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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Beisitzern die Ausübung von Gewerben (darunter 164 Bierwirthschaften) ge¬
stattete, ohne daß die Zünfte gegen diese Leute, die sie doch als Pfuscher be¬
trachten mußten, Strafe erwirken konnten. In diesem Verhältnisse liegt anch
der Grund, warum bis in die jüngste Zeit von "bürgerlichen" Sattlern, Uhr¬
machern ?c. die Rede war. Sie fühlten sich eben den Hvfschutzbefreiten gegen¬
über auf einer höheren Stufe. Aber auch 363 eigentliche Pfuscher in den
verschiedensten Gewerben verzeichnet die Statistik.

Dem Umkreise der ganzen Stadt mit 5800 Schritten und der Bevölkerung
von etwa 45000 Menschen in 1700 Häusern entsprach der Straßenverkehr.
Den Mittelpunkt desselben bildete von jeher der Schrammen- (jetzt Marien-)
Platz. Er zerfiel in zwei Theile, den Eiermarkt zwischen dem Rathhause und
der Dienersgasse und deu eigentlichen Schrannenplatz. Dort wurden Gemüse,
Butter, Schmalz, Eier, hier die verschiedenen Getreidegattungen verkauft. Jeden
Sonnabend Vormittag herrschte dort ein reges Leben: Käufer und Verkäufer
drängten sich zwischen Tausenden vou Getreidesäckeu und ab- und zufahrenden
Wagen, und Sackträger und Schrannenknechte riefen mit dem lauten Geschrei:
"Streich' ab!" die Kornmesser herbei. Bisweilen war die Schranne so stark
befahren, daß die Säcke auch zu beiden Seiten der Kaufingergasse standen bis
zum Schönen Thurme hinauf, der sie oberhalb des Schwarzen Adlers abschloß.
Wo er gestanden, ist jetzt ein sauber gearbeitetes Modell desselben an der
Wand angebracht. Es zeigt am ersten Stockwerk zwei Bannerträger mit den
bciierischen Farben, im zweiten den Kaiser ans dem Thron in Mitte der Kur¬
fürsten, darunter einen das Feld pflügenden Bauer, weiter oben Bannerträger
mit den kaiserlichen Farben und darüber Spielleute mit ihren Instrumenten.
Zu oberst aber gab eine halb blaue, halb vergoldete Kugel die Wandlungen
des Mondes an.

War der Verkehr schon an gewöhnlichen Schrcmnentagen mit mancherlei
Unbequemlichkeiten verknüpft, so war das in noch erhöhtem Maße der Fall,
wenn eine sogenannte Dult, d. h. eine Waarenmesse abgehalten wurde. Diese
dehnte sich vom Rindermarkte dnrch die Rosengasse, die ganze Kaufingergasse
entlang. Jede derselben dauerte eigentlich nur 14 Tage; man begann aber
mit dem Ausschlagen der Verkaufsbuden, um nicht allzusehr eilen zu müssen,
schon zwei Wochen früher und brauchte regelmäßig weitere 14 Tage zum Ab¬
schlagen und Wegschaffen derselben, so daß diese Straßen alljährlich zwei
Monate hindurch für den genannten Zweck in Anspruch genommen waren.
Uebrigens durften die beiden Dulden füglich als Volksfeste betrachtet werden,
da gleichzeitig im Thal wilde Thiere, Wachsfiguren und Aehnliches zur Schau
gestellt waren und Seiltänzer und Akrobateu sich zwischen der Herzog-Mcix-
Bnrg und der Dreifaltigkeitskirche produzirten, wo die Stadtmauer die Kreuz-


Beisitzern die Ausübung von Gewerben (darunter 164 Bierwirthschaften) ge¬
stattete, ohne daß die Zünfte gegen diese Leute, die sie doch als Pfuscher be¬
trachten mußten, Strafe erwirken konnten. In diesem Verhältnisse liegt anch
der Grund, warum bis in die jüngste Zeit von „bürgerlichen" Sattlern, Uhr¬
machern ?c. die Rede war. Sie fühlten sich eben den Hvfschutzbefreiten gegen¬
über auf einer höheren Stufe. Aber auch 363 eigentliche Pfuscher in den
verschiedensten Gewerben verzeichnet die Statistik.

Dem Umkreise der ganzen Stadt mit 5800 Schritten und der Bevölkerung
von etwa 45000 Menschen in 1700 Häusern entsprach der Straßenverkehr.
Den Mittelpunkt desselben bildete von jeher der Schrammen- (jetzt Marien-)
Platz. Er zerfiel in zwei Theile, den Eiermarkt zwischen dem Rathhause und
der Dienersgasse und deu eigentlichen Schrannenplatz. Dort wurden Gemüse,
Butter, Schmalz, Eier, hier die verschiedenen Getreidegattungen verkauft. Jeden
Sonnabend Vormittag herrschte dort ein reges Leben: Käufer und Verkäufer
drängten sich zwischen Tausenden vou Getreidesäckeu und ab- und zufahrenden
Wagen, und Sackträger und Schrannenknechte riefen mit dem lauten Geschrei:
„Streich' ab!" die Kornmesser herbei. Bisweilen war die Schranne so stark
befahren, daß die Säcke auch zu beiden Seiten der Kaufingergasse standen bis
zum Schönen Thurme hinauf, der sie oberhalb des Schwarzen Adlers abschloß.
Wo er gestanden, ist jetzt ein sauber gearbeitetes Modell desselben an der
Wand angebracht. Es zeigt am ersten Stockwerk zwei Bannerträger mit den
bciierischen Farben, im zweiten den Kaiser ans dem Thron in Mitte der Kur¬
fürsten, darunter einen das Feld pflügenden Bauer, weiter oben Bannerträger
mit den kaiserlichen Farben und darüber Spielleute mit ihren Instrumenten.
Zu oberst aber gab eine halb blaue, halb vergoldete Kugel die Wandlungen
des Mondes an.

