer um drei Uhr früh und um neun Uhr Abends, im Winter
um vier Uhr Morgens und um acht Uhr Abends, woraus zu schließen sein
dürfte, daß die Münchener vordem früher aufgestanden als heute.

Während wir heutzutage unsere Begräbnißplätze weit vor die Städte legen
und uns beklagen, wenn diese jenen in Folge ihrer Ausdehnung näher rücken,
nahmen unsere Voreltern keinen Anstoß daran, daß sie gezwungen waren, rings
um die Friedhöfe zu wohnen. Das galt auch vom eilten München. Der
Friedhof um die Frauenkirche wurde erst 1774 beseitigt, die um die Peters-
die Heil. Geist-, Dreisaltigkeits-, die Kreuz- und die Salvatorkirche bestanden
noch bis 1789 fort und waren somit in den Tagen, von denen wir sprechen,
noch in uneingeschränkten Gebrauche.

An der Ostseite des Schrannenplatzes erhebt sich das Rathhaus, in
welchem sich alle Stadtämter, das Archiv der Stadt und die Frohnfeste be¬
fanden und in dessen großem Saale sich die Stadtgemeinde versammelte, wenn
sie zusammen gerufen ward. Vor hundert Jahren zeigte des Rathhaus im
Allgemeinen noch die Formen, in denen es nach dem Brande von 1327
wieder aufgebaut worden war, der Thurm die des Neubaues von 1460, den
ein zweiter durch den Blitz verursachter Brand nöthig gemacht. Zu dieser
Gestalt griff auch die Restauration des Jahres 1863 zurück. Erst im Jahre
1778 wurden beide Gebäude im Sinne der Zeit dekorirt. Im Thurme befand
sich das Criminalverhörzimmer des Stadtoberrichters sammt sechs Haftlokalen.


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[0356] Um die Zeit, von der wir reden, war das in den letzten Jahren abge- tragene Angerthor mit seinen zwei Thürmen noch wohlerhalten, aber zuge¬ mauert, und zwar seit 1405. Damals lagen die Herzöge Ernst und Wilhelm von Baiern-München mit Herzog Ludwig dem Bärtigen von Baiern-Ingolstadt in Fehde, und ein Theil der Münchener Bürger nahm für den letzteren Partei. Sie öffneten Ludwig Nachts heimlich das Angerthor, und die Münchener Herzöge entkamen nur mit genauer Noth. Als sie aber zurückgekehrt, ließen sie der Bürgerschaft zur Strafe das Thor zumauern. In dem Kloster am Anger hausten seit Anfang des 13. Jahrhunderts Barfüßer-Mönche und seit 1284 Nonnen von dem strengen Orden der heiligen Clara, die durch ihre Frömmigkeit uicht daran gehindert wurden, sich ein statt¬ liches Brauhaus einzurichten, das sich vor hundert Jahren eines guten Rufes erfreute. Am obern Anger befand sich das 1742 von der Stadt zur Hilfe armer Kranker erbaute städtische Krankenhaus und in der Nähe des Rosenthals der als Hastlokal sür militärische Verbrecher benutzte Taschenthnrm, daneben die Dreifaltigkeitskapelle mit dem Friedhof des Heiligeugeistspitals. Von der Galerie des Se. Petersthurms hatten die Thürmer damals ohne Unterschied der Jahreszeit zweimal täglich angemessene Stücke zu blasen und zwar im Sommer um drei Uhr früh und um neun Uhr Abends, im Winter um vier Uhr Morgens und um acht Uhr Abends, woraus zu schließen sein dürfte, daß die Münchener vordem früher aufgestanden als heute. Während wir heutzutage unsere Begräbnißplätze weit vor die Städte legen und uns beklagen, wenn diese jenen in Folge ihrer Ausdehnung näher rücken, nahmen unsere Voreltern keinen Anstoß daran, daß sie gezwungen waren, rings um die Friedhöfe zu wohnen. Das galt auch vom eilten München. Der Friedhof um die Frauenkirche wurde erst 1774 beseitigt, die um die Peters- die Heil. Geist-, Dreisaltigkeits-, die Kreuz- und die Salvatorkirche bestanden noch bis 1789 fort und waren somit in den Tagen, von denen wir sprechen, noch in uneingeschränkten Gebrauche. An der Ostseite des Schrannenplatzes erhebt sich das Rathhaus, in welchem sich alle Stadtämter, das Archiv der Stadt und die Frohnfeste be¬ fanden und in dessen großem Saale sich die Stadtgemeinde versammelte, wenn sie zusammen gerufen ward. Vor hundert Jahren zeigte des Rathhaus im Allgemeinen noch die Formen, in denen es nach dem Brande von 1327 wieder aufgebaut worden war, der Thurm die des Neubaues von 1460, den ein zweiter durch den Blitz verursachter Brand nöthig gemacht. Zu dieser Gestalt griff auch die Restauration des Jahres 1863 zurück. Erst im Jahre 1778 wurden beide Gebäude im Sinne der Zeit dekorirt. Im Thurme befand sich das Criminalverhörzimmer des Stadtoberrichters sammt sechs Haftlokalen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/356>, abgerufen am 28.09.2024.