War der Verkehr schon an gewöhnlichen Schrcmnentagen mit mancherlei
Unbequemlichkeiten verknüpft, so war das in noch erhöhtem Maße der Fall,
wenn eine sogenannte Dult, d. h. eine Waarenmesse abgehalten wurde. Diese
dehnte sich vom Rindermarkte dnrch die Rosengasse, die ganze Kaufingergasse
entlang. Jede derselben dauerte eigentlich nur 14 Tage; man begann aber
mit dem Ausschlagen der Verkaufsbuden, um nicht allzusehr eilen zu müssen,
schon zwei Wochen früher und brauchte regelmäßig weitere 14 Tage zum Ab¬
schlagen und Wegschaffen derselben, so daß diese Straßen alljährlich zwei
Monate hindurch für den genannten Zweck in Anspruch genommen waren.
Uebrigens durften die beiden Dulden füglich als Volksfeste betrachtet werden,
da gleichzeitig im Thal wilde Thiere, Wachsfiguren und Aehnliches zur Schau
gestellt waren und Seiltänzer und Akrobateu sich zwischen der Herzog-Mcix-
Bnrg und der Dreifaltigkeitskirche produzirten, wo die Stadtmauer die Kreuz-


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[0351] Beisitzern die Ausübung von Gewerben (darunter 164 Bierwirthschaften) ge¬ stattete, ohne daß die Zünfte gegen diese Leute, die sie doch als Pfuscher be¬ trachten mußten, Strafe erwirken konnten. In diesem Verhältnisse liegt anch der Grund, warum bis in die jüngste Zeit von „bürgerlichen" Sattlern, Uhr¬ machern ?c. die Rede war. Sie fühlten sich eben den Hvfschutzbefreiten gegen¬ über auf einer höheren Stufe. Aber auch 363 eigentliche Pfuscher in den verschiedensten Gewerben verzeichnet die Statistik. Dem Umkreise der ganzen Stadt mit 5800 Schritten und der Bevölkerung von etwa 45000 Menschen in 1700 Häusern entsprach der Straßenverkehr. Den Mittelpunkt desselben bildete von jeher der Schrammen- (jetzt Marien-) Platz. Er zerfiel in zwei Theile, den Eiermarkt zwischen dem Rathhause und der Dienersgasse und deu eigentlichen Schrannenplatz. Dort wurden Gemüse, Butter, Schmalz, Eier, hier die verschiedenen Getreidegattungen verkauft. Jeden Sonnabend Vormittag herrschte dort ein reges Leben: Käufer und Verkäufer drängten sich zwischen Tausenden vou Getreidesäckeu und ab- und zufahrenden Wagen, und Sackträger und Schrannenknechte riefen mit dem lauten Geschrei: „Streich' ab!" die Kornmesser herbei. Bisweilen war die Schranne so stark befahren, daß die Säcke auch zu beiden Seiten der Kaufingergasse standen bis zum Schönen Thurme hinauf, der sie oberhalb des Schwarzen Adlers abschloß. Wo er gestanden, ist jetzt ein sauber gearbeitetes Modell desselben an der Wand angebracht. Es zeigt am ersten Stockwerk zwei Bannerträger mit den bciierischen Farben, im zweiten den Kaiser ans dem Thron in Mitte der Kur¬ fürsten, darunter einen das Feld pflügenden Bauer, weiter oben Bannerträger mit den kaiserlichen Farben und darüber Spielleute mit ihren Instrumenten. Zu oberst aber gab eine halb blaue, halb vergoldete Kugel die Wandlungen des Mondes an. War der Verkehr schon an gewöhnlichen Schrcmnentagen mit mancherlei Unbequemlichkeiten verknüpft, so war das in noch erhöhtem Maße der Fall, wenn eine sogenannte Dult, d. h. eine Waarenmesse abgehalten wurde. Diese dehnte sich vom Rindermarkte dnrch die Rosengasse, die ganze Kaufingergasse entlang. Jede derselben dauerte eigentlich nur 14 Tage; man begann aber mit dem Ausschlagen der Verkaufsbuden, um nicht allzusehr eilen zu müssen, schon zwei Wochen früher und brauchte regelmäßig weitere 14 Tage zum Ab¬ schlagen und Wegschaffen derselben, so daß diese Straßen alljährlich zwei Monate hindurch für den genannten Zweck in Anspruch genommen waren. Uebrigens durften die beiden Dulden füglich als Volksfeste betrachtet werden, da gleichzeitig im Thal wilde Thiere, Wachsfiguren und Aehnliches zur Schau gestellt waren und Seiltänzer und Akrobateu sich zwischen der Herzog-Mcix- Bnrg und der Dreifaltigkeitskirche produzirten, wo die Stadtmauer die Kreuz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/351>, abgerufen am 29.09.2024.